Protest gegen Castortransporte

Recht auf Zuschauen

Um den nächsten Castortransport nach Gorleben zu ermöglichen, setzt das Lüneburger Bezirksgericht die Versammlungsfreiheit außer Kraft.

Es könnte kalt werden, wenn der sechste und mit zwölf Behältern größte Castortransport in der nächsten Woche vom französischen La Hague nach Gorleben rollt. Besonders dann, wenn das eintritt, was der Polizeipressesprecher Peter Hoppe fürchtet: dass »der Castor zum Stehen kommt«. Doch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat für ihre Jungs und Mädels vorgesorgt und die Dienstbekleidung mit einer schwarzen Wollmütze bereichert.

Wie sich die Antiatombewegung auf das ungünstige Klima vorbereitet hat, wird sich zeigen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg rechnet mit 3 000 DemonstrantInnen, die versuchen werden, den Transport zu blockieren oder mit Protesten zu begleiten. Doch die Behörden sind gewappnet.

Mit einer »Allgemeinen Verfügung über eine räumliche und zeitliche Beschränkung des Versammlungsrechts« setzte die Bezirksregierung Lüneburg wie im Herbst des vergangenen Jahres auch diesmal das Recht auf Versammlungsfreiheit für die Zeit vom 9. bis zum 20. November im Bereich der Transportstrecke außer Kraft. Innerhalb eines Korridors von 50 Metern zu beiden Seiten der Schiene und der Straße, also innerhalb der »Reichweite der zu erwartenden Wurfgeschosse«, sowie im Umkreis von 500 Metern um die Verladestation und das Zwischenlager kann im genannten Zeitraum jede Versammlung von mehr als drei Personen von der Polizei aufgelöst werden.

»Grundrechtswidrig« nennt es das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das Versammlungsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung »zugunsten des Schutzes von Eigentumsrechten« aufzugeben. Ein Absatz der umfangreichen Verbotsverfügung der Bezirksregierung Lüneburg stimmt andererseits auch hoffnungsfroh. Dort ist nämlich zu lesen, dass die »Enttäuschung der Bevölkerung über die Tatsache, dass der Atomkonsens und die damit verbundene Neuorientierung der Atompolitik nicht zu einer Veränderung der Lage im Bereich der Frage der Zwischenlagerung in Gorleben oder eines schnellen Atomausstiegs geführt hat«, unvermindert anhält. Weiter heißt es, dass »die Proteste und Aktionen in ihrer auch Gewalt bejahenden Form nicht nur von einer kleinen Gruppe getragen werden«.

Als Grund für das Versammlungsverbot gilt die Befürchtung, »dass die Versammlung oder der Aufzug im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstrebt oder zumindest billigt«. Auf den folgenden 20 Seiten der Verfügung wird dann über eine »kollektive Unfriedlichkeit der gesamten Versammlung« phantasiert.

Dabei stützt sich die Verfasserin, die Bezirksdirektorin Christiane Röttgers, zum Teil auf verzerrende Darstellungen von Protestaktionen des vergangenen Jahres, bei denen es »aus dem Schutz der Demonstranten heraus« zu Sabotage an Schienen und Straßen gekommen sei. Genannt werden die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die Bäuerliche Notgemeinschaft und die erklärtermaßen gewaltfreien Blockierer der Organisation X-tausendmal quer, deren Demonstrationen bisher »von Rechtsverletzungen und Gewalttätigkeiten geprägt« gewesen seien. Über die Bürgerinitiative heißt es, sie lasse eine »öffentliche Distanzierung von gewaltsamen Aktionen vermissen«.

Besonders deutlich wird die Konstruktion der Vorwürfe in dem Kapitel »Derzeitige Indizien«, in dem Aufrufe und Diskussionsbeiträge aus dem Internet herangezogen werden, um das Demonstrationsverbot zu legitimieren. Dafür müssen dann sogar die »Globalisierungsgegner« herhalten, deren Einzug ins Wendland befürchtet wird. Dass ausgerechnet Attac hier zur Speerspitze des militanten Widerstands wird, ist das absurdeste Beispiel der »Gefahrenprognose«.

Gewaltfreie Aktionen und alle Formen von Blockaden werden in dem Text durchgängig zu Gewalttaten erklärt. Damit erfüllt die Verfügung die wichtige Aufgabe, einen Polizeieinsatz von der Art zu rechtfertigen, die in der Vergangenheit immer wieder als unverhältnismäßig kritisiert wurde.

Der Republikanische AnwältInnenverein beklagt in einem offenen Brief die massenhafte und meist ohne richterlichen Beschluss durchgeführten Ingewahrsamnahmen des vergangenen Jahres. So seien beim Transport im März 2001 rund 1 400 AtomkraftgegnerInnen inhaftiert worden, im November 2001 etwa 800. »Hunderte waren stundenlang und über Nacht in Bussen und Gefangenensammelstellen ihrer Freiheit, ihres Versammlungsrechts und zum Teil auch ihrer Würde beraubt, ohne die Chance, vor der Einfahrt des Transportes in das Lager Gorleben einen Richter auch nur zu sehen.«

Doch wie weit die Definitionsmacht des Staates reicht, wenn es darum geht, den Widerstand zu unterbinden, wird in einem Auszug aus der Internetseite der Polizei Niedersachsen zur »Rechtsproblematik bei Sitzblockaden« deutlich. »Gewalt ist der physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes«, heißt es dort.

»Diesem Gewaltbegriff kann eine Sitzdemonstration, bei der die 'Gewalt' lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangseinwirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist, grundsätzlich nicht entsprechen. Wirkt sich aber die bloße Anwesenheit der Sitzblockade auf den Verkehrsfluss derartig aus, dass nicht nur ein Verkehrsteilnehmer, sondern eine Mehrzahl von Fahrzeugführern zum Anhalten genötigt wird, stellen die ersten Fahrzeuge ein unüberwindliches physisches Hindernis dar, das durch die Blockade geschaffen wurde. In diesem Fall kann von Gewalt im Sinne der Vorschrift ausgegangen werden.« Beim Verdacht der Strafbarkeit wird eine »repressive Abarbeitung der Blockade« empfohlen.

Diese Strategie der »repressiven Abarbeitung« und der Einschränkung von Grundrechten bewährte sich im November des vergangenen Jahres und soll auch in diesem Jahr wieder angewandt werden.

Die niedersächsischen Grünen tun sich derweil mit Sprüchen wie »mehr Politik statt immer mehr Polizei« hervor und rufen dazu auf, sich an den Protesten in Gorleben zu beteiligen. Die Grünen bleiben also auch weiterhin die einzige Partei der Welt, die gegen ihre eigene Politik demonstriert. Die Forderungen in der vom Landesparteitag verabschiedeten Resolution zum Castortransport sind so heuchlerisch wie zahm. Der Atomkonsens sei »kein politischer Selbstläufer«, doch in Frage gestellt werde er nicht, betont Rudi Zimmek, der Pressesprecher der Fraktion im niedersächsichen Landtag.

Wie die Forderung nach einem schnellen Ende der Wiederaufarbeitung mit der Unterstützung des Vertrages zu vereinbaren ist, der die Plutoniumproduktion bis Mitte des Jahres 2005 vorsieht, bleibt rätselhaft. Wie ein denkender Mensch nach der Verlängerung der Laufzeit für Obrigheim per Handschlag des Kanzlers noch von einem Ausstieg aus der Kernenergie reden kann, auch.

Und das Zwischenlager in Gorleben wird immer voller. Zu Recht fürchten die AtomkraftgegnerInnen, dass Gorleben mehr als nur ein Zwischenlager werden könnte. Zwar ist der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlager mit der Suche nach alternativen Endlagerstandorten beauftragt, doch noch es gibt keine Finanzierung der Erkundungsarbeiten.

Dass noch eine ganze Menge strahlender Behälter nach Gorleben gebracht werden soll, lässt sich aus der Tatsache erahnen, dass die Bezirksregierung drei Grundstücke in der Nähe der Verladestation in Dannenberg gepachtet hat, auf denen Unterkünfte für die bei Castortransporten eingesetzten Polizeibeamten entstehen. Die Pachtverträge gelten bis zum Ende des Jahres 2011.