Die figur des Mannes in der Krise

Die Figur des Mannes in der Krise

Weil der Patriarch nicht mehr taugt, betreiben seine Söhne ein Krisenmanagement.

Alfred Lambert streicht seit Wochen ein kleines Korbsofa. Mehr als die Füße hat er bislang nicht geschafft. Die Angst drückt den Rentner in seinen blauen Ledersessel, der im Keller landete, weil er nicht zur restlichen Wohnungseinrichtung passte. »Albert folgte ihm.« Jonathan Franzens Roman »Die Korrekturen« handelt vom Irrsinn der normalen Welt und erzählt die Geschichte der Familie Lambert.

Insbesondere ihre männlichen Mitglieder machen einen reichlich mitgenommenen Eindruck. Zwar stehen die beiden Söhne nicht wie der Vater kurz vor dem Abgleiten in die Demenz, wohl aber am Rande der Depression. Gary, der Spießer und Banker sowie zweifache Vater, deutet seine lähmende Angst vor dem Leben und mehr noch vor seiner Frau als unausweichliche, da väterlicherseits vererbte Depression und sucht beim Alkohol und schließlichen Wiederaufbau seiner Modelleisenbahn Schutz.

Sein jüngerer linksintellektueller Bruder weist sämtliche Versagermerkmale des männlichen Großstadtsingles um die 30 auf und stolpert auf seinem Weg zum Literaturprofessor über eine peinliche Affäre mit einer Studentin. Er verliert seinen Job an der Uni und versucht, der ihm gleichermaßen eigenen Orientierungslosigkeit mit der Verengung seines Blicks auf weibliche Brüste, der Umstellung seiner Garderobe auf hautenge Lederklamotten und der Niederschrift eines drittklassigen Drehbuchs zu entgehen.

Auch um die weiblichen Lamberts steht es nicht eben gut. Aber anders als die ins Trudeln geratenen Herren verfolgen sie ein Ziel und wahren eine gewisse Haltung. Die Mutter Enid kämpft für ein letztes gemeinsames Weihnachtsfest; die Kinder sollen sehen, wie das Zusammenwohnen mit einem kranken Patriarchen, sprich: einer »regierungsunfähigen Regierung«, ihr das Leben zur Hölle macht. Das ist ihr verbissenes Jahresendziel und sie wird es erreichen.

Ihre schöne Tochter Denise arbeitet sich im Gegensatz zu ihren Brüdern die Seele aus dem Leib, scheitert zwar schon nach wenigen Wochen in ihrer Ehe, aber reüssiert anschließend umso schneller als Meisterköchin und Restaurantbesitzerin. Bei allen privaten Turbulenzen ist sie diejenige, die die Fäden in der Familie zusammenhält.

Franzens Familienroman demontiert mit Vergnügen auf knapp 800 Seiten die weiße, mittelständische Kleinfamilie in ihrer bigotten Unterwerfung unter das männliche Familienoberhaupt. Er beschreibt eine in die Krise geratene, da am starken Mann orientierte Normalitätsvorstellung und fügt sich damit in einen Krisendiskurs ein, der in den neunziger Jahren enorm an Präsenz gewonnen hat.

Es gibt kein Politmagazin, das die »Krise des Mannes« noch nicht als Titelstory vermarktet hätte. »Mannsein ist zur hochriskanten Lebensform« avanciert, heißt es im Geo Wissen Special »Frau und Mann« im Jahr 2000. Der Mann sei »zum gebrechlichen Geschlecht« geworden, titelte der Spiegel und brachte im vergangenen Jahr ein Dossier über Männer und Gesundheit. Der Focus füllte mit der »Krise des Mannes« in diesem Jahr das Sommerloch.

Arte widmete dem ins Hintertreffen geratenen Mann einen Themenabend mit dem Titel »Der Mann in der Krise?« und zeigte Dokumentarfilme über Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und den sexuellen Missbrauch an Jungen; im Anschluss folgte eine Reportage über erfolgreiche Karrierefrauen. »Überall droht dem Mann die Erkenntnis, dass seine Entbehrlichkeit nur eine Frage der Zeit ist«, sagte die Moderation.

Die Sachbücher über die Männerkrise, z.B. »Männer - eine Spezies wird besichtigt« (2001) von Dietrich Schwanitz oder »Männer - das betrogene Geschlecht« (2001) der Pulitzer-Preisträgerin Susan Faludi, führten wochenlang die Bestsellerliste an und dienen immer noch als beliebte Referenz, wenn es an sachdienlichen Hinweisen zur »Krise der Männer« fehlt. Sie attestieren jeweils eine gefährliche, da unnatürliche »Verweiblichung« der Gesellschaft, die den normalen Mann ins Abseits katapultiere.

Helden der Farblosigkeit

Nun leben alle Gazetten, Magazine, Feuilletons, das Kino und die Literatur von Krisenszenarien. Eine Person oder mehrere, egal welchen Geschlechts, haben ein Problem, und der eingeschlagene Lösungsweg bestimmt den Spannungsbogen und das Genre. Und jede Epoche hat ihre genre- wie zeittypischen Krisenfiguren.

In den Siebzigern waren es die einsame, unterdrückte, von Psychopharmaka abhängige Hausfrau und der orientierungslose Vietnamveteran. In den Achtzigern führten der Arbeitslose und der Nicht-Weiße die Liste der Systemverlierer an. Nun hat es offenbar den normalen, unauffälligen Mann von nebenan erwischt.

Und zwar nicht ohne kommerziellen Grund, wie der Modejournalist Giannini Malossi nüchtern anmerkt. In jedem Fall bedarf die Männermodeindustrie des zumindest stilistisch verunsicherten Mannes. »Heutzutage profitiert die Modeindustrie, die generell vom Medienspektakel bzw. vom Spiel mit spektakulären Skandalen lebt, von der enormen Aufregung, die die Umdeutung von Männlichkeit in das Stereotyp der Krise produziert. Es ist der alte und so erfolgreiche Trick vom Kaiser in neuen Kleidern.« Ohne Identitätskrise, und damit Identitätssuche, gibt es keine Ausdifferenzierung der Stile, keine Männermode, keine Männer in Mode.

Großer Beliebtheit erfreuen sich Michel Houellebecqs Helden der Farblosigkeit. Von ihrem freud- und sexlosen Dasein so gelangweilt wie ausgezehrt, begehen sie reihenweise Selbstmord. Die Mode als Trostpflaster ist ihnen ob ihrer Hässlichkeit und ihres Geizes verwehrt. »Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression«, heißt es gleich zu Beginn von »Ausweitung der Kampfzone«.

Diese Tristesse bestimmt generell die Rede von Männern in der Krise und durchzieht auch die späteren Romane Houellebecqs. In »Plattform« (2002) ist der Held ein unscheinbarer Angestellter ohne Anschluss und Innenleben. Die Ermordung seines Vaters nimmt er ohne nennenswerte Gefühlsregung zur Kenntnis und zeigt sich stattdessen über die ihm daraufhin entgegengebrachte Aufmerksamkeit erfreut. Am Abend vor der Beerdigung lungert er im ehemaligen Elternhaus herum, setzt sich auf den Hometrainer seines bis zuletzt jugendbesessenen Vaters, registriert einen Blutfleck, der vom Mord kündet, und kaut mit der siegesgewissen Boshaftigkeit des Überlebenden eine Vitamintablette. Dann schläft er betrunken vor dem Fernseher ein und fällt alsbald wieder in seine Lethargie zurück, bis er die Freuden des Sextouristen kennenlernt.

Houellebecqs Romane versammeln die typischen Merkmale einer derzeit massenfähigen Inszenierung von Durchschnittsmännern als unsympathische, aber irgendwie auch bemitleidenswerte Versager. Merkmal 1: Der typische Mann langweilt sich (fast) zu Tode. Sein tiefgreifendes Desinteresse an anderen Menschen, sein gekränkter Narzissmus und seine Konsumabhängigkeit machen ihn zum Single. Houellebecqs melancholische Antihelden sind so boshaft wie die Welt, was das Ganze nicht besser macht.

Merkmal 2: Sie haben Angst und klagen über ihre Nichtsnutzigkeit. So behalten sie immerhin das letzte Wort. Houellebecqs Prosa literarisiert ein Lamento des Durchschnittsmannes, der keine Verantwortung für sein sinnentleertes Leben zu übernehmen bereit ist.

Merkmal 3: Die Männer fühlen sich in der kapitalistischen Welt nicht mehr zu Hause. Sie wächst ihnen über den Kopf. In der Folge werden die Krisenmänner schizophren oder depressiv.

Merkmal 4: In keinem Fall überleben die Helden ihr offenkundiges Zurückbleiben hinter vorherrschenden männlichen Idealbildern. Sie werden erschossen, wie der traurig-trottelige Familienvater in Sam Mendes' »American Beauty« (1999). Oder sie erschießen sich selbst, wie in der spektakulären Schlussszene von David Finchers Kultfilm »Fight Club«.

Bei Houellebecq fahren die überflüssigen Herren entweder schnöde gegen einen Baum (»Ausweitung der Kampfzone«), gehen ins Wasser (»Elementarteilchen«) oder in die Psychiatrie, und in »Plattform« endet das Elend mit dem Griff zur Schusswaffe. Franzens Vaterfigur flüchtet in seiner Ohnmacht in den Hungerstreik. Die Söhne überleben.

Somit ließe sich als Zwischenbilanz festhalten, dass Einsamkeit, Existenzangst und Weltekel, die Rhetorik des Lamento und der Melancholie allgemeine Bestandteile eines Diskurses sind, der den weißen, heterosexuellen Mann als vorrangiges Opfer einer aus den Fugen geratenen Gegenwart inszeniert. Hinzu kommt die Abrechnung mit selbstbewussten, besser verdienenden Frauen als verhassten Siegerinnen einer als bedrohlich erlebten Leistungsgesellschaft. »Cathérine Lechardoy (...) ist fünfundzwanzig, hat ein Techniker-Diplom und schlechte Zähne. Ihre Aggressivität ist erstaunlich«, heißt es in der »Ausweitung der Kampfzone«.

Interessant ist, dass der Krisenmann seinem Publikum keine positive Identifikation anbietet, der Krisenpop aber sehr wohl die Identifikation sucht. So bietet er statt kuscheliger Helden ein melancholisches Lebensgefühl, gepaart mit abgründigem Humor zur Widerspiegelung der eigenen Befindlichkeit an. Sowohl Franzen als auch Houellebecq, Fincher und Mendes fangen eine Weltuntergangsstimmung ein, mit dem heruntergekommenen männlichen Bürger als Signum des Abstiegs. Wenn selbst der Normbürger die Anwärterschaft auf das kleine Glück eingebüßt hat, dann scheint etwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Mit dieser Einschätzung wiederum können sich Millionen Menschen in den westlichen Industrieländern identifizieren.

Fallende Väter und fallende Aktien

Franzen schlägt in seinem Familienroman den Bogen etwas weiter. Er historisiert die Identitätskrisen der männlichen Thirtysomethings, indem er als Ursache für die Krise der Männer ihre Fixierung auf den großen Patriarchen, den Vater, sieht. Zumeist werden in der Literatur und im Kino übermächtige Frauen, die sich komplett mit dem System arrangiert haben (so auch in »American Beauty«) für die Kläglichkeit der Männer verantwortlich gemacht. Franzen greift diese Rede auf und führt sie als Neidgeste vor, die im grundsätzlicheren Problem der Fixierung auf den Vater wurzelt. Die Brüder sehen in dem gebrechlichen alten Mann noch immer den gefürchteten Vater, der einst mit seiner Arbeit bei der örtlichen Eisenbahngesellschaft und seinem Ledergürtel für Ordnung sorgte. Sie weigern sich, das Offensichtliche zu sehen: seine Schwäche. Also leiden sie, wie auch der Vater, an Realitätsverlust. Der Autor geißelt sie dafür, indem er die Brüder über hunderte von Seiten ins Lächerliche zieht.

Als Vater Alfred seinen ersten Selbstmordversuch unternimmt, lauscht seine Frau gerade einem Vortrag über fallende Aktienkurse, jene im Titel angesprochenen »corrections«. Fallende Kurse und fallende Männer, Werthaltiges, das abstürzt, das sind die beiden miteinander verschränkten Motive des Romans, die ihn unverkennbar in der Gegenwart ansiedeln. Immer wieder ist vom Fallen die Rede, und der Sturz des Vaters von Bord eines Vergnügungsdampfers, viele Stockwerke hinunter tief ins Meer, ist die bizarre Metapher für das Ende des traditionellen Patriarchats. Der Patriarch alten Schlages befindet sich im Sturzflug, sein Fall löst eine Krise aus, aber insbesondere die Söhne sind mit dem Krisenmanagement heillos überfordert. Ihre Angst schlägt nach dem Sturz, der dann doch allen die Augen öffnet, in Abwehr um. Der Alte ist ihnen lästig.

Seine Frau hingegen ist zunächst vor allem verärgert über die Gebrechlichkeit ihres Mannes. Dafür hat sie nicht jahrezehntelang den Sex mit ihrem Mann erduldet, dass sie nun, mit 75 Jahren, doch noch selbstständig werden muss. Außerdem passt das alles nicht in ihre Ordnungsvorstellungen.

Deshalb fällt ihr, als sie ihren am Fenster vorbei segelnden Mann sieht, zunächst auch nur seine schäbige Kleidung auf: »Schaute man aber rein zufällig gerade auf das besagte Fenster (...), dann waren vier Zehntelsekunden mehr als genug, um in dem fallenden Objekt den Mann zu erkennen, mit dem man seit siebenundzwanzig Jahren verheiratet war; genug um zu bemerken, dass er den grässlichen schwarzen Regenmantel trug, der völlig aus der Form geraten war und niemals in der Öffentlichkeit hätte getragen werden dürfen (...); genug, um nicht nur die Gewissheit zu haben, dass etwas Entsetzliches geschehen war, sondern sich zudem als Eindringling zu fühlen, als wäre man Zeuge eines Vorgangs geworden, für den die Natur einen niemals als Zeugen vorgesehen hatte, eines Vorgangs vergleichbar mit dem Aufprall eines Meteoriten oder der Kopulation von Walen; ja sogar genug, um den Ausdruck auf dem Gesicht des Ehemannes wahrzunehmen, die beinahe jugendliche Schönheit, den sonderbaren Frieden, denn wer hätte je geahnt, mit welcher Anmut der wütende Mann fallen würde?«

Die Krise der Kippfigur

Die Krisenszenarien bearbeiten die Differenz zwischen der Norm, dem Individuum und dem Ideal. Der normale Mann als Prototyp einer patriarchal orientierten Gesellschaft bleibt hinter dem Ideal der Männlichkeit zurück. Er wirkt kläglich. Die Krisenszenarien konstatieren das, verhandeln aber nicht etwa den ohnehin unauflösbaren Widerspruch zwischen dem Phänotyp (Mann) und dem Prinzip (Männlichkeit), sondern die Irritation dieses Verhältnisses.

Grundsätzlich definiert sich eine patriarchale Ordnung dadurch, dass sie weiße, heterosexuelle Männlichkeit als Norm festlegt und Weiblichkeit, Nicht-Weiß-Sein und Homosexualität als das »Andere« nach- bzw. unterordnet. Wenn aber weiße, heterosexuelle Männer selbst zur unerwünschten Abweichung von der Regel werden, gerät die patriarchale Ordnung in Schwierigkeiten. Das Krisenszenario signalisiert jene Gefährdung, indem es auf die vermeintlich eingebüßte Fähigkeit des Normalmannes aufmerksam macht, zwischen Gegensätzen zu oszillieren und damit Normen zu fixieren, ohne selbst festgelegt zu sein.

Gehen wir einen Schritt weiter zurück. Die patriarchale symbolische Ordnung basiert nicht allein auf der Kolonisierung von Differenzen im binären Code, sondern konnotiert außerdem beide Positionen als männlich. Der Mann, dem es gelingt, sich in ein produktives Verhältnis zur symbolischen Ordnung zu setzen, ist gleichzeitig drinnen und draußen, ist sowohl Familienvater mit vielen menschlichen Schwächen als auch Gott.

Dieses produktive, da »bewegliche« Verhältnis zur symbolischen Ordnung lässt sich mit einer Denkfigur Jacques Derridas näher beschreiben. Es geht um das Prinzip des entzogenen Zentrums. Die Metaphysik konzipiere Gott, so Derridas These, sowohl als das alles organisierende Zentrum als auch als das nie erfassbare Außen: das immer schon entzogen gewesen seiende Zentrum, das - zumindest in der jüdisch-christlichen Tradition - in keinem Bild festgestellt werden dürfe. Der Mann nun, der sich dem Verwertungssystem nicht mehr entziehen kann, nur noch Objekt desselben, nicht mehr drinnen und draußen ist, funktioniert nicht mehr als Zentrum. Er hat die Kontrolle, die Übersicht, die Distanz verloren. Die ihm angestammte Machtposition, die ihn als übergeordnete, in die Selbstverständlichkeit naturalisierte Norm diskursiviert, ist in dem Moment, in dem ihm die Möglichkeit zum Rückzug genommen wird, nicht mehr zu halten.

Die Krise besteht also in der Aussetzung des Oszillierens zwischen Norm und Abweichung. Sie besteht in der Stillstellung des Normmannes auf eine Position innerhalb des Systems ohne Transgressionsmöglichkeit; besteht in seiner Fixierung auf ein Konsumentendasein. Der Normalmann als Konsumjunkie, wie ihn Houellebecq, Fincher und in abgeschwächter Form auch Franzen zeichnen, ist eine Figur, der ein über den Moment und über das Spektakel hinausgehendes Etwas, gar ein Lebenssinn nicht abzuringen ist.

»Du bist nicht dein Job, du bist nicht das Geld auf deinem Konto, nicht das Auto, das du fährst, nicht der Inhalt deiner Brieftasche. Und nicht deine blöde Cargo-Hose (besonders betont): Du bist der singende, tanzende Abschaum dieser Welt«, beschimpft Brad Pitt in »Fight Club« seine Geschlechtsgenossen. Das ist das Problem.

Ein funktionierender Mann muss sich seiner Festlegung auf die Rolle des Tanzbären erwehren. Denn er hat, darauf weist Judith Butler hin, seiner Definition in bürgerlichen Gesellschaften gemäß die Aufgabe, eine geschmeidige Widersprüchlichkeit zu realisieren: »Der Mann ist eine Figur der Körperlosigkeit, die aber dessen ungeachtet Figur eines Körpers ist, die Verkörperlichung einer vermännlichten Rationalität, die Figur eines männlichen Körpers, der kein Körper ist, eine Figur in der Krise, eine Figur, die eine Krise inszeniert, die sie nicht völlig unter Kontrolle hat.«

Butler rekapituliert hier die Konzipierung von hegemonialer Männlichkeit als Verkörperung von Vernunft, bei gleichzeitiger Negation jeder Körperlichkeit bzw. deren Übertragung auf das Weibliche. Diese Materialisierung des männlichen Geschlechts als Norm, im Sinne Butlers verstanden, vollzieht sich in der Inszenierung von Männlichkeit als Kippfigur zwischen dem Körper und dessen Durchstreichung. Damit aber steht das Hegemonie auszeichnende Vermögen, Orte, Positionen, Identitäten zu fixieren, in genuiner Verbindung mit dem krisenanfälligen Oszillieren zwischen den Gegensätzen. Gefährdung und Wirkmächtigkeit lassen sich folglich nicht als einander ausschließende Größen definieren, sondern sind in ein Bedingungsgefüge geordnet. Sie bilden eine Allianz.

Die Krise als Kur

Die Krise, sprich die Ausrufung einer für den weißen, heterosexuellen Mann ungünstigen Konstellation zwischen ihm und dem bürgerlichen Prinzip »Männlichkeit«, ist somit nicht mit der Schwächung hegemonialer Männlichkeit gleichzusetzen, auch wenn der eine oder andere Mann durch das Raster fällt. Die Krise figuriert den Modus, der das Prinzip Männlichkeit in Bewegung setzt und im Umlauf hält, indem es mit der Offenlegung der Differenz zwischen Mann und Prinzip beide immer wieder an veränderte gesellschaftliche Verhältnisse anpasst. Der Krisendiskurs funktioniert wie eine Kur, die die Krise bereinigen soll, die in der Irritation des besonderen Austauschverhältnisses zwischen dem Mann und der symbolischen Ordnung besteht.

Der gemeinsam mit Franzen als Shootingstar des US-amerikanischen Literaturbetriebs gehandelte David Foster Wallace exponiert diesen Machtmechanismus in seinen Erzählungen, die unter dem Titel »Kurze Interviews mit fiesen Männern« (2002) erschienen sind, mit bemerkenswerter Schärfe. Die Männer, die im Talkshow-kompatiblen Redeformat über ihre sexuellen Vorlieben und Werbungsstrategien Auskunft geben, sind arme Schweine; daran lassen sie keinen Zweifel.

Aber genau diese Exponierung ihrer defizitären Haltung Frauen gegenüber lässt sie eine überlegene Position einnehmen. Sobald die Damen Mitleid empfinden, das wusste schon Kierkegaards Verführer, schnappt die Falle zu: Denn sie beugen sich den Regeln der Opfer. »'Manchmal fange ich selber an zu heulen. So weit alles klar?' 'Aber hundertpro. Auf diese Weise kriege ich Mösen ohne Ende, kein Scheiß.'« Maliziös führt Foster Wallace vor, wie der gehandicapte Mann durch eine geschickte Inszenierung, die ihn zwischen Opfer und Autorität oszillieren lässt, sich die gewünschte Aufmerksamkeit und Unterwerfung der Frau erkämpft. Er ist ein Akteur und ein Objekt der Verhältnisse bzw. der skizzierten Situation.

Dass Foster Wallace es im Ungewissen belässt, wer mit wem in welcher Situation spricht und welchen Realitätsgehalt die Geschichten überhaupt haben, verleiht ihnen einen besonderen Charme. Seine Kurzgeschichten zeigen den Mechanismus des »Krisendiskurses Mann«, der den unter Druck geratenen Phänotyp entlastet und seine Sprecherposition sichert, indem er seine Defizite gerade nicht verheimlicht, sondern in gepflegter Rede artikuliert. Die wortreich ausgestellte Intimität, die bewusst mit dem Voyeurismus der Öffentlichkeit spielt, exponiert den maskulinen Kampf um Aufmerksamkeit mit allen männlichen Mitteln.

Der Trick ist, dass über das Eingeständnis des Versagens oder eines Defizits die Illusion eines »Darüberhinaus« produziert wird. Der einarmige Mann beispielsweise, der alles ficken will, was sich bewegt, aber eben nicht alles kriegt, inszeniert sich vor den Frauen als tiefgründiger Charakter, der viel mehr ist als ein armer Hund mit schmierigen Absichten. Und das kriegt er hin, indem er ihnen unausgesetzt erzählt, was für ein armer Hund mit schmierigen Absichten er ist. Sein weibliches Gegenüber hält ihn daraufhin für ehrlich und deswegen für einen irgendwie doch guten Menschen. Mittels dieser Illusion produziert er den Mehrwert, der verhindert, dass er auf die Position des Wichsers oder des Behinderten festgelegt wird. Ein Klassiker von »How to do Things with Words«.

Das trauernde Geschlecht

Männer sind, so hat es Baudelaire behauptet, das »trauernde Geschlecht«. Und auch der »Krisendiskurs Mann« ist getragen von einer Rhetorik der Melancholie, die nicht selten ins Lamento kippt. Sowohl Houellebecqs Thesenromane wie auch Franzens Familiensatire haben einen deutlich melancholischen Unterton, wobei Franzen die Klage der Männer konsequent ironisiert. Und richtig traurig wird es am Ende, wenn der alte Herr als letzte Verweigerungsstrategie in den Hungerstreik tritt.

Melancholie artikuliert immer einen Positions- und Machtverlust. Sie kreist, wie der Literaturwissenschaftler Edgar J. Forster ausführt, »ständig um diesen ersten Verlust, der sich als Versagen darstellt, und um die Möglichkeit, dieses Versagen zu leben. Der Melancholiker findet daraus keinen Ausweg, sondern er macht das Versagen zum metaphysischen Ort, den er anderswo nicht finden kann. Seine Strategien entfalten sich von diesem Punkt aus. Die Inszenierung des Versagens wäre eine aktive Strategie, mit diesem Versagen umzugehen. Die Rhetorik der Melancholie erlaubt es also, den erlittenen Machtverlust zu erkennen und zu betrauern. Genau dadurch eröffnet sie einen Raum für 'Männlichkeit' unter dem Zeichen des Unmännlichen.«

Die Grundvoraussetzung für eine als Ordnungsprinzip funktionierende Männlichkeit - das gleichzeitige Innen- und Außen-Sein - wird damit wieder erfüllbar. Der Mann ist in der Artikulation des Unmännlichseins, d.h. im Rekurs auf die Definitionsmacht auch hinsichtlich seiner selbst, wieder beides: Mann und Nicht-Mann, ein Konkretum mit einer Spur Transzendenz. Im Gegensatz zur Rhetorik des Lamento, die die Selbstreflexion durch den Gestus des aggressiven Trotzdem-haben-Wollens ersetzt, eröffnet die Melancholie in der Trauer um einen Verlust eine dritte Position, einen Ort neben »sich«. Damit entgeht sie der Starrheit der selbstgerechten Klage, die sich im Ressentiment gegenüber den »Anderen« verhakt und sich schließlich in der Wiederholung der immer gleichen Aussage »Ich will so bleiben, wie ich bin, aber anders sein« verschleißt.

Anders als die Melancholie erweist sich das Lamento, wie es sich bei Vertretern der so genannten Popliteratur oder beispielhaft bei Houellebecq findet, als eine wichtige Kompensationsstrategie im Rahmen der massenfähigen Exponierung des Norm-mannes als Schreckgespenst. Denn das Lamento bietet dem krisengeschüttelten Mann eine Schutzzone; er ist kläglich, aber behauptet sich als alleiniger Sprecher im Klagelied. Andere Sprechpositionen werden konsequent ausgeblendet. Als paradigmatisch für die alleinige Behauptung des Diskursplatzes »Mann« kann zum Beispiel »American Beauty« gewertet werden. Auch wenn der gerade zu sich selbst und in seine Vaterrolle zurückfindende Held am Ende dennoch schmählich vom Vietnamveteranen in der Waschküche erschossen wird, seine Stimme und seine Erzählung vom Untergang schließen das Szenario ab. Die Tochter, die Ehefrau, der flippige Jungmann - sie alle verstummen schließlich, und was zurückbleibt, ist eine Trauer über das traurige Ende eines traurigen Mannes.

Strampelnde Töchter

Das Interessante an »Korrekturen« ist, dass hier die Rede von Männern in der Krise nie als einzige mögliche Sicht der Dinge ernst genommen wird. Das Leiden der Söhne an ihren Vätern wird stets relativiert mit der Beschreibung der meist sehr pragmatischen Kriseninterventionen durch die weiblichen Personen im Haushalt. Sie wischen die Scheiße auf, kochen, hören zu und rufen hysterische Männer zur Ordnung.

Damit wird eine »männliche« Perspektive immer gebrochen und wird dadurch selbst zum Verhandlungsgegenstand. Franzen weiß um die Popularität der Rede von der Krise und flicht sie als ein zeittypisches Element in seine Romanhandlung ein. Der dem Krisendiskurs eigenen Fatalität hingegen folgt er nicht. Insofern korrigieren die »Korrekturen« eine Rede, die gerne mit dem Scheitern der Helden ein Ende der Welt verbindet. So stürzen in »Fight Club« in der Schlussszene die umliegenden Wolkenkratzer ein. Die Krisenmänner wollen die »Konten auf Null« stellen, und das scheint ihnen mittels Sprengsätzen auch zu gelingen. In Houellebecqs »Elementarteilchen« ist gar die Menschheit an ihr Ende gekommen und wird von glücklichen, da geschlechtslosen Klonen abgelöst.

Bei Franzen hingegen herrscht am Ende wieder Frieden. Enid nimmt Rache an ihrem Mann, der sie nie ernst genommen hat, indem sie die täglichen Besuche an seinem Krankenbett nutzt, ihm zu erklären, was er alles falsch gemacht hat. Nach seinem Tod sieht sie der Zukunft beherzt ins Auge: »Sie war fünfundsiebzig Jahre alt, und sie würde einiges in ihrem Leben ändern.« Die Söhne, allen voran Chip, überwinden ihre Existenzkrisen durch die Auseinandersetzung mit dem Vater. Sie gehen sowohl aus der Familienkrise als auch aus ihren Existenzkrisen gestärkt hervor; die Krise hat als Therapie genützt. Indem Franzen diesen Umstand in seine Familiengeschichte integriert, setzt er sich wiederum in Distanz zu seinen männlichen Figuren und ihren fatalistischen Selbsteinschätzungen.

In einem lichten Moment und mit Blick auf seine völlig runtergerockte Schwester erkennt Chip denn auch, dass er eigentlich der Glücklichste von allen ist. Eine Erkenntnis, die ihn erschüttert und auf die er zunächst gar nicht gekommen wäre. Schließlich steht er ohne Job, ohne Frau und mit einer Menge Schulden da. Aber er wird vom Vater geliebt wie niemand sonst.

Diese reichlich kitschige Wendung im Roman erzählt doch realitätsnah vom nach wie vor funktionierenden Prinzip der Filiation. Die Geschichte vom Erstarken des Lieblingssohnes, der in seiner Schwäche elterliche Anerkennung und zu allem Überfluss auch noch in der Physiotherapeutin seines Vaters die Frau fürs Leben findet, erzählt nicht nur von den Krisen der Männer, sondern auch von den wie bekloppt strampelnden Töchtern.

Den Töchtern jedoch widmet die Literatur keinen Krisendiskurs. Denises Scheitern als Ehefrau wird ihr insbesondere von der Mutter nicht verziehen. Liebe im Tausch für ihr verlässliches familiäres Engagement ist für sie von elterlicher Seite nicht zu erwarten. Stattdessen missgönnt Enid ihrer Tochter die Freiheit und den Erfolg, und auch der Vater hält bis zum Schluss Distanz zu seiner Mustertochter. Sie hat sich von einem seiner Kollegen entjungfern lassen. So viel weibliche Selbstbestimmung verkraftet er nicht.

Ihre Probleme werden totgeschwiegen, weil die Eltern keinen Umgang mit ihnen finden und die Brüder zu sehr mit sich und dem Neid auf ihre erfolgreiche Schwester beschäftigt sind, um dafür offen zu sein. »Ich höre hier auf zu existieren«, erklärt sie dem Bruder, der das nicht versteht. Ebenso bleibt ihre selbstverständlich verschwiegene lesbische Beziehung, die grandios scheitert, da die Schwester noch immer nach dem anerkennenden männlichen Blick sucht, ein unversöhntes Kapitel in ihrer Biografie.

Die ehrgeizigen Töchter der Jahrgänge zwischen 1960 und 1970, die alles daran gesetzt haben, dem Hausfrauenterror zu entkommen, und von ihren Müttern, den ewigen Opfern, immer wieder eingefangen werden, stellen wie ihre Brüder eine neue Generation ohne gesicherte Vorbilder dar. Aber für sie gibt es, und auch das beschreibt Franzen, noch keine Kriseninszenierung, die ihnen auch Schutz gewähren würde.

Und auch keine Erzählung, die ihre Verwirrung überhöhen könnte. Denise bleibt mit ihrem Chaos am Ende allein. Dafür aber darf sie den schönsten Satz im Roman sagen: »Normalität kenne ich nur aus dem Rückspiegel.«

Jonathan Franzen: Die Korrekturen. Rowohlt, Reinbek 2002, 781 S., 24,90 Euro
David Foster Wallace: Kurze Interviews mit fiesen Männern. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 380 S., 22,90 Euro
Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone. Wagenbach, Berlin 1999, 154 S., 17,50 Euro
Michel Houellebecq: Elementarteilchen. DuMont, Köln 2000, 356 S., 18 Euro
Michel Houellebecq: Plattform, DuMont, Köln 2002, 339 S., 24 Euro