25 Jahre Deutscher Herbst

»Wir müssen es fordern«

Interview mit Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Bundestages. Der direkt gewählte grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele fordert seit Jahren die Aufklärung der Todesnacht von Stammheim. Er war neben anderen Rechtsanwalt des RAF-Mitglieds Andreas Baader. Gemeinsam mit Otto Schily und Horst Mahler gründete er 1969 das Sozialistische Anwaltskollektiv, in dem er zehn Jahre lang tätig war. 1975 wurde er wegen »Missbrauchs der Verteidigertätigkeit« vom Prozess gegen die RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim ausgeschlossen. Die SPD warf ihn damals aus der Partei. 1980 wurde Ströbele wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Er soll am Aufbau eines illegalen Informationssystems der RAF-Gefangenen beteiligt gewesen sein. Viele Prozessakten jener Tage aus Ströbeles Kanzlei befinden sich inzwischen im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung und sind der Öffentlichkeit zugänglich.

Welche Möglichkeiten sehen Sie nach dem rot-grünen Wahlsieg als Abgeordneter der Grünen, die Öffnung der staatlichen Archive zu bewirken?

Ich sehe da wenig Möglichkeiten. Aber wir müssen es fordern und darauf drängen.

Welche Materialien würden zu einer Aufklärung des Todes der drei Gefangenen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim beitragen?

Es geht um die Protokolle und sonstigen Notizen über die Gespräche im damaligen Krisenstab, um die mitgeschnittenen Gespräche im Gefängnis in Stammheim, eventuell auch um Aufzeichnungen von Geräuschen aus dem Gefängnistrakt. Ich verstehe nicht, warum diese höchst wichtigen Dokumente nicht schon längst zugänglich gemacht worden sind. Wir wissen ja heute noch nicht einmal, wer genau an den Abhörmaßnahmen beteiligt gewesen ist.

Wenn man jetzt einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema ins Leben rufen würde, welche Zeugen wären zu befragen?

Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist wenig wahrscheinlich. Aber wenn man das ganze Geschehen der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 aufklären wollte, müsste man die damals dienstführenden Vollzugsbeamten fragen, die bis heute öffentlich mit diesen Fragen nie konfrontiert wurden. Genauso wichtig wäre es, den damaligen Justiz- und den damaligen Innenminister in Baden-Württemberg zu befragen, welche Kenntnis sie darüber haben, was damals im Gefängnis passiert ist. Nicht zuletzt sind die Beamten des Bundeskriminalamtes, die in dieser Zeit in Stammheim ein- und ausgegangen sind, wichtige Zeugen.

Bringt die Frage »Selbstmord oder Mord« das Aufklärungsinteresse auf den Punkt?

Es sind ja unterschiedliche Fallgestaltungen denkbar. Es gibt bis heute eine ganze Reihe von ungeklärten Fragen und Ungereimtheiten. Solange die Kenntnislage sich auf so dünne Fakten beschränkt, sind durchaus auch andere Szenarien möglich.

Nun, wo so mancher ehemalige Linksradikale in Amt und Würden ist, wäre die bedingungslose Offenlegung der Akten und der Abhörprotokolle der ehemaligen Genossen an der Zeit. Warum geschieht nichts?

Für viele, die damals ein Teil der systemkritischen Opposition waren, scheint alles geklärt zu sein. Insgesamt scheint das Interesse an einer Aufklärung der Ereignisse bisher gering.