Der Strukturwandel Neuköllns

War schön, tschüss

Neukölln soll umstrukturiert und kultiviert werden. Eine Kunstszene gibt es aber schon. verena herzog und lymor goldstein besuchten sie bei Nacht und Nebel

Schreib, dass Neukölln im Kommen ist«, höre ich von einem Galeriebesucher, als ich ihm von meinem Auftrag erzähle, eine Reportage über die Aktion »Nacht und Nebel« zu schreiben. Dabei handelt es sich um eine nächtliche Tour durch Neuköllner Galerien und Ateliers, in überraschende Hinterhöfe und sauber sanierte Erdgeschosswohnungen. Organisiert wird sie von einem Kulturbüro namens Schillerpalais und der Initiative »Schillernde Donnerstage«, gefördert aus den Mitteln des Quartiersmanagements Schillerpromenade. Regelmäßig gibt es donnerstags an wechselnden Orten Kulturveranstaltungen im Kiez. Diesmal präsentiert sich die Neuköllner Kunstszene eine Nacht lang an 13 verschiedenen Orten. Mit dem Großraumtaxi kann man sich kostenlos von einer Kunststätte zur nächsten fahren lassen.

»Ich bin eigentlich wegen des Taxifahrens hier«, sagt der Mann, mit dem wir auf den Shuttle warten, seine Frau lacht. Sie erzählt von der Performancekünstlerin, zu der wir unterwegs sind. Diese scheint eine Neuköllner Szeneberühmtheit zu sein. Wie Babettes Hühnersuppe, von der wir im weiteren Verlauf des Gespräches zum ersten Mal hören. Uns ist sofort klar, dass wir der Dame einen Besuch abstatten werden.

Doch das Taxi fährt seine Runde in der Reihenfolge der Stationsnummern ab. Die Hühnersuppe liegt erst einmal hinter uns, vor uns ist ein schmaler Gang zu einem Hof in der Karl-Marx-Straße, wo eine rekonstruierte Scheune den Schauplatz für die Performance darstellt. Die Künstlerin singt und räkelt sich hinter einer aufgespannten Plastikfolie, das Publikum steht unbeteiligt davor. Ein Mädchen im weißen Strahlenschutzanzug wirft mit Tinte getränkte Papiere und Fragen in die Richtung der Frau. Sie singt wieder.

Als es vorbei ist, sagt ein Mann im Gehen: »War schön, tschüss.« Haben wir etwas nicht verstanden? Die Künstlerin beginnt von spirituellen Räumen zu sprechen, wir verschwinden. Um die Ecke an der Station warten wir auf das Taxi und unterhalten uns mit anderen über das gerade Erlebte. »Jedem seine Kunst«, meint die Frau, die sich in Neukölln nicht so recht an die vielen Türken gewöhnen mag.

Auf den Autofahrten durchqueren wir Wohngebiete, die zur nächtlichen Stunde dunkel und beinahe menschenleer sind. Die Ausstellungsorte stechen mit ihren hell erleuchteten, weiß gestrichenen Räumen heraus. Man steigt aus, betritt den inszenierten Raum und betrachtet mehr oder weniger flüchtig die Ausstellungsobjekte. Auf der Straße entwickeln sich Gespräche zwischen den Wartenden. Im voll besetzten Großraumtaxi ist die Stimmung dann ausgelassen. Man tauscht sich darüber aus, wo es sich hinzufahren lohnt, scherzt und erzählt. Die Fahrten entpuppen sich als der gesellige Teil der Veranstaltung.

Immer wieder heißt es, dass diese Nacht die »bessere Seite« Neuköllns ans Licht bringe. Ein selbst Kunst schaffender Mitfahrer sagt wiederholt mit bedeutungsvollem Blick, dass es dort, wo er wohne, ganz anders aussehe. Besonders beeindruckt zeigt er sich von der Gegend um die Schillerpromenade. Kein Zweifel, wir sind im Herzen der neuen Mitte Neuköllns gelandet.

Die Zierde dieser prächtigen breiten Straße ist eine jetzt in unheimliches weißes Licht getauchte, begrünte Mittelpromenade mit sauberem Kiesweg, Parkbänken und einer modernen Telefonkabine. Noch vor zwei Jahren ging es hier weniger steril zu. Heute beschäftigt das Quartiersmanagement zwei ABM-Kräfte, die Müll auf den Wegen aufsammeln. Denn Müll soll hier nicht sein. Schließlich sind herumstehende Kühlschränke und anderer Schrott so etwas wie Wahrzeichen in den Legenden über diesen Bezirk geworden. Doch die Stadtmanager geben sich alle Mühe, den Ruf zu verbessern.

In den Gesprächen unserer MitfahrerInnen geht es immer wieder um das Image des Bezirkes und die weit verbreiteten Vorurteile. Stolz betont eine Bewohnerin der Schillerpromenade, sie habe nun schon mehrmals gehört, dass Neukölln das neue Szeneviertel werde. Viele zögen jetzt in den Kiez, weil es dort so »authentisch« sei. Die »Mischung« sei so gut, bestehend aus Ausländern, Sozis und »normalen Leuten«.

Diese Mischung allerdings bleibt uns in dieser Nacht verborgen, das Publikum der Kunstaktion ist recht homogen. Die Leute scheinen mit den Spielregeln der Kulturszene vertraut zu sein, tauschen Kommentare zu den besichtigten Werken aus, steuern zielsicher auf den bereitgestellten Sekt und die Erdnussflips zu. Auch ein Grund, hier zu sein. Hühnersuppe, die zweite.

Nichts zu essen gibt es im Rollberg-Atelier. Doch unsere Bekannte von Station sieben winkt uns schon mit einem Stück Holz entgegen. »Lohnt sich! Sägearbeiten.« In einem kleinen, neonbeleuchteten Raum im Erdgeschoss eines Siedlungsbaus der siebziger Jahre sitzen zwei Frauen und bemalen kleine Holzfiguren. Außerdem stehen zwei Ensembles von lebensgroßen Figuren herum. Sie sollen Menschen aus dem Kiez darstellen, junge und alte, farbige und weiße. Der ebenfalls herumstehende Künstler klärt uns darüber auf, dass die Figuren zur freundlicheren Gestaltung eines trostlosen Platzes aufgestellt werden sollen.

An dieser Stelle greift eine der Malerinnen ins Gespräch ein, um uns in den nächsten zehn Minuten von der Vorbildlichkeit des Projektes zu überzeugen. Es stelle ein »Denkmal der Bürger« dar, verwirklicht durch die Eigeninitiative und die aktive Mitgestaltung der BewohnerInnen der Siedlung. Viele seien es zwar nicht, die sich an der Arbeit beteiligten, aber der engagierte Künstler stelle die Menschen des Kiezes so dar, dass sich alle darin wiederfänden. Die Hühnersuppe will mir nun endgültig nicht mehr aus dem Kopf.

Als wir sie endlich löffeln können, wird mir die Ambivalenz der Aktion erst so richtig bewusst. Neukölln soll also aufgewertet werden, wie es so schön in der Sprache der Stadtplaner heißt. Kultiviert, umstrukturiert. In einer Broschüre des Quartiersmanagements finden sich deutliche Worte für die Realität der Umstrukturierung. »Mit dem Mauerfall beginnt auch in der Schillerpromenade die Wende. Durch die neu entstandene Nähe zur Stadtmitte und die geplante Schließung des Flughafens (Tempelhof) wird das Gebiet für Investoren und Immobilienfirmen attraktiv. Die Grundstückspreise verdoppeln sich und die Mieten steigen. Häuser werden luxusmodernisiert, Dachgeschosse ausgebaut, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Entwicklung geht vor allem auf Kosten einkommensschwacher Haushalte.«

An dieser Realität ändert auch das Wort »behutsam« nichts. Zumal es mit der Behutsamkeit zu Ende ist, seit im Oktober des letzten Jahres der Milieuschutz, der einen Erhalt der BewohnerInnenstruktur gewährleisten soll, für die Schillerpromenade aufgehoben wurde. Kommt Neukölln also?