Über »Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom« von Mona Yahia

Bad Days in Bagdad

Mona Yahia erzählt in ihrem Debütroman von der Flucht einer jüdischen Familie aus dem Irak der sechziger Jahre.

»Für meine Eltern, die mir Sprachen gaben statt Wurzeln«, lautet die Widmung, die Mona Yahia ihrem Debütroman »Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom« voranstellt. Die Autorin wurde 1954 in Bagdad geboren und floh 1970 über den Iran nach Israel, wo sie an der Universität von Tel Aviv Psychologie und Französisch studierte. Seit 1985 lebt sie in Deutschland. Ihren ersten Roman hat sie im Jahr 2000 auf Englisch veröffentlicht, denn »englisch schreiben war eine intuitive Entscheidung. Die englische Sprache hat mich nie verletzt oder im Stich gelassen oder missbraucht, wie das Arabische, und auch keinen Absolutheitsanspruch erhoben, wie das Hebräische. Im Gegenteil, als eine fremde Sprache lässt sie mir die sichere Distanz zu meiner Welt - ein Niemandsland in meinem Kopf«.

Sie erzählt die Geschichte von Lina, einem jüdischen Mädchen, das Mitte der fünfziger bis Ende der sechziger Jahre in einer Mittelschichtfamilie in Bagdad aufwächst. Diese Zeit ist geprägt von wechselnden Regimes, wirtschaftlicher Instabilität und zunehmender Ausgrenzung und Verfolgung der Juden im Irak nach dem Sechs-Tage-Krieg. Aus der Sicht eines Teenagers beschreibt Mona Yahia das Alltagsleben, mit seinen Ereignissen, Gerüchen, Farben und Klängen in der Familie, in der Schule, mit Freunden, und schildert, wie Verunsicherung, Angst und Bedrohung dieses einst sorglose, behütete Leben mehr und mehr überschatten. Lina bekommt zu spüren, wie sich die Atmosphäre im Land zunehmend radikalisiert und gegen die jüdische Minderheit richtet.

Nach dem Sechs-Tage-Krieg wird die jüdische Schule, die Lina besucht, vom Staat übernommen. Ihr Vater vernichtet Familienfotos und Dokumente. Lina erfährt, dass die Verwandten, von denen Briefe aus Amerika kamen, in Wirklichkeit in Tel Aviv leben. Filme jüdischer Filmstars werden verboten, Nachbarn grundlos verhaftet, der Geheimdienst beschattet das Viertel, die Konten von Juden werden eingefroren und sie erhalten keine Pässe mehr. Während sich die Landkarte im Nahen Osten radikal verändert, wird Lina allmählich erwachsen: die erste Menstruation, die ersten Erlebnisse mit Jungs. Sie verschlingt Liebesromane und entdeckt, dass im französischen Schullexikon die Flagge eines Landes, das alphabetisch zwischen Irland und Italien liegt, unsichtbar gemacht worden ist. Es kommt schließlich so weit, dass sie beschließt, ihre Muttersprache, das Arabische, aktiv zu verlernen, indem sie jeden Tag einen Buchstaben mehr aus ihrem Wortschatz entfernt. Ihr Bruder Shuli zeichnet einem Mitschüler auf dessen Frage einen Davidstern an die Tafel. Er wird denunziert und wegen angeblicher zionistischer Propaganda verhaftet. Die Familie beschließt nun, so bald wie möglich das Land mit Hilfe von Fluchthelfern zu verlassen, um in Israel ein neues Leben zu beginnen.

»Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom« ist zugleich die Geschichte einer Kindheit, einer Familie und die Geschichte der Juden als Minderheit in der irakischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Ob Mona Yahia von einem unbekümmerten Purim-Abend erzählt, an dem man sich zu Kartenspiel und anderen Vergnügungen trifft, vom Schwimmunterricht im Tigris oder die Hinrichtung auf dem Tahrirplatz schildert, bei der neun der 13 Ermordeten Juden sind - es sind immer unterschiedliche Geschichten und Erzählebenen gleichzeitig präsent. Ein vielfarbiges Gewebe entsteht, lässt Persönliches und Politisches deutlich werden. Die Erzählkraft und poetische Sprache von Mona Yahia wird in englischsprachigen Ländern nicht zu Unrecht mit der Salman Rushdies verglichen.

Es geht in diesem Roman um grundlegende Fragen nach Identität, Zugehörigkeiten, Sprachen und nach Heimat und deren Verlust. Obwohl die Autorin die Verfolgung der Juden im Irak detailliert erzählt, sind es nach der Lektüre die lebensfrohen Aspekte, die stärker in Erinnerung bleiben.

Gerade deshalb ist es gleichzeitig ein trauriges Buch, denn es zeigt - unabhängig vom Schicksal der irakischen Juden unserer Zeit -, wie die älteste und eine der bedeutendsten jüdischen Diaspora-Kulturen vernichtet wurde. Die Kultur der irakischen Juden, die heute in der Welt verstreut sind, ist großenteils eine virtuelle. Auch in Deutschland - besonders in Hamburg - leben irakische Juden. Das Buch von Mona Yahia zeigt deren historische und biografische Hintergründe und macht uns somit auch mit der Geschichte einer Gruppe bekannt, die als unbekannte Minderheit in diesem Land lebt.

Mona Yahia: Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom. Eichborn, Frankfurt a.M. 2002, 432 S., 22 Euro