»Das ist Terrorismus«

Ein Gespräch mit dem Meister des Brand Hacking, dem Designer Ora Ito. Von Holm Friebe

Den Begriff des Brand Hacking hat der aus Japan stammende Designer Ora Ito längst gebrandet. Obwohl nur wenige Entwürfe seines Pariser Studios umgesetzt wurden, genießt Ito in der Designszene hohes Ansehen. Er nimmt sich ohne einen Auftrag Marken vor, die ihn interessieren, und entwickelt Brand Extensions, die radikal sind. Als »nüchtern, organisch und futuristisch« beschreibt er selbst sein Design. Itos Entwürfe sind Viren, die sich unbemerkt an den Programmcode der Wirtsmarke andocken. Ungefragt entwarf Ito einen Rucksack der Luxusmarke Louis Vuitton. Zur Überraschung Vuittons tauchte er in einer Modestrecke eines britischen Szenemagazins auf, und er sah cooler aus als die echten Vuitton-Accessoires.

Auf Itos Website findet sich das Szenario eines »Paris 2010«, in dem alle nationalen Symbole und der gesamte öffentliche Raum von Marken wie Nike, McDonald’s oder Playboy okkupiert werden. Dort findet sich auch das virtuelle Modell einer Gucci-Villa. Das Gebäude und sämtliche Einrichtungsgegenstände sind in der Form des Gucci-»G« gehalten. Ansonsten tritt die Marke in den Hintergrund, der Ort ist ein Third Place, ausgestattet mit einer Sofalounge, einer Kunstgalerie und einer Bibliothek.

Bei Ito vermischen sich Subversion und Affirmation, Kritik und Kooperationsbereitschaft. Vieles hat einen doppelten Boden. Es geht nie nur ums Design, sondern immer auch um den gesellschaftlichen Kontext. Den vermessenen Objektkult eines Philippe Starck, der sich in seinem Katalog »Good Goods« genialisch geriert, parodiert Ito mit einer Serie übertrieben designter »Baad Goods«. Dabei ist Ito, wenn es um die Selbstvermarktung geht, nicht gerade bescheiden. Zur strategischen Positionierung der Marke »Ora Ito« zwischen Guerillasemiotik, Konzeptkunst und Produktdesign zählt die Autonomie des Künstlers, die Arroganz des Popstars und die Verweigerungshaltung des Systemkritikers.

Der niederländische Architekt Rem Koolhaas, bekannt durch seine Entwürfe für Flagship-Stores in aller Welt, betrachtet Shopping als »die finale Aktivität der Menschheit«. Sehen Sie das auch so?

Ich stimme ihm insofern zu, als kein Kreativer fähig ist, den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. Die Ladenspezialisten müssen uns doch zwangsläufig davon überzeugen, dass sie überlegt handeln. Sie sind diejenigen, die das Konzept des »Retailtainment« erfunden haben, damit die Einkaufszentren nach und nach zu den einzigen Orten des Zusammentreffens und der gesellschaftlichen Interaktion werden.

In »Paris 2010« entwerfen Sie ein Paris der Zukunft, in dem jeder öffentliche Ort und jedes Symbol der Demokratie unter der Kontrolle von Unternehmen steht und entsprechend gebrandet ist. Eine andere Idee von Ihnen ist der »Men Selector«, ein Tool zur Selektion von Menschen anhand ihrer Aura. Glauben Sie, dass wir auf ein Zeitalter des Markentotalitarismus und der absoluten Kontrolle zugehen? Oder zeigen Sie nur ein Worst-Case-Szenario?

Die jüngsten Geschehnisse haben gezeigt, dass das, was vor ein paar Jahren noch bedrohlich wirkte, von heute auf morgen verschwinden kann, sei es durch Börsenturbulenzen oder durch die Aufdeckung von Finanzaffären. Das Projekt »Villa Gucci« war für uns eine Möglichkeit, die äußersten Grenzen einer standardisierten und obsessiven Welt zu zeigen, in der die großen Konsummarken überall Fuß zu fassen versuchen. Die Idee bei »Paris 2010« war, eine Schreckensvision zu karikieren, in der diese Marken so mächtig geworden sind, dass sie dem Staat Konkurrenz machen und sogar so weit gehen, staatliche Baudenkmäler zu kaufen. Selbstverständlich hoffe ich nicht, dass dieser Zustand jemals eintritt.

Gegen solche düsteren Zukunftsvisionen haben die Ora Ito Studios die »Yes Products« entworfen. Sie wenden sich an Menschen, die »den ersten Schritt ins neue Millennium gemacht haben und Ja zum Konsum sagen«, es soll sich um »kreative Produkte« handeln, die uns »gemeinsam in eine bessere Zukunft führen«. Glauben Sie wirklich, dass das Produktdesign die Welt verbessern kann? Oder handelt es sich um eine Parodie auf die Hybris anderer Designer wie Philippe Starck?

Ich glaube an die Macht der Schönheit. Schöne Gegenstände, schöne Architektur, eine schöne Umgebung können zur Ruhe und zum Respekt verhelfen. In Frankreich sind manche der Meinung, dass die sozialen Probleme unserer Vororte, Gewalt, Aggression etc., auf die übereilte Stadtplanung der sechziger Jahre zurückzuführen sind. Daran ist bestimmt etwas Wahres, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt.

Ich möchte mich deutlich von dem fälschlicherweise ideologisierten Diskurs distanzieren, den ich durch die Ja-Produkte als Nein-Antwort auf die Produkte von Philippe Stark ausgelöst habe. Die ganze Scheinwelt, die um diese »Better tomorrow«-Produkte erfunden wurde, entspringt einer parodistischen Wahnvorstellung, die die pseudo-ehrliche Rhetorik des »Good goods«-Katalogs von Starck nachahmte.

Viele ihrer Werke haben einen ironischen Touch. Ist das ein Privileg des Künstlers oder glauben Sie, dass Unternehmen und globale Marken selbstironisch sein können und sollten? Hat die Ironie einen Platz in der Welt der Unternehmen?

Rick Poynor hat in seinem jüngsten Buch »Obey the Giant: Life in the Image World« sehr schön über die Ironie gesprochen. Die großen Konsummarken versuchen selbstironisch zu sein, um jünger und kritischer zu wirken. Aber das geht nie sehr weit. Nun geht das, was wir getan haben, weit über das hinaus, was sie sich zu tun getrauen würden: Wir haben häufig ihre geheimen Ambitionen ans Licht gebracht. Zahlreiche Marken möchten unaufhörlich Events erfinden und eine intime Bindung zu den Verbrauchern knüpfen, aber sie halten sich dennoch ängstlich zurück, weil sie möglicherweise anecken oder jemanden kränken könnten. Die großen Marken haben immer Angst davor, dass man sie bezichtigt, alle Welt in die Irre zu führen. Wir können uns das leisten, da wir unabhängig sind. Wir haben keinen übermächtigen Konzern hinter uns, der von Tausenden verwaltet wird, zu deren Aufgaben zählt, jedes Abweichen von der geraden Linie einer risikolosen Unternehmenspolitik zu korrigieren. Wir haben das Glück, freier arbeiten zu können.

Ihr Ansatz wird als »Brand Hacking« bezeichnet. Das nimmt Bezug auf Computernerds, die Computersysteme hacken, um deren neuralgische Stellen und Sicherheitsmängel aufzuzeigen. Wie lässt sich die Idee des Brand Hacking beschreiben?

Wir bekamen solche Fragen in Frankreich oft gestellt, als ein Journalist die Website www.jeboycottedanone.com ins Leben rief, um die Sozialpolitik des Danone-Konzerns anzuprangern. Er wurde gerichtlich verfolgt und verurteilt. Daraufhin kam die Frage auf: Warum verfügen wir über die Meinungsfreiheit, wenn es um Menschen geht, ob prominent oder nicht, während es sehr schnell heikel wird, sobald es darum geht, seine Meinung über eine Marke zu äußern. Wir haben schnell herausgefunden, wie wir die Hindernisse umgehen und das Image der Marken untergraben können, ohne vor Gericht gezerrt zu werden. Der Angriff auf Marken wurde für uns eine Möglichkeit, die Rollen zu tauschen.

Wir stellten uns vor – damals waren wir 20 Jahre alt – wir säßen an der Spitze der Designabteilungen der von uns ausgewählten Marken: die größten, die schönsten, die bekanntesten. Wir erschufen Produkte nach Maß durch computergenerierte Bilder, dann dachten wir uns den gesamten Marketing-Mix des Produkts aus, um dann eine Website für das Produkt zu entwerfen. Dank der Mithilfe bestimmter internationaler Zeitschriften wurden diese berühmt-berüchtigten Fake-Anzeigen mitten zwischen den echten Werbeschaltungen für reale Produkte veröffentlicht. Eigentlich eine Art Terrorismus!

Einige Prototypen der Ora Ito Studios waren bei ihrem Erscheinen auf ihre Weise subversiv. Der Militär-iMac »hack Mac« lässt sich als kritische Anspielung auf die Verschmelzung von Militär und Informationstechnologie lesen. Heute, da das Camouflagedesign in der Mode allgegenwärtig ist, würde niemand an der Echtheit dieses Produkts zweifeln. Haben Ihre Designs eine kritische Aussage oder sind sie lediglich avantgardistisch?

Es gibt manchmal eine parallele Verständnisebene, die unseren Entwürfen eine zusätzliche Dimension verleiht. Unsere Entwürfe versuchen zunächst durch ihre Formen zu gefallen, dann das jeweilige Umfeld voranzubringen, und schließlich die Menschen zum Nachdenken anzuregen. Mit dem »hack Mac« wollten wir das Hacking als Objekt der Begierde für die Internethacker versinnbildlichen. Dieses Objekt wäre dann die letzte Waffe, die man sich für den Technologiekrieg zulegen sollte. Die Tatsache, dass Tarnung »trendy« geworden ist, zeigt eine ironische Verschiebung zwischen der Sorglosigkeit, der Leichtigkeit der Mode und der technologischen Bedrohung, die ernster zu nehmen ist, als es unsere Zukunftsvisionen ahnen lassen.

Welches Rollenvorbild aus der Literatur entspricht Ihnen und Ihrer Arbeit eher: Robin Hood oder Don Quixote?

Don Quixote vielleicht, aber die Lektüre liegt lange zurück. Während Sancho Pansa die Vernunft und ihre Grenzen widerspiegelt, will Don Quixote, der Weltverbesserer, den Belanglosigkeiten des alltäglichen Lebens die Liebe, die Ehre und die Gerechtigkeit aufzwingen. Er verfolgt bis zu seinem Tod einen Wunschtraum, der im Widerspruch zur Wirklichkeit steht. Letztlich fühle ich mich sehr stark angesprochen von diesem ungebremsten Wettlauf, einen Traum an seine Grenzen zu bringen.