Wie Houellebecq sich Lovecrafts bemächtigte

Die Welt stinkt

In einem Essay des französichen Feuilleton-Dauergasts Michel Houellebecq erhält der amerikanische Fantasyautor H.P. Lovecraft postum literarischen Beistand. Zwischen Houellebecqs Lebensfeindlichkeit und Lovecrafts Nihilismus liegen aber Welten.

»Der Fischgestank, der einen Augenblick lang nachgelassen hatte, wurde plötzlich wieder unerträglich.« Und: »Geradezu allgegenwärtig war der ekelhafteste Fischgestank, den man sich vorstellen kann.« Und: »Der Geruch dieses einzigartigen Besuchers war wirklich ekelhaft.« Die Welt stinkt in den Geschichten von H. P. Lovecraft. Das Fremde, das Furchteinflößende, kündigt sich stets durch seinen bestialischen Gestank an. Auch in den Romanen von Michel Houellebecq stinkt die Welt manchmal, aber ganz anders: »Nur ganz selten nahm ich eine Privatkabine für fünfhundert Franc; und zwar nur, wenn mein Pimmel nicht auf der Höhe war, wenn ich den Eindruck hatte, dass er einem kleinen, anspruchsvollen, nutzlosen Fortsatz ähnelte, der nach Käse roch.«

Michel Houellebecqs erstes, bereits 1991 in Frankreich veröffentlichtes Buch ist eine Hommage an Howard Phillips Lovecraft, einen großen Erzähler phantastischer Literatur, aber es ist auch, wie Joachim Kalka in einer Beurteilung des Buches schreibt (Literaturen, 10/02), »ein Versuch über Houellebecq«. Dieser unternimmt keine geringen Anstrengungen, Lovecrafts Werk gegen Anfeindungen in Schutz zu nehmen, und rennt damit offene Türen ein, denn längst ist es anerkannt, in Frankreich vermutlich noch mehr als hierzulande. Gleichzeitig unternimmt er aber den Versuch, in geradezu rührender vorauseilender Inschutznahme, die eigenen zukünftigen, zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Essays noch ungeschriebenen Werke zu rechtfertigen, ihnen schon vor ihrer Entstehung den Odem des Bedeutsamen einzuhauchen.

Verunsichernde Lektüre. Lovecrafts Geschichten verunsichern, wie es Houellebecq zu Recht feststellt, und der Grund dafür sind nicht die wie auch immer gearteten Schrecken, die über seine Protagonisten hereinbrechen - Lovecrafts Geschichten berühren einen viel tieferen Nerv der Leser. Er bricht radikal mit den Paraphernalien der klassischen unheimlichen Phantastik: Gespenster, Vampire, Werwölfe findet man in Lovecrafts Geschichten nicht; stattdessen formuliert er eine dem 20. Jahrhundert gemäße Mythologie des Schreckens. Der Löwenanteil seiner Erzählungen kreist um den von ihm geschaffenen »Cthulhu-Mythos«, in dem die Erde von monströsen, uralten Göttern gleichsam umzingelt ist, die nur darauf warten, die Herrschaft wieder an sich zu reißen. In diesem Szenario ist die Menschheit nicht einmal eine unbedeutende Fußnote, sie ist ganz und gar nichtig. In Lovecrafts Geschichten prallen die Menschenverachtung eines Faulkner und die Fabulierlust so unterschiedlicher Schriftsteller wie Robert Louis Stevenson oder Joseph Conrad aufeinander. Und, es ist eine paradoxe Ironie, dass in den dezidiert expliziten Schilderungen des Schreckens der Realismus eines Upton Sinclair aufscheint. Man lese die grauenhaften Schilderungen der Zustände in den Schlachthöfen Chicagos in Sinclairs Der Dschungel und setze sie in Beziehung zu jeder beliebigen Darstellung grauenhafter Geschehnisse bei Lovecraft. Paradox und ironisch ist das auch insofern, als Lovecraft den literarischen Realismus stets verabscheut hat. Genau wie Houellebecq, der nicht wenig Raum seines Buches darauf verwendet, die literarische Phantasie gegen eben diesen Realismus zu verteidigen. Dabei verleiht gerade dieses Spannungsfeld zwischen kosmischer Phantastik und höchst realistischer Schilderung Lovecrafts Erzählungen ihre enorme Wirkung. Und das reicht durchaus bis zu sprachlichen Abstürzen ins Lächerliche. Lovecrafts Geschichten sind zu raffiniert aufgebaut, als dass selbst diese sprachlichen Entgleisungen in Kitsch und Pathos etwas anderes als eiskaltes Kalkül sein könnten.

Lovecraft arbeitet im großen Maßstab. In seinen Geschichten richtet er das Teleskop der Wahrnehmung in die Tiefen des Alls und macht nichts als beunruhigende Entdeckungen. Monströse Wesen aus anderen Dimensionen warten nur darauf, aus ihrer Verbannung zurückzukehren und die Herrschaft über den Kosmos wieder anzutreten. Dabei sind die Menschen nicht - wie in den meisten heroischen Geschichten der Magazine, in denen Lovecraft seine Stories publizierte, den so genannten »Pulps« - ernst zu nehmende Gegner, sie sind überhaupt keine Gegner. Im Rahmen der kosmischen Panoramen werden sie nicht als Widersacher wahrgenommen, sie werden achtlos zertreten. Die majestätische Erhabenheit des Weltalls besteht seit Urzeiten und wird auch in Urzeiten noch bestehen. Die Menschen errichten ihre Zivilisation, erfinden sich ihre eigenen unbedeutenden Götter, um sich danach von ihnen unterjochen zu lassen, um in deren Namen zu morden und Kriege zu führen, sie schaffen ihre Ideologien und töten abermals für deren Verwirklichung. Am Ende wird alles sinnlos gewesen sein. Die Erde wird als kosmischer Aschehaufen durch das All kreisen und nichts wird übrig bleiben von den zivilisatorischen Errungenschaften. Der organische Befall Mensch wird vergehen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Unser Leben ist so sinnlos wie unser Tod. Und in dieser Hinsicht nehmen Lovecrafts Geschichten schon den existenzialistischen Ekel eines Sartre vorweg; auch das mag ihre ungeheure Popularität in Frankreich erklären helfen.

Das ist das wirklich Beunruhigende in Lovecrafts Geschichten, diese vollkommene Gleichgültigkeit den Menschen und dem Leben gegenüber. Lovecrafts Protagonisten sind stets gesichtslose, anonyme Chiffren, deren einzige Aufgabe darin besteht, Ereignisse wiederzugeben, die den menschlichen Erfahrungshorizont bei weitem übersteigen. Mit dieser Technik gelingt es Lovecraft, den Leser seiner Geschichten zutiefst zu verstören, in seinem Selbstverständnis zu erschüttern. Ob man darin nun aber eine völlige Negation des Lebens allgemein sehen kann, wie Houellebecq es tut, sei dahingestellt. Lovecraft war ein zutiefst konservativer Mensch, der besonders in seinem umfangreichen Briefwechsel keinen Hehl aus seiner reaktionären und rassistischen Gesinnung machte. Daran ändern auch die zahlreichen Versuche der Verharmlosung und Relativierung nichts, die besonders seine deutschen Anhänger mit schöner Regelmäßigkeit unternehmen. Er führte das Leben eines Einsiedlers; die Gleichgültigkeit gegen seine Mitmenschen findet ihre groteske Übersteigerung im kosmischen Nihilismus seiner Texte. Es wäre freilich allzu plakativ und unzutreffend, als Triebfeder für den Schrecken des Andersartigen in seinen Geschichten vor allem Fremdenhass zu sehen. Dazu war die Persönlichkeit Lovecrafts zu komplex, selbst zu sehr von Paradoxien bestimmt. So hinderte ihn seine Abscheu vor der Masse Mensch nicht daran, einzelne Individuen selbst in seiner Mittellosigkeit noch großzügig zu unterstützen. Seine Prosatexte sind unverhohlen antisemitisch, er heiratete aber eine amerikanische Jüdin.

Gepflegter Talkshow-Nihilismus. Lovecrafts Einstellung »gegen die Welt, gegen das Leben« entspringt einer aufrichtigen Geisteshaltung, die sich in seiner Literatur wiederfindet. Anders Houellebecq. In seinen Romanen bemüht sich der Dauergast in den Feuilletons, einen ähnlichen Nihilismus an den Tag zu legen und scheitert. Der Gestank der Welt ist bei Lovecraft, die angeführten Zitate belegen es, allgegenwärtig, bei Houellebecq hingegen nur bei jenen Menschen zu finden, die ihm angeblich - wie seinem Vorbild Lovecraft - so einerlei sind. Lovecrafts Protagonisten bleiben gesichtslos und anonym, wir erfahren wenig bis gar nichts über ihre Herkunft, ihren Werdegang, ihre Lebensumstände. Houellebecqs Protagonisten hingegen sind stets ganz verkrampft im Hier und Jetzt, und sie tragen immerzu etwas von ihrem Schöpfer in sich. Es sind des Lebens überdrüssige, blasiert-gelangweilte Mittvierziger, die einen gepflegten Talkshow-Nihilismus an den Tag legen. In seinem Essay belegt Houellebecq, dass sich Lovecraft weder für Sexualität noch für Geld besonders interessiert hat, er schrieb für sich allein und scherte sich nicht darum, was das Publikum von seinen Hervorbringungen halten mochte.

Houellebecq kreist in seinen Romanen immer wieder fasziniert um das, was ihn doch so abstößt. Wo Lovecraft durch sein Teleskop in die unendlichen Räume schaut und den maßlosen Schrecken findet, angesichts dessen nichts Irdisches Bestand hat, betrachtet Houellebecq die Menschheit wie durch eine Lupe und findet lediglich Banales, Ärgerliches. Lovecraft wie Houellebecq äußern einen Ekel vor dem Leben und dem Bazillus Mensch, doch während das alles bei Lovecraft authentisch und wahrhaftig wirkt, gerät es Houellebecq nicht selten zur Pose, er »schwitzt überzeugend beim Stemmen riesiger Papphanteln«, wie es Joachim Kalka formulierte. Die Irrungen und Wirrungen alltäglicher Existenz, die Lovecraft so gleichgültig waren, stehen bei Houellebecq stets im Mittelpunkt. So gesehen, sind Lovecrafts Geschichten zeitlos, da der zermürbende, uns in den Grundfesten erschütternde Schrecken in einem kosmischen Rahmen agiert, der sich unserer Vorstellung entzieht, während Houellebecq stets dem Zeitgeist nahe Analysen präsentiert.

Ob man das Phänomen Houellebecq in 50 Jahren noch kennt? Wer kann jetzt schon bestimmen, ob man den Franzosen als bedeutenden Chronisten seiner Zeit einstufen wird? Lovecraft vermag die Leser zu fesseln, weil seine Erzählungen nicht der Gegenwart ihrer Entstehungszeit verhaftet sind. Ideologien, Religionen, Trends kommen und gehen - und was in der aktuellen Momentaufnahme ungeheuer wichtig erscheint, interessiert in zehn Jahren vielleicht niemanden mehr. H.P. Lovecraft hat das gewusst und einen erzählerischen Kosmos geschaffen, der bewusst über alledem steht und der über die Menschen und das tagtägliche Einerlei ihrer Belange hinausragt. So sehr, dass man ihn einfach wahrnehmen muss. Houellebecq hingegen steht mitten im Publikum, auch wenn er ihm zornig brüllend seine eigene Borniertheit vor Augen hält.

Michel Houellebecq: Gegen die Welt, gegen das Leben, Aus dem Französischen von Ronald Voullié, Köln 2002, Dumont Verlag, 115 S., 14,90 Euro

Joachim Körber ist Autor und Verleger. Mit seinem Partner Uli Kohnle gibt er im eigenen Verlag Edition Phantasia eine Gesamtausgabe der Schriften H. P. Lovecrafts heraus.