Brand Hacking

Man kann Marken wie Open Source Software behandeln und umcodieren. Auch Unternehmen haben das erkannt. Von Holm Friebe

Marken und Software, zwei Bausteine der heutigen Ökonomie des Unsichtbaren, weisen in ihren Eigenarten eine große Schnittmenge auf. Beide werden unter hohem Einsatz von Kapital und Arbeitskraft entwickelt, angepasst, aktualisiert und optimiert. Beide existieren unabhängig von der jeweiligen Trägersubstanz als reine Information: die Software als festgelegte Abfolge von Nullen und Einsen, die Marke als »in der Psyche des Konsumenten fest verankertes Vorstellungsbild von einem Produkt oder einer Dienstleistung«. Diese Definition des Marketingprofessors Heribert Meffert trägt einer verbreiteten psychologisch-konstruktivistischen Sichtweise der Marke Rechnung, wonach Markenwerte im Kopf von Konsumenten entstehen. Das klingt trivial, hat aber, wie noch zu zeigen sein wird, Folgen für die Markentechnik.

Außerdem lassen sich die Software und die Marke fast beliebig multiplizieren. Diese Eigenschaft birgt erstaunliche Möglichkeiten, sieht man sie in Verbindung mit jener weiteren Eigenschaft vieler digitaler Produkte, dass bei ihnen Netzwerkeffekte und positive Feedbacks zu verzeichnen sind. Es geht um das Prinzip Microsoft; je mehr Menschen eine Software benutzen, desto wertvoller wird sie für den einzelnen. So lassen sich über positive Rückkopplungen Standards etablieren. Mit Abstrichen gilt das auch für Marken. Je mehr Paare der Camperschuhe in Umlauf sind, desto mehr Menschen werden auf die Marke aufmerksam und erwägen den Kauf.

Gleichzeitig beginnen in beiden Fällen mit der Möglichkeit beliebiger Vervielfältigung zu geringen Kosten auch die Anfälligkeiten. Software-Hersteller können selbst mit aufwendigen Prozeduren nicht verhindern, dass ihre Programme auch von jenen installiert und benutzt werden, die nicht dafür bezahlen. Auch Markenhersteller sehen sich mit hochwertigen Plagiaten konfrontiert. Die Zahl der in Umlauf befindlichen falschen Rolex-Uhren aus Fernost dürfte die der echten deutlich übersteigen. An der Häufigkeit der Plagiierung lässt sich ablesen, ob eine Marke internationalen Kultstatus erlangt hat.

Interessanter wird es, wenn an die Stelle der Multiplikation die Modifikation oder Manipulation tritt. Die verheerendsten Computerviren der letzten Zeit waren so genannte Makroviren, die unmittelbar weit verbreiteten Programmen aufsetzten. Die Software mit ihrer einfachen Makroprogrammierung liefert dafür selbst die Infrastruktur. Als Urheber der Viren werden, wie bei so vielem, zumeist »Hacker« vermutet. Als »Hacker« galt früher ein Computerbenutzer, der sich nicht mit dem zur Nutzung notwendigen Wissen zufrieden gab, sondern an der Erforschung und Verbesserung der von ihm benutzten Hard- und Software arbeitete. Der Geist des Hackers richtet sich demnach auf permanente Vervollkommnung. Die Freiheit der Information und der Schutz persönlicher Daten gehören zur Hackerethik und sind mit den Machenschaften so genannter destruktiver »Cracker« unvereinbar.

Der Marketingforscher Franz Liebl und der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich sehen in ihrem Aufsatz »Brand Hacking: Kontext wechseln – neue Horizonte erreichen« das Hacking in einem übertragenen Sinn als »eine wichtige Kulturtechnik, deren produktiv nutzbare Dimensionen maßgeblicher sind als das – vordergründig dominante – destruktive Element«. Wichtige Funktionen dieser Praxis seien die Subversion etablierter Strukturen und die Schaffung neuer Orientierungen durch bewusst herbeigeführte Störungen und Desorientierungen sowie die Verquickung von Ernst und Spiel.

Auch Marken können manipuliert werden. Der juristische Inhaber eines Markenzeichens kann nur bedingt beeinflussen und keinesfalls kontrollieren, welches Bild der Marke sich in der Psyche des Konsumenten festsetzt. Wenn man Marken unter einen erweiterten Kunstbegriff fasst, dann gilt für sie auch, was Umberto Eco 1962 in »Das Offene Kunstwerk« als rezeptionsästhetischen Grundsatz postulierte: dass der Betrachter im Akt der Betrachtung eine interpretatorische Eigenleistung vollbringt, die das Kunstwerk erst zu einem solchen macht und vollendet.

Neben der Unschärfe in der Wahrnehmung von Marken gibt es in jüngster Zeit auch gezielte Störungen und mutwillige Manipulationen. Das kanadische Magazin Adbuster verfolgt den Zweck, die Motive von Werbekampagnen zu persiflieren und Markenimages zu torpedieren. Mittlerweile ist »Cultur jamming«, das Übermalen und Verfremden von Werbetafeln im öffentlichen Raum, auch in europäischen Städten verbreitet. Im Internet kursieren Parodien von Werbespots, so genannte Spoofs, die manchmal nicht von der regulären Kampagne zu unterscheiden sind.

Die implizite Theorie dieses Hackings im symbolischen Raum lieferte Marc Dery bereits 1993 mit seinem Aufsatz »Culture Jamming: Hacking, Slashing and Sniping in the Empire of Signs«. Er schreibt: »Diese Guerillasemiotiken erschaffen neue Mythen, zusammengestückelt aus dem Material des eigenen Lebens, ein Patchwork aus Erfahrungen und Hoffnungen, das wenig mit den repressiven Fiktionen der magischen Königreiche der Markenkommunikation gemein hat.«

Aber die Gegenseite ist nicht untätig, immer mehr Unternehmen begreifen, dass sie sich die Störenfriede selbst ins Haus holen müssen, um die Marke interessant und immun gegen Störungen zu machen. Ein Beispiel, wie so etwas aussehen kann, ist das Ende des Jahres 2001 eröffnete Flagshipstore von Prada in Soho, New York. Dort werden neben den neuesten Modellen auch Plagiate von Prada-Produkten ausgestellt.

»Die Botschaft ist: Prada beliefert die Welt nicht nur mit seinen Produkten, sondern beschäftigt sich auch damit, wie die Welt auf sie reagiert«, sagt der Architekt Rem Koolhaas, der sich die Features erdacht hat. Die Initiative dafür kam vom Auftraggeber: »Prada sagte uns in einer brutalen Art, dass sie um jeden Preis das ›Flagship-Syndrom‹ vermeiden wollten, wodurch das Unternehmen auf eine einzige Essenz reduziert wird. Das Schlüsselwort für unseren Mandanten war ›Changeability‹ und wir haben das sehr ernst genommen.«

Auch hierzulande lassen sich immer mehr Unternehmen auf eine Zusammenarbeit mit Künstlern ein. Ein riskantes Unterfangen, denn es ist nicht auszuschließen, dass der Künstler das Konzernimage wirksam aushebelt, dass das »Brand Hacking« also zum kurzen Prozess wird.