Solidarität mit Israel?

Weg von den Fahnen!

Nicht mit dem Staat Israel sollte man solidarisch sein, sondern mit antinationalen Kräften in Israel und Palästina.

Solidarität ist ein schwieriges Unterfangen. In den siebziger und achtziger Jahren suchte die Solidaritätsbewegung in Westdeutschland ihr revolutionäres Objekt der Begierde in Vietnam, Nicaragua oder auch in Palästina. Das ist Geschichte. Die Projektion von innenpolitischen Befindlichkeiten unter dem Banner der Solidarität ist aber weiterhin hoch aktuell. Heute lautet die Parole der antideutschen Linken: »Solidarität mit Israel«. Man applaudiert dem israelischen Botschafter und schwenkt israelische Fahnen.

Das geschieht nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. In den fünfziger und sechziger Jahren sah die im muffigen Wirtschaftswunderland völlig marginalisierte Linke in Israel ein Traumland, der Kibbuz galt als Vorbild einer besseren Welt. Mit der 68er-Bewegung änderte sich das schlagartig. Radikal war chic und die Welt wurde in gute und schlechte Völker eingeteilt. Israel war im antiimperialistischen Weltbild die Speerspitze des Bösewichts USA im Nahen Osten. Axel Springer war für Israel, daher musste man dagegen sein.

Heute verweist die antideutsche Linke auf die gefährdete Situation Israels und eine neue Welle antisemitischer Bewegungen. Dabei ist die israelische Gesellschaft aus ihrer Sicht ein ebenso monolithischer Block wie die arabische Welt. So kritisierte Stefan Vogt den arabischen Nationalismus, der »einen besonders radikalen Antisemitismus entwickelt« habe. In arabischen Gesellschaften ist der Hass auf Israel eine Tatsache. Antisemitismus ist aber ein europäisches, genauer: ein christliches Phänomen.

Die einfache Auffassung spiegelt sich auch in der Einschätzung der israelischen Gesellschaft wider. Juden, Zionismus und Israel werden unter einem gemeinsamen Begriff subsummiert, was eine differenzierte Einschätzung der israelischen Gesellschaft unmöglich macht. Um aber zu verstehen, wie der Konflikt entstanden ist, welche Kräfte in der israelischen Gesellschaft agieren und wer hegemoniale Positionen besetzen kann, muss man schon mehr als einen oberflächlichen Blick riskieren.

Wegen der existenziellen Gefährung des israelischen Staates waren militärische Reaktionen Ende der vierziger Jahre sowie 1967 vermutlich unausweichlich. Seither ist Israel eine Besatzungsmacht und hat seit Jahren die mit Abstand schlagkräftigste Armee der Region. Der Mann, der schon 1982 die PLO aus dem Libanon vertreiben wollte und ein Massaker zu verantworten hatte, bedauert heute, Arafat damals nicht »eliminiert« zu haben. Ariel Sharon versprach bei seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr der israelischen Bevölkerung mehr Sicherheit. Er hat das Gegenteil erreicht, mit ihm wird es keinen dauerhaften Frieden geben. Und auch keine Sicherheit für die israelische Bevölkerung.

Vogts Behauptung, Israel sei die »einzige sichere Zuflucht für die Opfer des Antisemitismus«, stimmt als generelle Aussage. In der Praxis wird sie aber immer häufiger in Frage gestellt. Die Politik der israelischen Regierung hat die Verbindung von Nationalismus und Religion zur zentralen Säule ihres ideologischen Weltbildes erklärt. Damit spaltet sie die Gesellschaft in einer früher nicht vorstellbaren Dimension.

Die israelische Rechte argumentiert mit nationalistischen Floskeln und mythischen Geschichtsbildern, so wie es jede andere Rechte auch tut. Der israelische Schriftsteller Amos Oz sagte vor zehn Jahren: »Ich werde kämpfen, wenn irgend jemand versucht, mich zum Sklaven zu machen. Aber niemals werde ich für die Rechte der Vorväter kämpfen, für mehr Raum, für Ressourcen, für den trügerischen Begriff nationaler Interessen.«

Mit dieser Aussage kann die politische Klasse, die heute in Israel an der Macht ist, nichts anfangen. Sie rechtfertigt im Gegenteil die Besiedlung der Westbank sowohl mythisch, als Rückkehr ins Land der Vorväter, als auch mit der Behauptung, die Sicherheit Israels könne nur mit Hilfe der Siedlungen gewährleistet werden. Diese Politik hat auch in Israel die Gefährdung von früher schon marginalisierten Gruppen verstärkt.

Die arabischen Israelis sind nie richtig in der Gesellschaft angekommen. Ökonomisch standen sie immer am unteren Ende der israelischen Klassengesellschaft. Die aktuelle ökonomische Krise vertieft die soziale Kluft weiter. Kulturell orientieren sie sich nun wieder mehr an ihren Ursprungsländern. Die Wandlung eines säkularen Staates zu einem Staat, in dem Religion eine zentrale Rolle spielt, hat die Spaltung vergrößert.

Der Konflikt zwischen dem weltlich orientierten Israel und den religiös-fundamentalistischen Kreisen spiegelt sich auch in einem Generationskonskonflikt wider. In den neunziger Jahren erlebte die israelische Gesellschaft ihr 1968. Die Generation der Kriege von 1966 und 1973 sah sich mit den Vorhaltungen ihrer Söhne und Töchter konfrontiert. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Sohn des legendären Verteidigungsministers Moshe Dayan. Er entlarvt als Filmemacher die Mythen der israelischen 68er. 1998 lehnte er einen bedeutenden israelischen Kulturpreis ab.

Diese unterschiedlichen Lebenswelten nehmen antideutsche Linke nicht wahr. Wer aber, wie Stefan Vogt »Solidarität mit all jenen Kräften in den beiden Gesellschaften, die einen palästinensischen Staat in den israelisch besetzen Gebieten und die gegenseitige Anerkennung des Existenzrechtes der beiden Staaten« fordert, muss sich mit den unterschiedlichen soziologischen Realitäten auseinandersetzen. Sonst landet man unter wehenden israelischen Fahnen.

Dabei gehen gleich reihenweise wichtige Erkenntnisse flöten. Jeder Auftritt unter Fahnen symbolisiert die Herrschaft der staatlichen Macht. Heute geht es aber um soziale Veränderungen, also gerade nicht um die Eroberung der Macht, sondern um deren Auflösung. Solidarität unter Linken hat immer auch mit dem Aufbrechen von äußeren und inneren Herrschaftsverhältnissen zu tun.

Zentral ist dabei die Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft. Wie will eigentlich die antideutsche Linke die Auseinandersetzung mit staatlichen Herrschaftsinstitutionen führen? Sollte die Debatte so weitergeführt werden, ist zu befürchten, dass nationalistische Positionen auch hier gestärkt werden. Schon während des Krieges gegen die Taliban wurde nicht mehr auf Analyseinstrumente zurückgegriffen, die noch beim Kosovokrieg von einiger Bedeutung waren.

Damals konnte man deutlich die deutschen Ambitionen erkennen, etwa als 1999 der Holocaust funktionalisiert wurde. Was den Konflikt im Nahen Osten betrifft, haben sich in Deutschland jedoch die so genannten Atlantiker durchgesetzt. Das sind jene, in deren außenpolitischer Agenda die Solidarität mit den USA (und damit auch mit Israel) an oberster Stelle steht und die damit seit Mitte der sechziger Jahre eine politisch hegemoniale Position einnehmen. Sie haben derzeit in Deutschland den entscheidenden politischen Einfluss.

Deswegen ist die immer wieder in der antideutschen Linken vorgetragene These falsch, es gebe einen deutschen Allparteienblock, der einseitig für Palästina Partei ergreife, wobei der deutsche Antisemitismus wieder zum Vorschein komme. Vor allem Zitate von Jürgen Möllemann, Norbert Blüm und Karl Lamers werden dazu herangezogen. Doch auch in diesem Punkt gilt: Die Analyse ist undifferenziert und bildet die Realität der politischen Klasse an der Macht falsch ab. So hat sich Joschka Fischer eindeutig anders positioniert. »Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kann ich jedenfalls die einseitigen Schuldzuweisungen an Israel nicht nachvollziehen. Israel muss militärisch der Stärkere sein, sonst gäbe es diesen Staat nicht mehr«, zitiert ihn beispielsweise die Frankfurter Rundschau.

Die antideutsche Linke reduziert komplexe gesellschaftliche Situationen, sowohl in Palästina und Israel als auch in Deutschland, auf die Logik des Krieges, auf Gut oder Böse, auf die Solidarität mit Israel und den Antisemitismus. Stattdessen bräuchte es realpolitische Initiativen und Visionen, um den Nahost-Konflikt beizulegen.

Es sollte die gesellschaftliche Aufgabe der Restlinken in Israel, Palästina und auch hierzulande sein, statt endloser Entlarvungsrituale endlich Debatten zu führen, um Zukunftsvisionen zu entwickeln. Den Bestand des israelischen Staates zu garantieren, ist dabei wichtig und notwendig. Aber Solidarität mit dem israelischen Staat zu fordern, ist ein politischer Fehler. Es gilt vielmehr, Solidarität mit antinationalen Kräften in Palästina und Israel zu üben.