48. Kurzfilmtage in Oberhausen

Genug gequalmt

Bei den 48. Kurzfilmtagen in Oberhausen wurde über Katastrophen meditiert.

Wer in diesem Jahr nach Oberhausen kam, wurde in vielerlei Hinsicht überrascht. Außer in den offiziellen Begrüßungsreden kam der 40. Jahrestag des Oberhausener Manifests auf dem Festival nicht vor. Nicht ein Programm war dem Anlass gewidmet, während die Fernsehsender arte und 3Sat sich mit Berichten und Sondersendungen überschlugen. Nicht nur, dass die engagierten Kurzfilmsender aktuelle Filme aus den Wettbewerben in ihre Programme nehmen. Im Rahmen einer Reihe mit Spielfilmen europäischer Autoren der sechziger Jahre, die 3Sat im Februar gestartet hatte, gingen frühe Kurzfilme von Werner Herzog, Edgar Reitz, Alexander Kluge und Adolf Winkelmann auf Sendung. Auch in der komplett renovierten Lichtburg, dem im glamourösen roten Samt erstrahlenden Festivalzentrum, hätte man gern jenseits von Katastrophen-Programmen, Specials und Wettbewerben etwas von den Gründervätern des neuen deutschen Films gesehen.

Stattdessen wurden die Netzhäute mit Bildern gesellschaftlicher Notstände malträtiert. Ob Flugzeugabstürze, Erdbeben, Wirbelstürme, nuklearer Fallout, Bürgerkriege, Terroranschläge, Umwelt- oder Verkehrskatastrophen, ob psychische Folgen großer oder kleiner Missgeschicke, kein Unglück, kein Ausnahmezustand, der medial reproduziert nichts hermachen würde. Die Welt als visuelles Tollhaus, in dem Medien und Filmkünstler Katastrophen auf ihre Weise reproduzieren. Wer allerdings eine Flut dokumentarischer Horrorszenarien erwartet hatte, wurde enttäuscht. Florian Wüst, der Kurator der Reihe, hielt in den insgesamt 15 Programmblöcken mit bemerkenswerter Sicherheit die Balance zwischen theoretischen Analysen, ästhetischer Sublimation und subtiler Ironie. Das dialektische Verhältnis zwischen Fakten und Fiktion offenbarte sich oft erst in der Zusammenstellung von künstlerischer Subversion, Werbe-, Lehr- und Dokumentarfilmen.

»Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es 'so weiter' geht, ist die Katastrophe.« Das Diktum Walter Benjamins von der Katastrophe als Kern der Wachstumsideologie bringt es auf den Punkt, wie Lieven de Cauters, der in seinen Thesen zur Globalisierung die »Grenzen des Wachstums« neu definiert. In »Water, Water, Everywhere ...« von Gilles Blais kommt jede Hilfe zu spät. In trübem Wasser schwimmt ein Fisch. Sein Maul bewegt sich auf und zu, und wie in Panik kreuzt er durch das Becken. »Was tut ihr mir hier an!« sagt eine Männerstimme im Voice Over. Nach fünf Minuten dümpelt der Fisch rücklings, mit aufgerissenem Maul leblos auf dem Grund, weshalb das 1971 gedrehte kanadische Video Tierschützern besser nicht gezeigt werden sollte. Doch Blais illustriert die Konsequenzen eines unreflektierten Fortschrittsglaubens im Umgang mit der Natur. Der Fisch stand im Zentrum eines Programms »Environment/ Mental«, in dem die kanadische Künstlergruppe Aelab an ein neues Umweltbewusstsein appellierte. »Es ist ein Wandel, den wir alle durch begrenzte, aber wirkungsvolle Aktionen herbeiführen können.«

Hatte das Eröffnungsprogramm mit Romek Delimatras schwebenden Flugzeugwrackteilen (»Gravity«, 1999), Magnus Wallins fliehenden Verletzten (»Exit«, 1998) und Bruce Conners Bildern von Sex und Zerstörung (»A Movie«, 1958) auf die Katastrophen dieser Welt eingestimmt, so führte das Programm »Crisis Management« die Brüchigkeit vertrauter Modelle des Krisenmanagements vor Augen. Beispielsweise Peter Watkins' »The War Game« (1967), jenes in England jahrelang verbotene, weil zu realistisch inszenierte Dokudrama, das die verheerenden Folgen eines atomaren Angriffs auf Großbritannien schildert.

Unfreiwillig komisch wirkten indessen Lehrfilme wie »Luftschutz im Atomzeitalter«, eine 13minütige Produktion der Defa aus dem Jahre 1959, oder »The House in the Middle« (1954), eine siebenminütige Produktion der Federal Civil Defense Administration, zwei Filme, die in ihrem Glauben an die Beherrschbarkeit nuklearer Katastrophen den Katastrophenschutz ad absurdum führen.

Beiträge zum 11. September waren eher rar. Unter der Überschrift »Terror und Spektakel« standen Filme von New Yorker Medienkünstlern, die ihre Erlebnisse mit DV-Kameras festhielten. »White Balance. To Think is to Forget Differences« von François Bucher reflektierte vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. September Macht, Privilegien, Hollywood und die Medien. Um Eugène Delacroix' »Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden« gruppiert Bucher Bilder von den Straßen New Yorks, auf denen Fahnenverkäufer mit der plötzlich gestiegenen Nachfrage völlig überfordert sind. Was ihnen das Sternenbanner bedeutet, fragt Bucher die Käufer, die sich wegen der gestiegenen Preise beklagen und in deren Antworten sich Patriotismus offenbart.

Skurril mutet »Great Balls of Fire« von Leon Grodski und Pearl Gluck an, die den 11. September als einen ganz normalen Tag im Leben eines schwarzen Obdachlosen inszenieren. Entstanden ist das subtile Porträt eines Mannes, der nichts zu verlieren hat, pausenlos redet und die Passanten bittet, ihn ins All zu beamen oder ihre Zigaretten auszumachen, weil es in der Stadt schon genug qualme.

Kleine Alltagskatastrophen mit oft verheerenden Folgen versteckten sich in den Filmen des Wettbewerbs. »Sitzend überleben« von Carolin Schmitz untersucht die Sitzkultur in der schicken neuen Arbeitswelt. In verschiedenen Unternehmen hat sie Architekten, Raumplaner, Designer und deren Mitarbeiter befragt. Viel Philosophie, wenig Komfort ist das Fazit; moderne Arbeitsräume werden selten den menschlichen Bedürfnissen gerecht. Da ist von »knackigen Meetings« die Rede, die auf Barhockern statt auf richtigen Stühlen abgehalten werden, während Ruheräume zu »Boxen« verkümmern.

»Der Geruch des Himmels« von Alina Skozeszewska beobachtet das Leben taubblinder Menschen und ihrer Betreuer kommentarlos. Da werden die simplen Verrichtungen beim Backen eines Kuchens zu einem Abenteuer, und die Überbewertung der konventionellen, auf Hören und Sehen fixierten Wahrnehmung wird verdeutlicht. »Old Choi's Film« von Bin Chuen Choi zeigt die letzten sieben Wochen eines krebskranken Chinesen, während »Das schlafende Mädchen« von Corinna Schnitt den Horror einer niederländischen Einfamilienhaussiedlung in einer achtminütigen Kameraeinstellung einfängt.

Erfreulich, dass zwei Filme mit politischen Themen unter den Hauptpreisträgern waren: Stéphane Elmadjians Essay »Je m'apelle« über Widerstandsformen und politisches Engagement reflektiert die kulturellen Codes der Unterdrückung, während »Los Zapatos de Zapata« von Luciano Larobina den Mythos Emiliano Zapatas bei der Schaffung nationaler Identität filmisch untersucht.