NGO im Transformationsprozess des Staates

Nicht regieren?

Die linke Debatte um Nichtregierungsorganisationen (NGO) bewegt sich zwischen einer Position, die ihnen vorwirft, sie funktionierten im Dienst der Herrschaftssicherung, und einer, die in ihnen die Hoffnungsträger einer gesellschaftsverändernden Politik ausmacht. Joachim Hirsch zeigt dagegen auf, wie der emanzipatorische Charakter der NGO von sozialen Bewegungen abhängt, denen es gelingt, sie unter politischen Druck zu setzen.

Nichtregierungsorganisationen sind heutzutage fast überall. Auf internationalen Konferenzen, bei der Versorgung hungernder Kinder, beim Aufräumen von Minen, immer häufiger auch bei der »humanitären« Begleitung von Militärinterventionen oder bei der Beseitigung ihrer so genannten Kollateralschäden. NGO sind die Gutmenschen der Weltpolitik, immer zur Stelle, wenn ein neues Desaster die Medienöffentlichkeit beschäftigt und Spendenbereitschaft entsteht. Wenn von der »Weltzivilgesellschaft« geredet wird, dann sind vornehmlich sie gemeint.

Was sind NGO? Man versteht darunter üblicherweise formell private Organisationen, die im politischen Bereich tätig sind, gemeinnützige Zwecke verfolgen und eine gewisse Professionalisierung und organisatorische Dauerhaftigkeit aufweisen. Sie sind Moralunternehmen, die den Anspruch haben, nicht eigenen Interessen zu dienen, sondern praktische Hilfe zu leisten, den Unterdrückten und Ausgegrenzten dieser Welt politisch Gehör zu verschaffen und die vernachlässigten Probleme der Welt zu thematisieren. So weit das Idealbild. Allerdings ist schon die Bezeichnung »Nichtregierungsorganisation« etwas problematisch, wenn man bedenkt, dass NGO durchaus auch von Regierungen gegründet und jedenfalls sehr oft von ihnen finanziert und für ihre Zwecke benutzt werden. Das verweist auf ein grundlegendes Problem. Die organisatorischen Eigeninteressen, insbesondere der Bedarf an kontinuierlich fließenden Finanzmitteln, schaffen eine strukturelle Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen oder von Spenden. Diese wiederum sind ohne eine gewisse Kooperationsbereitschaft mit den Regierungen beziehungsweise ohne geschickte Öffentlichkeitsarbeit nicht zu haben, was eine ebenso ernst zu nehmende Abhängigkeit von der Medienindustrie schafft. Das gilt insbesondere für die in aller Welt tätigen Großunternehmen des internationalen Hilfsbusiness.

Legitimationsreserve. NGO gibt es schon lange, aber in den letzten Jahren haben sie an Zahl und Bedeutung erheblich zugenommen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Erstens ist es der Niedergang der so genannten neuen sozialen Bewegungen seit den achtziger Jahren. Viele ehemalige BewegungsaktivistInnen haben mit der Gründung einer NGO sowohl Arbeitsplätze als auch ein politisches Betätigungsfeld gefunden. Zugleich verblassten die Hoffnungen auf eine grundsätzliche Gesellschaftsveränderung immer mehr. Der Blick richtete sich nun auf das im Rahmen der bestehenden Verhältnisse praktisch Machbare, entschlossenes Zupacken wurde zur bestimmenden Devise: Realpolitik eben. So gesehen, ist die Konjunktur der NGO in gewisser Weise auch Ausdruck einer politischen Resignation nach dem Ende der Protestbewegungen und angesichts der erfolgreichen neoliberalen Restrukturierung des Kapitalismus.

Zweitens waren im Zug der neoliberalen Restrukturierung die Staaten starken Transformationsprozessen unterworfen. Durch die als Globalisierung bezeichneten Folgen der Deregulierungspolitik wurden sie unmittelbarer von den internationalen Kapitalbewegungen abhängig. Der nationale Wettbewerbsstaat entstand, Standortpolitik wurde zum beherrschenden Imperativ und zugleich wurden wesentliche Politikbereiche privatisiert. Den Regierungen selbst starker Staaten stehen mächtige internationale Unternehmen gegenüber, mit denen sie kooperieren müssen. Der nationale Wettbewerbsstaat ist damit zugleich ein verhandelnder Staat, was aber auch heißt, dass politische Entscheidungsprozesse sich immer mehr in eine Grauzone zwischen der privaten Sphäre und der Öffentlichkeit verlagern und kaum noch kontrollier- und durchschaubar sind. Die Folge ist eine Aushöhlung der formell bestehenden liberaldemokratischen Institutionen.

Drittens verändert sich im Zuge der Internationalisierung der Produktion die Position der Nationalstaaten auch insofern, als wichtige politische Prozesse und Entscheidungen sowohl auf die internationale als auch auf die lokale und regionale Ebene verlagert werden. Dies resultiert aus der Zunahme grenzüberschreitender Probleme, etwa in der Umweltpolitik, und aus den Notwendigkeiten einer zumindest notdürftigen Regulierung der Weltmarktprozesse. Internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank sowie weniger formalisierte Machtkomplexe wie die diversen G-Gipfel gewannen an Bedeutung. Bestimmenden Einfluss haben hier die Staaten des kapitalistischen Zentrums, während periphere Länder weitgehend machtlos sind. Demokratische Verfahren und politische Öffentlichkeiten existieren auf dieser Ebene überhaupt nicht.

Dies hat eine für den globalisierten Kapitalismus charakteristische Krise der politischen Repräsentation zur Folge. Sie bildet ein entscheidendes Einfallstor für NGO-Politik. Wenn man so will, sind NGO Ausdruck eines spezifischen Staatsversagens: Die Legitimität staatlichen Handelns wird im Zuge wachsender Entdemokratisierungstendenzen immer deutlicher in Frage gestellt, in der Entwicklungs- und Nothilfe erweisen sich bürokratische Verfahren als ineffektiv und viele Politikbereiche sind so verwissenschaftlicht, dass es den Regierungen oft an den nötigen Kenntnissen mangelt. Die Staaten sind in gewisser Weise gezwungen, auf NGO als Legitimationsreserve, als administrative Hilfsorgane oder auch als Politikberater zurückzugreifen. NGO thematisieren vernachlässigte »Weltprobleme«, artikulieren ausgegrenzte Interessen, mobilisieren Sachverstand und stehen als kompetente Helfer bereit, wenn wieder einmal etwas schief gegangen ist. Kurzum: Sie übernehmen Aufgaben, die zuvor den Staaten zugewiesen wurden. Sie sind indessen nicht nur Ausdruck, sondern - als Schmiermittel der neuen Weltordnung und Bestandteil der laufenden Privatisierungsprozesse - auch aktive Mitbetreiber der neoliberalen Restrukturierungsprozesse. Sie betreiben selbst eine Privatisierung der Politik, die mit dem Abbau sozialer Rechte einhergeht. Wenn NGO, mit staatlichen oder Spendenmitteln finanziert, Wohltaten gewähren, dann gibt es im Prinzip keinerlei Rechtsanspruch hierauf. Zugleich ist ihre politische Legitimation einigermaßen fragwürdig. Sie werden von denen, deren Interessen sie vertreten, weder gewählt noch wirksam kontrolliert. Man spricht in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht auch von einer Refeudalisierung der Politik.

Staat und Zivilgesellschaft. Insgesamt könnte man behaupten, dass die NGO weniger unabhängige »zivilgesellschaftliche« Akteure denn Teile des - internationalisierten und neoliberal transformierten - Staatsapparates darstellen. Ihre Nähe zu den Staatsapparaten hat verschiedene Gründe. Neben den finanziellen Abhängigkeiten spielt der Umstand eine Rolle, dass NGO bei der Verfolgung ihrer Ziele im Prinzip auf die Kooperationsbereitschaft der Regierungen angewiesen sind. Oder sie müssen sich den Mechanismen einer Medienindustrie unterwerfen, die eher an spektakulären Aktionen als an einer Thematisierung grundsätzlicher ökonomischer und sozialer Probleme interessiert ist. Wirkungsvoll inszenierte Katastrophenhilfe ist eben populärer als der mühsame Wiederaufbau sozialer Strukturen in von Kriegen oder ökonomisch bewirkten Katastrophen ruinierten Ländern. Eine Bedingung ihres Erfolgs ist nicht zuletzt, dass sie sich der Sprache und dem Habitus von Politikern und Staatsfunktionären anpassen. In gewissem Sinne kann das Personal der NGO daher als Teil einer internationalisierten Staaten, Staatenverbände, Unternehmen und andere private Organisationen repräsentierenden Managerklasse betrachtet werden. Und schließlich spiegelt das NGO-System auch die zwischenstaatliche Machthierarchie wider. NGO aus dem Norden sind in der Regel nicht nur finanziell und organisatorisch mächtiger, sondern können sich auch auf den diplomatischen Parketten und in den internationalen Verhandlungsforen besser bewegen als diejenigen aus den peripheren Ländern des Südens. All dies macht es unwahrscheinlich, dass NGO weitergreifende gesellschaftliche Konzepte oder eine radikalere Politik entwickeln.

Dies verweist darauf, dass Staat und Zivilgesellschaft nicht einfach getrennte und einander gegenüberstehende Sphären, sondern Bestandteile eines komplexen Zusammenhangs sind, in dem die Zivilgesellschaft und damit auch die NGO sozusagen eine flexible Herrschaftsressource darstellen. Der Zusammenhang ist indessen einigermaßen widersprüchlich. Im Falle der NGO zeigt sich das daran, dass ihre politische Wirksamkeit sowohl in legitimatorischer als auch in praktischer Hinsicht davon abhängt, dass sie eben nicht zu schlichten Handlangern staatlicher Apparate werden, sondern eine gewisse Autonomie und Distanz bewahren. Sonst verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit und damit auch ihre Wirkungsmöglichkeiten.

Man kann die NGO also als Ersatz für neoliberal abgewickelte staatliche Funktionen und als fragwürdige Kompensation für nicht existierende oder faktisch leer laufende demokratische Strukturen betrachten. Sie sind ein Bestandteil der internationalisierten und neoliberal transformierten staatlichen Herrschaftsapparatur. Diese ist jedoch kein monolithischer Block, sondern von tief greifenden Widersprüchen und permanenten Konflikten durchzogen. Deshalb ist es doch nicht so einfach zu sagen, was von ihnen zu halten ist. Vor allem bezeichnet der Begriff NGO Organisationen, die in Wirklichkeit höchst unterschiedlich und trotz einiger formaler Ähnlichkeiten in ihrer politischen Bedeutung kaum vergleichbar sind. NGO ist nicht gleich NGO. Ihr Charakter hängt wesentlich von ihrem jeweiligen gesellschaftlich-politischen Umfeld und von der Art und Weise ab, wie die NGO sich darauf beziehen. Es macht einen Unterschied, ob sie wesentlich medial operierende Apparate und Spendensammelmaschinen beziehungsweise als Hilfstruppe von Regierungen fungierende Sozialarbeitsagenturen sind oder ob sie versuchen, ihre politische Eigenständigkeit gegenüber Regierungen, Unternehmen oder der Medienindustrie zu bewahren. Das setzt freilich voraus, dass sie sich auf ein politisch aktives Umfeld beziehen und von diesem auch unter Druck gesetzt werden können. Das heißt, dass der emanzipative und demokratische Charakter von NGO von der Existenz unabhängiger politischer Strukturen und Netzwerke abhängt, genauer: von der Aktivität sozialer Bewegungen, deren Bestandteil sie unter Umständen sind, die sie aber nicht ersetzen können.

Der zwiespältige Charakter der NGO, auch der vergleichsweise politischeren und radikaleren, ist nicht zuletzt im Zusammenhang der internationalen Protestaktionen von Seattle bis Genua deutlich geworden. Einerseits waren sie ein wichtiger - zum Beispiel Informationen und logistische Kapazitäten bereitstellender - Teil dieser Bewegungen, aber gleichzeitig mussten sie darauf bedacht sein, ihr Ansehen als seriöse Verhandlungspartner von Regierungen und internationalen Organisationen nicht zu verlieren. Das heißt, NGO betreiben aus strukturellen Gründen politische Balanceakte. NGO sind Bestandteile eines komplexen internationalen politischen Systems, das zugleich von erheblichen Widersprüchen durchzogen ist. Wie sie damit umgehen, hängt von der Existenz einer kritischen Öffentlichkeit und von politischem Druck ab, ohne den sie schnell zu schlichten Bestandteilen des international erweiterten Staates werden. Im Zusammenhang der neuen globalisierungskritischen Bewegung haben NGO aus dem Süden wie etwa Peoples' Global Action an Bedeutung gewonnen und damit hat sich auch das NGO-System insgesamt erheblich verändert. Wenn also im Zusammenhang mit NGO von internationaler Zivilgesellschaft geredet wird, so bleibt daran zu erinnern, dass es nicht ausreicht, diese zu interpretieren. Es kommt eben darauf an, sie zu verändern.

Joachim Hirsch lehrt Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt/M.