Über »Die jungen Jahre« von J. M. Coetzee

Das Programm des Junggeselleninsekts

J.M. Coetzee schildert das Elend, das der Rassismus produziert.

»Schlechte Nachrichten mag er nicht. Besonders schlechte Nachrichten über sich selbst mag er nicht.« Das Alter Ego, das John Maria Coetzee in seinem jüngsten Roman »In jungen Jahren« beschreibt, ist so unsympathisch wie unattraktiv. Es gleicht einem »furchtsam herumhuschenden Junggeselleninsekt«. Das weiß der Held, er macht sich keine Illusionen über sich, aber das will er nicht auch noch hören. Schon gar nicht von Frauen, die auf eigentümlich aseptische Weise in seinem Leben auftauchen, aber mit denen er nie wirklich in Kontakt tritt. »Er ist bereit, den Frauen in seinem Leben einen Pakt anzubieten: Wenn sie ihn als Rätsel behandeln, wird er sie als Buch mit sieben Siegeln behandeln.« Allein, mit seinen knapp 20 Jahren und abgewetzten Phantasien vom großen Dichter-Dasein, die seiner grauen Strickjacke angemessen sind, fehlt es ihm am Geheimnisvollen. Er ist langweilig, um nicht zu sagen leer. Also harrt er der Frau, die ihn verwandelt: Das Krabbeltier, in seiner Phantasie bereits zum Frosch avanciert, ist auf der Suche nach der Prinzessin. Er entschließt sich, ins Land seiner dichterischen Vorbilder überzusiedeln und dort auf die Verzauberung zu hoffen: Ein Schiff bringt ihn nach London.

Der siebte ins Deutsche übersetzte Roman von J.M. Coetzee, einem der wichtigsten und inzwischen auch international anerkannten südafrikanischen Autoren, erzählt das Leben eines jungen, weißen Mittelklasse-Südafrikaners in den frühen sechziger Jahren und porträtiert damit zugleich das gesellschaftliche Milieu, dem die Figur entstammt. Auf die herrschenden Verhältnisse und Machttechniken reagiert der Protagonist mit Scham und einem Fluchtimpuls.

Für die Entwicklung politischer Kategorien reicht das Interesse am Elend der anderen nicht aus. So flieht der Held »vor Banausentum. Vor dem Verfall moralischer Grundsätze im täglichen Leben. Vor der Schande«. Indem er seine Heimat verlässt, will er sein Handicap ausgleichen. Denn das 1962 im Bürgerkrieg verstrickte Südafrika bietet schlechte Voraussetzungen für die Entfaltung einer poetischen Seele. London, wie er feststellen muss, ebenfalls. Denn die Metropole empfängt ihn keineswegs als zukünftigen Dichter, sondern bietet ihm nur eine Existenz als Programmierer. Und so arbeitet »er« - Coetzee hat keinen Namen für seine Hauptfigur - zunächst für IBM und schließlich bei der britischen Konkurrenz International Computers. In beiden Firmen arbeitet er an Rüstungsprojekten. Immerhin entfällt hier die Scham. Zumindest solange er sich nicht als Südafrikaner zu erkennen geben muss, sondern als einfacher Ausländer durchgeht. »Mit achtzehn hätte er ein Dichter sein können. Jetzt ist er kein Dichter, kein Schriftsteller, kein Künstler. Er ist Programmierer in einer Welt, in der es keine dreißigjährigen Programmierer gibt. Mit dreißig ist man zu alt zum Programmieren: man wird dann etwas anderes - irgendein Geschäftsmann, oder man erschießt sich.«

Nüchterne Bilanzierung »emotionaler Vergletscherungen«, wie der Regisseur Michael Haneke sagen würde, ein nahezu unausgesetztes Scheitern der Hauptfiguren am Zwischenmenschlichen und immer wieder der durch die Apartheid bedingte Graben zwischen einer weißen und einer schwarzen Kultur, das sind die bestimmenden Themen von Coetzees Schreiben. »Die jungen Jahre« bietet einen autobiografischen Zugang zu seinem Werk an und wirft damit Schlaglichter auf eine Art Hintergrund-Plot für den Stil und die Themenauswahl des Autors. Mit beeindruckender Lakonie, Selbstironie und Härte beschreibt Coetzee einen jungen Mann, dessen verbissener Ehrgeiz, Schriftsteller zu werden, ihn in die Asozialität treibt. Auf Gefühle, die eigenen oder die seiner Gelegenheitsgeliebten - Freunde hat er nicht, kann keine Rücksicht genommen werden. Entsprechend lässt er die eigenen verkümmern, das ist einfacher. »Prosa verlangt zum Glück kein Gefühl: Das spricht für sie. Prosa ist wie eine glatte ruhige Oberfläche, auf der man in Ruhe kreuzen und Linien ziehen kann.«

Präziser lässt sich der kristallharte Stil kaum fassen, der auch die großen Romane Coetzees »Leben und Zeit des Michael K.« (1983) und »Schande« (1999) auszeichnet. Auch in »Schande«, dem Roman, der den Autor in sämtliche deutsche Bahnhofsbuchhandlungen brachte, wird von der Hauptfigur in diesem eigentümlich distinguierten, schneidenden Tonfall erzählt. Die Genauigkeit, mit der in diesem Roman auf das Leben des Literaturprofessors in Kapstadt geschaut wird - auch Coetzee arbeitet seit 1972 in diesem Job, konterkariert die unbeteiligte Haltung, die der Erzähler gegenüber seiner Figur einnimmt. Auch in diesem Roman scheitert der Protagonist an seiner bemerkenswert humorlosen Eigeninszenierung als unabhängiger Mann mit wechselnden Frauen, womit er sich immer wieder der Lächerlichkeit preisgibt. Aber zu Grunde gehen wird er schließlich an seiner Weigerung, sich mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen im Südafrika nach der Apartheid auseinanderzusetzen. »Ich bin ein erwachsener Mann. Ich bin Beratung nicht zugänglich.«

Wie in allen seinen Romanen enthält sich Coetzee jeder farblichen Attributierung seiner Figuren. Geprägt von einer Kultur, die die Menschen nach ihrer Hautfarbe sortiert, verweigert er sich diesem Ordnungssystem und konzentriert sich darauf, detailliert seine Konsequenzen zu beschreiben. Die Reaktionen lassen keinen Zweifel zu, welche Hautfarbe die jeweilige Figur hat. In seinem ersten Erfolgsroman »Leben und Zeit des Michael K.« sind zunächst die Hasenscharte und sein langsamer Geist das Stigma der Hauptfigur. Erst die Beschreibung, wie Michael von anderen behandelt wird, wie man ihn als »Affen« beschimpft, und schließlich die Schilderung seiner Odyssee, die ihn aus Erziehungsanstalten über Arbeitslager für Obdachlose ins Gefangenenlager für Flüchtige führt, weisen ihn für den Leser als Schwarzen aus. Und Coetzee verweigert jede entlastende Identifikation mit den Opfern. Auch Michael ist kein Sympathieträger. Coetzees Ziel scheint in erster Linie die Analyse einer weißen Perspektive auf die Rassentrennung zu sein. Diese produziert, so seine Überzeugung, eine Gewalttätigkeit bis in die kleinsten Alltagshandlungen hinein; sie produziert eine gewalttätige Subjektivität. Und zwar auf allen Seiten, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Folgen. Das Spannende und Irritierende an Coetzees Prosa ist, dass er sämtliche Entlastungsphantasien seiner Figuren demontiert und keine Alternative anzubieten hat.

J. M. Coetzee: Die jungen Jahre. Fischer, Frankfurt a.M. 2002, 224 S., 18, 90 Euro