Kürzungspläne des neuen Arbeitsamtsvorsitzenden

An die Arbeit

Der neue Vorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster (SPD), fordert die Zusammenfassung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe. Sie sollen künftig unter den niedrigsten Löhnen bleiben.

Dürfen Vorstandsvorsitzende so etwas? Auf keinen Fall, nicht einmal, wenn sie von der Bundesanstalt für Arbeit kommen. Für Gesetzesänderungen sei allein der Bundestag zuständig, betont die CDU. Der PDS wiederum ist egal, woher die Vorschläge kommen, sie bleibt bei ihrer Forderung: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslose bestrafen! Und die FDP ist beleidigt, sieht sie doch die SPD und die Grünen auf den bereits fahrenden Zug der Liberalen springen.

Erst hat Rot-Grün die Rente teilweise privatisiert, dann erhob die Regierung Arbeitslose zu Vertragspartnern der Arbeitsämter, ohne ihnen freilich ein grundlegendes Moment des gewöhnlichen Vertragsrechts zuzubilligen: die Freiwilligkeit. Anschließend besann sich die Koalition auf die alte Funktion des Sozialstaates, die Ware Arbeitskraft für den Markt zuzurichten, und führte das so genannte Mainzer Modell ein. Anreize und Arbeitsplätze sollten aber nicht allein im Niedriglohnbereich geschaffen werden. Mit den Vermittlungsgutscheinen für Arbeitslose entsteht nun ein neuer krisenfester Traumberuf, der private Arbeitsvermittler.

Jetzt sollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengefasst werden, was weniger euphemistisch formuliert eine Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet. Zuvor, so der Vorschlag des Chefs aller Arbeitsämter, Florian Gerster (SPD), müsse aber noch klar gemacht werden, dass Arbeitslosigkeit sich nicht lohne. Bereits im vergangenen Jahr sorgte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für Wirbel, als er sagte, dass es in Deutschland kein »Recht auf Faulheit« gebe.

In der Weimarer Republik unter einem Zentrumspolitiker namens Marx geschaffen, in der Berliner Republik von einem Sozialdemokraten zu Grabe getragen? Vor einem Dreivierteljahrhundert wurde mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die bis zur Einführung der Pflegeversicherung jüngste Säule des Sozialversicherungssystems errichtet. Zu ihrem 75. Geburtstag stehen grundlegende Einschnitte auf der Tagesordnung.

Florian Gerster, Sozialdemokrat aus liberalem Elternhaus und vor kurzem noch Sozialminister in Rheinland-Pfalz, dachte bereits vor seinem Amtsantritt laut darüber nach, das Arbeitslosengeld zu kürzen. Endlich in Amt und Würden will er sich nicht darauf beschränken, eine Anstalt zu leiten, sondern will seine Behörde »Bundesagentur für Arbeit« nennen und meldet sich fast wöchentlich mit neuen Reformvorschlägen zu Wort. Seine jüngste Idee: Erst soll die Arbeitslosenhilfe angehoben und dann der Geldhahn schrittweise zugedreht werden. Leistungen für Arbeitslose sollen in den ersten Wochen der Arbeitslosigkeit auf 80 Prozent des letzten Nettolohnes steigen, um sie dann nach und nach auf das Niveau der Sozialhilfe abzusenken. Derzeit beträgt das Arbeitslosengeld für Kinderlose 60, für Leute mit Kindern 67 Prozent des letzten Lohnes und die Arbeitslosenhilfe 53 beziehungsweise 57 Prozent.

Waren die kommunalen Verbände wie der Deutsche Städtetag von der bundesweiten Einführung des Mainzer Kombilohnmodells noch hellauf begeistert, echauffieren sie sich angesichts Gersters Vorstoß nun um so heftiger. Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, warnte: »Wer am Arbeitslosengeld oder an der Arbeitslosenhilfe herumdoktert, schickt noch mehr Arbeitslose in die Sozialhilfe.« Seine Sorge gilt jedoch weniger den Arbeitslosen, die künftig Sozialhilfe empfangen sollen, als den kommunalen Finanzen. Denn während der Kombilohn zumindest theoretisch geeignet ist, Sozialhilfeempfänger auf die eine oder andere Weise aus der Sozialhilfe zu bringen, würden den Kommunen erhebliche Mehrausgaben aufgebrummt, wenn die aus Bundesmitteln finanzierte Arbeitslosenhilfe abgeschafft bzw. das Arbeitslosengeld gestrichen wird.

Schon die von Gerster geforderte Staffelung des Arbeitslosengelds würde finanzielle Lasten vom Bund auf die Kommunen verschieben und den Trend einer Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit verstärken. Johannes Steffen von der Arbeiterkammer Bremen hat für den Fall, dass die Arbeitslosenhilfe tatsächlich abgeschafft wird, auf einen Effekt hingewiesen, der bereits in abgeschwächter Form für den aktuellen Vorschlag Gersters gilt: Für die Kommunen bedeutet dies zusätzlich einen Verlust an bundesfinanzierter Kaufkraft, was wiederum besonders strukturschwache Regionen belasten würde.

Kaufkraft? Autos kaufen keine Autos? Massenkonsum gepaart mit Massenproduktion? Das war einmal. Heute scheint allein der Rückgriff auf präfordistische Argumentationsmuster veritable Ergebnisse zu liefern. Wie in der Diskussion um das gestaffelte Arbeitslosengeld wird auch in der Sozialhilfe darüber nachgedacht, neue Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. So forderte etwa der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erst kürzlich, denjenigen Sozialhilfeempfängern, die bereit sind, einen schlecht bezahlten Billig-Job anzunehmen, einen »wesentlicheren Teil ihres Lohnes« nicht wie »im derzeitigen Umfang auf die Sozialhilfe« anzurechnen. Damit würden sie sich »deutlich besser stellen als diejenigen, die nur von Sozial- bzw.Arbeitslosenhilfe leben.« Solche Modelle gehen freilich stets davon aus, dass der rational handelnde homo oeconomicus in einer Art Monokultur lebt und sich den Gesetzen des Marktes unterwirft. Alle anderen Handlungsweisen sind als gesellschaftlich abweichendes Verhalten zu bewerten und entsprechend zu bestrafen.

In der Diskussion um steuerfinanzierte Sozialtransfers wie Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird dennoch eine normative Einschränkung zugelassen: der würdige Arme. Würdig, weil er gebrechlich ist oder aus sonstigen Gründen lohnarbeitsunfähig. Deshalb spricht sich etwa die CDU dagegen aus, die Arbeitslosengelder generell für alle Altersgruppen zu kürzen. Die Kürzungen sollen demnach nur jüngere Arbeitsfähige betreffen. So teilt Karl-Josef Laumann,der sozialpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, Gersters Meinung, »dass wir vielleicht am Anfang ein höheres Arbeitslosengeld brauchen und erst dann - für Jüngere - schneller abbauen müssen«.

Sobald ein gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass die Hilfe für arbeitsfähige, aber nicht arbeitende Hilfeempfänger das soziokulturelle Existenzminimum ruhig unterschreiten kann, verliert die Sozialhilfe ihre Funktion als heimlicher Mindestlohn. Darauf laufen letztendlich der Kombilohn und die derzeitigen Vorschläge Gersters hinaus.

Gerster greift eine Forderung auf, die noch zu Zeiten der konservativ-liberalen Regierung Kohl vehement von der SPD, aber auch von den Gewerkschaften und den Grünen abgelehnt wurde, nämlich das Lohnersatzabstandsgebot. Die Sozialhilfe, aber auch die Arbeitslosenhilfe sollen demnach unter den niedrigsten Löhnen bleiben. Ein rechtlicher Anspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum, wie es zumindest theoretisch bei der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1962 formuliert wurde, würde damit nicht nur faktisch, sondern auch de jure endgültig ad acta gelegt. Übrig bliebe, was bereits zur Zeit der Entstehung der Arbeitslosenversicherung diskutiert wurde: allgemeine Arbeitspflicht, Arbeitszwang und für die ganz Unwilligen Arbeitshäuser.