Südamerikas Staaten zwischen Bankrott und unerbittlich geführten Klassenkriegen

Diktatur und Demokratie

Diktaturen und Bürgerkriege bestimmten Südamerikas Geschichte bis in die achtziger Jahre. Die jungen lateinamerikanischen Demokratien sind davon bis heute geprägt. Ihr politischer Spielraum für soziale Veränderungen ist sehr gering. Dringend notwendige Reformen scheinen gegen den Widerstand international agierender Eliten immer noch nicht durchsetzbar.

Unter den Bedingungen des Kalten Krieges stützten die meisten Regierungen der USA und Westeuropas äußerst autoritäre und repressive Regime. Die Rolle eines Henry Kissinger, der 1973 den Putsch gegen den wohlfahrtsstaatlich orientierten Salvador Allende in Chile zusammen mit Augusto Pinochet organisierte, ist heute vielleicht noch bekannt. Aber auch in anderen Staaten wüteten die Militärs mit internationaler Rückendeckung. In Argentinien verschwanden zwischen 1976 und 1983 über 30 000 Menschen in den geheimen Todeslagern eines Regimes, dessen Führungsoffiziere fast ausnahmslos eine Ausbildung in US-Institutionen durchlaufen hatten. Damit soll nicht bagatellisiert werden, dass die Militärs in der Regel über eine große Anhängerschaft im eigenen Land verfügten. Dennoch war die US-amerikanische Militärpolitik sowie die internationale ökonomische Unterstützung bei der erfolgreichen Etablierung der Regime ein entscheidender Faktor.

Dies wird heute auch weitgehend anerkannt. Und sollte sich das Strafrecht weiter internationalisieren, könnte es für Berühmtheiten wie Kissinger noch einmal ungemütlich werden, vor allem auch für die Manager einiger Firmen. So wurde in den argentinischen Produktionsstätten von Mercedes, heute Daimler-Chrysler, während der Diktatur die aktive Gewerkschaftsopposition ermordet. Auch wird in den USA gerade über die Zulassung einer Klage gegen den Getränkehersteller Coca-Cola gestritten. Die Konzernleitung soll in eine anhaltende Serie von Morden an Gewerkschaftern bei ihren kolumbianischen Partnerbetrieben verwickelt sein. In Deutschland sind zum Fall von Mercedes in Argentinien ebenfalls Ermittlungen im Gang.

In vielerlei Hinsicht stehen die Regierungen Nordamerikas und Westeuropas sowie global operierende Unternehmen in Verbindung zu den jüngeren Entwicklungen in Südamerika. Kaum zu übersehen ist die Härte, mit der sie bis heute soziale Reformbewegungen bekämpfen. Noch in den achtziger Jahren intervenierten US-Dienste auf Seiten einer bereits geschlagenen Oligarchie in Nicaragua. Die Häfen wurden vermint, terroristische Banden bewaffnet, und es wurde so lange ein Wirtschaftsembargo verhängt, bis das sozialdemokratische Projekt des Sandinismus demoralisiert war. Heute gibt es in Nicaragua wieder Hungertote, und der Staat ist in der Hand der üblichen Verdächtigen.

Nicht immer sind die internationalen Interventionen wie in Nicaragua oder derzeit in Kolumbien so deutlich sichtbar. Kapitalzu- oder

-abflüsse sind stille und sehr wirksame Waffen. Eine angedrohte Kapitalflucht genügt zumeist, um Wahlergebnisse zu beeinflussen oder Kandidaten zu mäßigen. In Brasilien war dies lange ein besonders erfolgreiches Spiel.

Nicht wenige hofften, dass sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der Blockkonfrontation ein größerer Spielraum für demokratische Entwicklungen ergäbe. Ohne kommunistische Bedrohung verlöre auch der südamerikanische Staatsterrorismus seine Legitimität und Bündnisfähigkeit. Die neue Wirklichkeit schien sich durch eine Praxis wie die der Zapatisten in Mexiko anzukündigen, eine indianische Medien-Guerilla, die ihre Anliegen als moderne Bürgerrechtsbewegung formulierte. Doch Jahre später ist die Bilanz ernüchternd und auch in der demokratischen Wirklichkeit Mexikos bleiben die Zapatisten vom Militär umstellt.

Die südamerikanischen Staaten sind nach und nach zur parlamentarischen Demokratie zurückgekehrt, aber die Diktaturen wirken nach. Nicht nur, dass der Beginn der ersten großen Verschuldungskrise mit der Finanzierung der Gewaltherrschaft zusammenfällt. Die Spaltung der Gesellschaft in reich und arm, hell und dunkel wurde zementiert. Traumatisiert von den Jahren des Staatsterrorismus, kam es in Argentinien zuletzt nicht zur großen Explosion, auch wenn der Staatsbankrott einen erheblichen Teil der Kernarbeiterschaft und des alten Mittelstands in die neue Armut gestoßen hat.

Aber viele, die sich heute als Opfer der Krise sehen, waren an den Entwicklungen nicht ganz unbeteiligt. In den neunziger Jahren stimmten in Argentinien die Massen dem national-populistischen Präsidenten Carlos Menem begeistert zu. Die Mehrheit versprach sich von seinem wirtschaftsliberalen Kurs eigenen ökonomischen Erfolg. Dabei hätten in dieser Zeit eine weniger mafiöse Nationalregierung und eine halbwegs intakte Gesellschaft das Steuer noch herumreißen können - trotz IWF und ausländischen Interessen. Wahrscheinlich hätte sich für die vielen zuvor schon Marginalisierten dadurch wenig verbessert. Aber Millionen anderen ArgentinierInnen wäre der Abstieg erspart geblieben. Wo die heutigen Demokratien keine Möglichkeit zur Teilhabe an Wohlstand, Gerechtigkeit und Glück bieten, sind auf absehbare Zeit harte Konfrontationen unausweichlich. In Venezuela versucht ein demokratisch gewählter Präsident, die nationale Hoheit über den Ölreichtum des Landes zurückzugewinnen. Käme er selbst nicht aus der Armee des Landes, seine Macht wäre längst verbraucht. Die Ursachen für eine starke gesellschaftliche Polarisierung sind in Südamerika weiter gegeben. Von Bolivien bis Ecuador agieren starke indianische Bewegungen, die ihren sozialen Ausschluss zum Teil mit antiwestlicher Rhetorik verbinden. Eine für Linke auch nicht gerade angenehme Perspektive.

Und wohin steuern bei all dem die USA und ihre Verbündeten? In Kolumbien finanziert die US-Regierung unverdrossen den Bürgerkrieg eines vormodernen, staatsterroristischen Regimes. Angeblich geht es um eine gerechte Sache, den »Krieg gegen Drogen«. Das ist jedoch kaum zu glauben. Wollte man die negativen Folgen der Drogenökonomie beseitigen, bräuchte man diese nur legalisieren. Aber an einer öffentlichen Kontrolle dieses Marktes haben all diejenigen kein Interesse, die am Schwarzhandel - vor allem in den reichen Konsumentenländern - Milliarden verdienen und einen Staat im Staate bilden. Deswegen und weil der ländliche Feudalismus den internationalen Konzernen billige Arbeitskräfte sowie die Ausbeutung riesiger Erdölvorkommen verspricht, gilt in Kolumbien wie auch in anderen Staaten außerhalb der Wohlstandszentren weiterhin eine rein repressive Strategie.