Unter Engelsfittichen

Anfang Januar brach die Polizei in Brandenburg zum ersten Mal ein Kirchenasyl. Es soll nie mehr vorkommen, versprach Ministerpräsident Platzeck. von marina mai

Sie hatten keinen Erfolg. Die Polizeibeamten suchten in den Gemeinderäumen und in der Privatwohnung des Pfarrers Johannes Kölbel den 48jährigen Vietnamesen Xuan Khang Ha und seinen fünfjährigen Sohn Minh Duc. Auf Anweisung des Landrates von Oberhavel, Karl-Heinz Schröter (SPD), brach die Polizei in Schwante bei Oranienburg am 6. Januar erstmals in Brandenburg ein Kirchenasyl.

Die beiden Vietnamesen befanden sich aber zur Zeit der Durchsuchung nicht in den Gemeinderäumen. Außerdem stieß das Vorgehen auf empörte Kritik. In der vergangenen Woche versicherte Brandenburgs Ministerpräsident, Matthias Platzeck (SPD), dem Bischof der evangelischen Landeskirche, Wolfgang Huber, dass der Aufenthalt der beiden Vietnamesen bis zu einer gerichtlichen Entscheidung weiter geduldet werde.

Der Bruch eines Kirchenasyls solle nicht mehr verkommen, versprach Platzeck. Im Gegenzug sagten die Kirchenvertreter zu, die beiden Vietnamesen zur Ausreise zu bewegen, falls das Gericht keine Gefährdung in Vietnam anerkenne. Nach gut zwei Monaten konnten die beiden in der vergangenen Woche die Kirche wieder verlassen.

Das Asyl war für den allein erziehenden Vater und seinen Sohn die einzige Möglichkeit, gemeinsam in Deutschland zu bleiben. Bei einem Besuch in der zuständigen Ausländerbehörde war Xuan Khang Ha Anfang September unerwartet festgenommen worden, er sollte ohne seinen Sohn nach Vietnam abgeschoben werden. Dieser war damals für die Behörden unauffindbar. Erst durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts konnte die getrennte Abschiebung verhindert werden.

Zum Asyl entschloss sich die Kirchengemeinde in Schwante, weil »wir meinen, hier braucht ein Mann unseren Schutz«, wie Pfarrer Johannes Kölbel erklärt. Ha lebte von 1988 bis 1990 als Vertragsarbeiter in der DDR und kehrte 1992 nach einem Aufenthalt in Vietnam als Asylbewerber nach Deutschland zurück. Sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Seit dem Jahr 2000 betätigt sich Ha in zwei vietnamesischen Exilorganisationen, der Demokratischen Organisation Vietnams und der Freien Allianz Vietnams. Beide werden von der vietnamesischen Botschaft in Deutschland beobachtet. Ihre Mitglieder müssen bei der Rückkehr nach Vietnam mit Repressalien rechnen.

»Ich habe Angst, dass ich wegen meiner politischen Betätigung in Vietnam ins Gefängnis muss, und weiß nicht, was dann aus meinem Sohn wird«, erklärt Ha. Die Mutter vermutet er in Tschechien. »Wenn der Junge zu meinen Verwandten kommt, wird er sich nicht mit ihr verständigen können, denn er spricht kaum Vietnamesisch.« Dafür spricht der Fünfjährige fließend deutsch.

Ha hat wegen seines Engagements im Exil einen Asylfolgeantrag gestellt, der aber keine aufschiebende Wirkung hat. Das heißt, der Mann kann erst einmal abgeschoben werden und danach entscheidet das Gericht, ob er Asyl erhält.

Die Kirchengemeinden sehen im Kirchenasyl einen legitimen Versuch, Flüchtlingen eine erneute Überprüfung ihres staatlich garantierten Schutzanspruchs zu verschaffen. Eine Untersuchung der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche ergab, dass drei von vier Fällen von Kirchenasyl erfolgreich im Sinne der Flüchtlinge beendet werden.

Für eine Gemeinde ist es keine einfache Entscheidung, verfolgte und bedrängte Menschen in ihrer Kirche oder in anderen Räumen aufzunehmen. Sie tragen die Kosten für ihre Gäste, kommen für deren Verpflegung, die Unterbringung, die medizinische Versorgung und die Betreuung durch einen Anwalt oder eine Anwältin auf, manchmal über Jahre hinweg. Sie müssen sich in ihrer eigenen Arbeit einschränken. Auch den beiden Vietnamesen standen in der Kirche in Schwante keine abgeschlossenen Räume zur Verfügung.

Die Gemeinden übernehmen zugleich eine Vermittlerrolle zwischen den Behörden und den Flüchtlingen. Meistens bekennen sie sich öffentlich zu ihrem Beistand. Dabei soll die Öffentlichkeit nicht nur zum Schutz der Flüchtlinge beitragen, sondern auch zu mehr Transparenz in den asylrechtlichen Verfahren. Ein »Dienst am Rechtsstaat und keine Attacke gegen ihn« sei das, wie Bischof Huber meint.

Das Landratsamt sprach hingegen von »rechtsfreien Räumen«, die »nicht zugelassen werden« dürften. Mit dieser Auffassung stand es nicht allein. Am 6. Januar, an jenem Tag, als die Polizei in das Pfarrhaus eindrang, befasste sich der Innenausschuss des brandenburgischen Landtages mit dem Thema. »CDU und SPD waren einvernehmlich der Meinung, dass man in Zukunft härter gegen Kirchenasyl vorgehen müsse, weil die Abgeordneten darin einen Rechtsverstoß sahen«, berichtet der PDS-Abgeordnete Stefan Sarrach.

Erst der öffentliche Protest habe den Ministerpräsidenten zum Nachgeben bewogen. Sarrach fordert genau wie die Landeskirche eine Härtefallkommission für Brandenburg. In Bundesländern, in denen es eine solche gibt, genießen die Menschen, die sie angerufen haben, vorübergehend Abschiebeschutz, bis noch einmal über ihr Bleiberecht entschieden worden ist. Weil das Ausländerrecht eine Reihe von Ermessensspielräumen hat, weichen diese Entscheidungen oft von denen der Behörden ab.

Anders als eine Härtefallkommission ist ein Kirchenasyl juristisch nicht geregelt. Die Polizei in Kirchen zu schicken, um Menschen dort herauszuholen, ist juristisch zulässig. Moralisch ist es jedoch ein Problem, weil die Kirchen ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit genießen, selbst in Brandenburg, wo die meisten Menschen keiner Konfession angehören.

Nur das Saarland hat mit der evangelischen Kirche im August des vergangenen Jahres eine Übereinkunft getroffen, wie mit Menschen im Kirchenasyl verfahren wird. Flüchtlinge im Kirchenasyl gelten dort nicht mehr als untergetaucht. Für das Versprechen, die Behörden frühzeitig zu unterrichten, erhielt die Kirchenleitung die Zusage, dass kein Behördenvertreter die Gemeinderäume betreten werde, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, berichtet der Evangelische Pressedienst (epd).

Anders sieht es in Niedersachsen aus, wo die SPD regiert. In diesem Bundesland, das neben Nordrhein-Westfalen derzeit die meisten Kirchenasylfälle verzeichnet, wurden bereits mehrere Pfarrer deswegen strafrechtlich verfolgt. Insgesamt jedoch nimmt derzeit in Deutschland die Zahl der Fälle ab, in denen Kirchengemeinden Schutz bieten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche spricht von rund 200 Menschen, die momentan in etwa 50 Gemeinden Schutz gefunden haben.