Kein Außen und kein Innen: Antonio Negris und Michael Hardts kritische Theorie des globalen Kapitalismus

Kommunistisches Manifest, Cyberpunk, Bluff?

Heiß diskutiert wird zurzeit Empire von Antonio Negri und Michael Hardt. Ihre Überlegungen zur Globalisierung, zum Ende des Nationalstaats und zu einem neuen Klassenbegriff haben gar altautonome Kader auf den Plan gerufen, die nicht davor zurückschrecken, gegen die Autoren mit dem Faschismusvorwurf zu polemisieren. Andreas Fanizadeh, Verleger von Schriften Negris in den neunziger Jahren, diskutiert die Thesen des Buchs und betont, bei aller Kritik, ihr Potenzial für eine künftige, emanzipatorische Linke.

Bereits die englischsprachige Ausgabe von Empire hatte große Aufmerksamkeit in der europäischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit erfahren. »Pro qm« in Berlin, ein kleiner Buchladen in der Alten Schönhauser Straße, verkaufte den englischsprachigen Titel gleich über hundertmal. Als die deutsche Übersetzung erschien, war die erste Auflage von 5000 Exemplaren im April binnen vier Wochen vergriffen. Die Buchpräsentation mit Michael Hardt verfolgten in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz um die 700 Leute - an einem Mittwoch, um 22 Uhr in der Nacht.

Seit Michel Foucault, Gilles Deleuze und Félix Guattari hat kein Entwurf aus der Neuen Linken mehr für solches Aufsehen gesorgt. Dabei stehen Antonio Negri und Michael Hardt in der besten Tradition des westlichen Marxismus. Sie theoretisieren empirisch feststellbare Veränderungen des globalen Kapitalismus und versuchen, daraus - kraft der Negation - utopische Momente zu gewinnen.

Deterritorialisierung und Nationalstaat

Nach Negri und Hardt betreibt der globale Kapitalismus die Deterritorialisierung einer bislang nationalstaatlich regulierten (Welt-) Politik. Damit würden auch die historischen Formen des Imperialismus im Übergang zum weltumspannenden Empire obsolet. Zudem schaffe der globalisierte Kapitalismus neue Formen der Arbeit und Produktion (die sie unter dem Stichwort »immaterielle Arbeit« fassen), die zu einer veränderten Klassenzusammensetzung führen. Entwicklungen, die die beiden Theoretiker nicht nur feststellen, sondern ausdrücklich begrüßen: »Wir können nicht zurück zu irgendeiner früheren Gesellschaftsform und nicht vorwärts in die Isolation.« Sie kritisieren damit auch ein konservatives linkes Milieu, das gegen »die Globalisierung und die Macht der Konzerne« wettert und dabei den bürgerlichen Nationalstaat verteidigen und stärken möchte. Negri und Hardt halten die Herausbildung des globalen Kapitalismus und seiner Ordnung, des Empire, für eine produktive Realität und sondieren auf diesem Terrain die Möglichkeiten für Emanzipation und Befreiung.

Nach ihren Auffassungen gibt es »in der Konstitution des Empire kein ðAußenÐ der Macht und von daher auch keine schwachen Glieder mehr«. So hat die politische Geographie »die Grenzziehungen verflüssigt«. Damit sind die taktischen Überlegungen der alten Revolutionstheorie »unwiderruflich überholt; und die einzige den Kämpfen offen stehende Strategie ist die einer konstituierenden Gegenmacht, die aus dem Innern des Empire kommt«. Dies liegt vor allem an der jüngsten technisch-ökonomischen Entwicklung. In den heutigen Gesellschaften steht die »Fabrik zerstreut an verschiedenen Orten«. Die Informatisierung der Industrie und die zunehmende Dominanz von Dienstleistungen hat die Konzentration industrieller Produktion an einem einzigen Ort unnötig gemacht.

Telekommunikations- und Informationstechnologien treiben die »Deterritorialisierung der Produktion« voran. Auch die national orientierten Gewerkschaftsverbände haben dies in letzter Zeit immer wieder feststellen müssen. Das Kapital kann sich sehr viel einfacher als früher den »Verträgen mit einer bestimmten lokalen Bevölkerung entziehen«. Vor Konflikten weicht es an andere Orte des »globalen Netzwerks« aus.

Archipele der Macht. Die Bewegungen im Netzwerk des Empire gehen aber nicht von einem Punkt in eine Richtung. So wie die industrielle Produktion in »beherrschte Länder exportiert wurde, von den USA und Japan etwa nach Mexiko und Malaysia«, so befindet sich ein Teil der Metropolen im Zustand der Peripherisierung. Die national geschützten Territorien und die Idee des Wohlfahrtsstaats sind in Auflösung begriffen. In den Worten Negris und Hardts: »Die ðDritte WeltÐ verschwindet im Prozess der Vereinheitlichung des Weltmarkts nicht wirklich, sondern tritt in die ðErste WeltÐ, in deren Herzen, als Ghetto, Barackensiedlung oder Favela ein, wird immer produziert und reproduziert.«

Das hat weit reichende Folgen, speziell auch für die Geographie des urbanen Raums. Mike Davis hat die neuen Sicherheitsdispositive und ihre Festungsarchitektur am Beispiel von Los Angeles in City of Quartz (1994) beschrieben. Die identischen Bunkeranlagen und Shopping-Malls der Global Cities finden sich mit den identischen Markenwaren und Preisen heute auch in den Finanz- und Dienstleistungszentren des Südens.

Die derzeitige Deterritorialisierung der Produktion sollte nach Negri und Hardt aber nicht nur negativ als Moment des Ausschlusses, der Hierarchisierung und der Deregulierung begriffen werden. In Anlehnung an die Diskussion in den Postcolonial Studies beziehen sich die beiden durchaus positiv auf die »Hybridität« einer neuen, weltumspannenden Unternehmenskultur. Und in den »alten modernen Formen rassistischer und sexistischer Theorie« - wie sie etwa der rechte Populismus in Europa repräsentiert - sehen sie »die expliziten Feinde« dieser offeneren Zusammensetzung der Klassen und Eliten.

Multikulturalismus. Die neuen Hybridlinge der globalen Unternehmen sind jedoch auch, aber eben anders, rassistisch. Sie vertreten, wie es Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein in Rasse, Klasse, Nation (1990) darlegten, den derzeit in den kapitalistischen Zentren dominanten und herrschaftlichen Typus eines »differenzialistischen Rassismus«. Dieser betont statt der biologischen die kulturellen Unterschiede der Menschen nach territorialer Herkunft, und er tut dies nicht immer in abwertender Absicht. Die Ideologie dieses Multikulturalismus dient aber als eine Variante des Rassismus, um die Klassenspaltungen im globalen Empire und seinen Melting Pots entlang biologistisch-territorialer Abstammungslinien zu reproduzieren. Der differenzialistische Rassismus impliziert allerdings »eine pluralistische Haltung« und ist, so hoffen Negri und Hardt, schon deswegen auch an der Dekonstruktion völkischer Nationalmythen beteiligt.

Nach den Erfahrungen aus den antikolonialen Befreiungskämpfen und den parteikommunistischen Regimes heben die Autoren die Ambivalenz einer (national-) staatlich orientierten Politik hervor. »Von Indien bis Algerien, von Kuba bis Vietnam, der Staat ist das vergiftete Geschenk nationaler Befreiung.«

Vor den Gespenstern biologistisch vorgestellter Volks- und Nationenkörper suchen sie Zuflucht in einer postmodernen Welt, in der »alle Phänomene künstlich oder, wie manche sagen würden, Teil der Geschichte« sind. Hier ist an die Stelle der alten »modernen Dialektik von Innen und Außen ein Spiel der Gradunterschiede und Intensitäten, von Hybridität und Künstlichkeit getreten«. Sie wünschen sich, dass »die internationale Solidarität den Nationalstaat zerstören und eine neue weltweite Gemeinschaft aufbauen« möge.

Immaterielle Arbeit und Klasse

Michael Hardt, der knapp 40jährige Literaturwissenschaftler aus North Carolina, und Toni Negri, der 69jährige frühere Staatsrechtsprofessor aus Padua, rufen ihre LeserInnen immer wieder zu Subversion und Verweigerung auf. Dass dies zwar mitunter ziemlich pathetisch, aber nur an manchen Stellen peinlich klingt, macht einen Teil der Qualität ihres philosophischen Manifests aus.

In den siebziger Jahren vertrat Negri die Ideen der Autonomia. Er wurde vom italienischen Staat, wie viele andere auch, strafrechtlich verfolgt und 1979 wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. (Ein Verständnis der Autonomia und der Auseinandersetzungen jener Zeit vermittelt auf literarisch anschauliche Weise Nanni Balestrinis Roman Die Unsichtbaren.) 1983 wurde Negri über eine Liste der Radikalen Partei ins Parlament gewählt und konnte sich ins Exil nach Frankreich absetzen.

Im Auftrag französischer Ministerien erstellte er zusammen mit anderen exilierten Intellektuellen in Paris empirische Studien zu den Veränderungen der Fabrikarbeit im Veneto und anderen Gebieten Norditaliens, zum System von Benetton und zu Sentier in Paris. 1997 kehrte er nach Italien zurück und wurde erneut inhaftiert. Zurzeit lebt er unter Meldeauflagen in Rom.

In früheren Aufsätzen wie »Autonomie und Separation« (1993, dt. in Umherschweifende Produzenten, 1998) ging er bereits der Frage nach, wie aus kämpferischen Arbeitern, die der Autonomia nahe standen, »politische Unternehmer« wurden, »kleine Einheiten, die verteilt im Territorium arbeiten, die Produktionskosten auf jede nur erdenkliche Art senken und dabei Verwandte und Kinder bisweilen erbarmungslos ausbeuten«. Negri versuchte als »ein politischer Militanter aus den siebziger Jahren« analytisch zu verstehen, wie sich Arbeiter der früheren »guerriglia diffusa« in Produzenten einer »industria diffusa« auflösten und politische Phänomene wie die »parafaschistische Lega-Bewegung« in Norditalien aufkamen.

Informatisierung der Produktion. Negri und Hardt verwenden in Empire »einen weiten Begriff von Proletariat und fassen in dieser Kategorie all jene, deren Arbeitskraft direkt oder indirekt ausgebeutet wird und die in Produktion und Reproduktion kapitalistischen Normen unterworfen sind«. Das macht den einen oder anderen Marxologen fuchsig, hat aber durchaus nachvollziehbare Gründe. Bislang war der Begriff Proletariat mehr oder weniger exklusiv der industriellen Arbeiterklasse vorbehalten. Dies ist nach Negri und Hardt in der »neuen Informationsökonomie« empirisch unhaltbar, da der gesellschaftliche Reichtum zunehmend durch immaterielle Produktion akkumuliert werde. Die »Produktion von Dienstleistungen« zielt auf nicht haltbare Güter. Die Arbeit, die in diesem Produktionsprozess verrichtet wird, bezeichnen sie mit Maurizio Lazzarato »als immateriell, das heißt als eine Arbeit, die immaterielle Güter wie Dienstleistungen, kulturelle Produkte, Wissen oder Kommunikation produziert«.

Die Informatisierung der Produktion und das Auftreten immaterieller Arbeit führten zudem zu einer globalen Homogenisierung der Arbeitsprozesse und zur Angleichung von Lebenslagen. Parallel zu den fast vollständig »delokalisierten Produktivkräften« kommt es zu den großen Migrationen unserer Zeit, auch »eine wichtige Konsequenz der Tendenz zur Einheit des Weltmarkts«, die nicht mit Grenzbefestigungen und Lagersystemen aufzuhalten sei.

Die Einwanderungsgesellschaften der Neuen Welt, insbesondere die USA, werden von Negri und Hardt sehr wohlwollend betrachtet. In den Industrial Workers of the World (IWW), die unter den Bedingungen des New Deal und des Zweiten Weltkriegs in den USA zerschlagen wurden, sehen sie »das große Augustinische Projekt der Moderne«. Die Wobblys des IWW verkörpern für sie »organisatorische Mobilität« und »ethnisch-sprachliche Hybridität«. Das klingt allerdings leicht sozialromantisch und gleitet immer wieder in ethnisch definierte Zuschreibungen ab. So sollten »Arbeiter aller Sprachen und Rassen« in einer großen Weltgewerkschaft zusammenfinden. Die US-amerikanische Wissenschaft - und mit ihr Michael Hardt - hantiert überwiegend immer noch mit einem positiv besetzten Rassebegriff. An manchen Stellen scheinen sich Negri und Hardt so etwas unvorteilhaft zu ergänzen. In der engagierten europäischen Debatte hält man es nun doch schon seit einiger Zeit für klüger, theoretisch nur von einer einzigen menschlichen Rasse auszugehen.

Wie schon bei ihren Ausführungen zur Hybridität haben die beiden Theoretiker so auch Schwierigkeiten, sich von den - formal kritisierten - multikulturalistischen Volks- und Rassevorstellungen begrifflich abzuheben. Den Formulierungen in Empire liegen immer wieder wesenhaft oder natürlich vorgestellte Konstruktionen von Subjekt und Gesellschaft zu Grunde. Erstaunlich essenzialistisch argumentieren sie daher auch bei der Forderung nach einem »anthropologischen Exodus«. So kann es passieren, dass sie in den beschreibenden Passagen die Schwächen und Abgrenzungsrituale alter autonomer Identitäts- und Lebensweltpolitiken affirmieren und hinter ihren theoretischen Grundentwurf zurückfallen. »Ästhetische Mutationen des Körpers« durch Piercing, Tätowierungen oder Praktiken des Punk interpretieren sie unmittelbar als »erste Anzeichen« einer »körperlichen Transformation«. Dabei gerieren sie sich noch als »weitaus radikaler« als die von ihnen zitierten Cyberpunk-Autoren: »Der Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich an familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierung des traditionellen Sexuallebens usw.«

Feuilleton und Lebenswelt

Trotz solcher Rückfälle in alte schematische Deutungsmuster erkennen Negri und Hardt »die wachsende Ununterscheidbarkeit ökonomischer und kultureller Phänomene« und liefern in anderen Passagen ihres Buches Argumente für eine neue - mehrdeutige, im sozialen Sinne hybride - oppositionelle Praxis.

Dies, und nicht etwa die vorher benannten essenzialistischen Schwächen, ruft sofort den marxologischen Konservatismus auf den Plan. Empire sei »als Kritik ein Bluff, in seiner Verheißung Kitsch«, tönt Georg Fülberth in der Zeitschrift konkret. Mehr als »eine Nominierung für den Literatur-Nobelpreis« wäre nicht drin. An Ressentiment wird nicht gespart. So fehlen Fülberth auch die positiven Bezüge auf »zum Beispiel Fleischereifachverkäuferinnen«. Stattdessen gebe es bei Hardt und Negri Lifestyle-Affirmation. Beweis: Anstelle debattierender Fleischereifachverkäuferinnen wurde auf den Berliner Seiten der FAZ »das Protokoll eines Empire-Lesezirkels« veröffentlicht. Und »an diesem nahmen teil: ein Journalist, ein Filmemacher, der zugleich Buchhändler und Kritiker ist, ein Philosoph, ein Verleger, eine Filmemacherin und eine Literaturwissenschaftlerin«. Was will uns der Herr Professor Fülberth damit wohl sagen? Muss er selbst etwa erst jeden Tag Koteletts verkaufen, bevor er sich über Zeitökonomie, Fleischereifachverkäuferinnen, das Empire und seine Lesezirkel auslassen darf? Wohl kaum.

Die Tatsache, dass Empire auch von Konservativen und in Medien wie der FAZ diskutiert wird, dient Detlef Hartmann ebenfalls als Beleg dafür, dass »der Empire-Diskurs nur ein Symptom, ein spekulatives Exerzierfeld für Einstellungsverschiebungen« von links nach rechts sein kann. Er orakelt sogar von einer Situation wie dem »Umbruch vor 1914«, der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als nicht wenige Dichter und Denker für die vaterländischen Kriege zu schwärmen begannen. Die Analysen von Hardt und Negri sind ihm »protofaschistisch getönt«.

Hartmann, altautonomer Kader und Rechtsanwalt in Köln, hält offensichtlich schon die theoretische Beschäftigung mit sich ändernden Techniken von Herrschaft und Macht für »faschistoid«. Er versucht Foucault gegen Negri und Hardt zu lesen, wobei es ihm vor allem um eine politische Setzung geht. Hartmann vertritt die Position, dass die Linke, wie schon die selig entschlummerte alte Autonomie, unbedingt eine separatistische Position einzunehmen habe. Befreiung sei nur von einem Außerhalb der bestehenden Gesellschaft denkbar, »das - selbstredend nicht mehr territorial begriffen - sich in allen Dimensionen der Gesellschaft als lebendige Schranke dem Zugriff entgegenstellt und zu neuer vielleicht (Foucault war da vorsichtig) revolutionärer Subjektivität formiert«.

Nicht-Orte des Widerstands. In manchen Beschreibungen mögen Negri und Hardt gar nicht so weit von Hartmanns alten separatistisch und lebensweltlich gedachten, dualistischen Politikvorstellungen entfernt sein. Doch in den zentralen begrifflichen Passagen trennen sie Welten. Negri und Hardt halten ein Außerhalb der Gesellschaft, den positiven Gegenort (auch im abstrakten Sinne) für nicht bestimmbar. Nach ihrer Theorie ist der Ort des Widerspruchs, der Utopie, ein Nicht-Ort; die Negation kommt mitten aus dem Empire, den Netzwerken, den Zentren und Peripherien, alles andere ist unmöglich und wäre anachronistisch gedacht.

Von daher sind sie auch gegen die Errichtung neuer autonomer Dörfer. Sie grenzen sich nicht ritualhaft und moralisierend gegen die Arbeit, die Moden und das Leben im Empire ab, sondern versuchen diesen selbst oppositionelle Perspektiven abzugewinnen. Und die fühlen und hören sich 2002 logischerweise anders an als der Sound der sechziger, siebziger oder achtziger Jahre. »Teilhabe lautet der Lockruf und spekuliert neben der Machtteilhabe auch auf die Müdigkeiten in der Linken, minoritär zu bleiben«, glaubt Hartmann Empire verstanden zu haben. Dabei wäre er als linker Anwalt selbst Beispiel für eine Praxis, die sich in einem System und in dessen Sprache bewegen muss, ohne dabei notwendigerweise den Willen zur Opposition verloren zu haben. Mit Negri und Hardt gesprochen: »Macht ist nichts, was über uns schwebt, sondern etwas, das wir schaffen.«

Imperialismus und Empire

Ernsthafter scheinen mir einige Einwände gegen Negris und Hardts Thesen zur künftigen Bedeutungslosigkeit nationalstaatlicher Politik. Zur Logik des Kapitalismus gehört seine Expansion und dadurch auch die Schaffung des Weltmarkts. So viel ist unumstritten. Das Kapital kann den Surplus nur aus Arbeit, neuen (nicht kapitalistischen) Märkten, Rohstoffen und Maschinen ziehen. In der Ordnung des Empire scheint so der Grundwiderspruch weiter zu bestehen, dass der Kapitalismus auf ein Außen angewiesen ist. Negri und Hardt gehen aber davon aus, dass nach der Auflösung der nationalstaatlichen Schranken das Kapital sich über die Netzwerkökonomie zusätzlich benötigte Produktionsmittel aneignet, »ohne notwendigerweise die jeweiligen Umgebungen zu kapitalisieren«. Nationalstaat und Imperialismus seien von daher nicht mehr von konstitutiver Bedeutung. Joachim Hirsch, einer der Theoretiker des marxistischen Regulationsansatzes, hält die Thesen von Negri und Hardt für puren »Ökonomismus«. Nationalität sei weiterhin »ein zentrales Element in der institutionellen Matrix des kapitalistischen Staates« ( Die Zukunft des Staates, 2001).

Intervention und Krieg. Negri und Hardt halten die Existenz des Empire jedoch »in Form einer unbegrenzten und einschließenden Architektur« bereits für eine empirische Tatsache. Jeder imperiale Krieg sei von daher heute »ein Bürgerkrieg, eine Polizeiaktion - von Los Angeles und Granada bis nach Mogadischu und Sarajewo«. Das Empire sei ähnlich dem Internet als ein virtueller Ort zu begreifen, dem es vor allem darum geht, seine Netzwerkmacht auszuweiten. Schon im Golfkrieg hätten deswegen die »USA als Weltpolizist nicht im Interesse des Imperialismus, sondern im Interesse des Empire« gehandelt. »So wie die römischen Senatoren im ersten Jahrhundert Augustus baten, im Interesse des Gemeinwohls die kaiserliche Regierungsmacht zu übernehmen, so bitten heute die internationalen Organisationen (Uno, internationale Finanzorganisationen, aber auch humanitäre Organisationen) die USA, die zentrale Rolle in einer neuen Weltordnung zu übernehmen.«

Negri und Hardt spüren die »Umrisse einer neuen globalen Hierarchie der Produktion« auf. Manche Gebiete sind von Kapitalströmen und Technologie komplett abgeschnitten, andere befinden sich in einer mittleren Position und können nur durch eine Informatisierung der Produktion wettbewerbsfähig werden.

Aber auch wenn große Konzerne, wie es Negri und Hardt feststellen, faktisch die Rechtsprechung und Autorität nationaler Staaten hinter sich gelassen haben, lässt sich deswegen tatsächlich behaupten, »dass eine geographische Zuordnung großer Zonen zum Zentrum oder zur Peripherie, zum Norden oder Süden nicht mehr möglich« sei? Auch die großen Konzerne scheinen weiterhin auf ein nationalstaatlich reguliertes Akkumulations- und Reproduktionsregime angewiesen zu sein. So könnte der zuletzt zunehmende militärische Interventionismus von Nato und USA vor allem der geostrategischen Sicherung nationalökonomischer Privilegien des Nordens dienen.

Mit dem Anspruch auf Aktualität mag in Empire manches überspitzt formuliert oder noch zu spekulativ erscheinen. Das Buch wird aber so rege diskutiert, weil es die großen Entwicklungen der Welt in der Tendenz plausibel und systematisch zu deuten und in einen übergreifenden kritischen Diskurs zu stellen vermag. Bei aller Kritik hat es von daher sicherlich den richtigen Stoff für noch viele Debatten.

Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die Neue Weltordnung, aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn, Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2002.