Wartburg L

Krimi: Die DDR schluckt die BRD

Science-Fiction-Autoren und ihre Leser werden häufig belächelt. Doch der Tübinger Marcus Hammerschmitt dürfte auch für Leute interessant sein, die gerne mal über ihre Grenzen hinaus lesen. So errichteten in seinem letzten Buch »Der Zensor« technologisch hoch gerüstete Nachfahren der Maya auf dem Gebiet der ehemaligen Kolonialmacht Spanien ihr neues Machtzentrum, dem einheimische Widerstandskämpfer hoffnungslos unterlegen waren.

In seinem neuen, sechsten Roman »PolyPlay« spielt Hammerschmitt einfallsreich die Idee einer umgekehrt verlaufenen deutschen Wende durch, bei der eben nicht die BRD die DDR, sondern der sozialistische Staat den kapitalistischen geschluckt hat. »PolyPlay« spielt im Jahr 2000. Vom großen Börsencrash 1987 und der sich anschließenden Weltwirtschaftskrise konnte sich die DDR dank der Entdeckung einer neuen Technologie schnell erholen und übernahm innerhalb weniger Jahre die politische und wirtschaftliche Führung in Westeuropa.

Rüdiger Kramer ist Oberleutnant der Volkspolizei. Er wird zu einem Mordfall gerufen. Das Opfer, ein junger Mann, scheint sich viel mit einem veralteten Computerspiel namens PolyPlay beschäftigt zu haben. Kramers Ermittlungen treten von Anfang an auf der Stelle, und immer mehr Indizien deuten auf ein intrigantes Spiel von ganz oben hin. Kramer will es trotzdem wissen, doch führt ihn seine Recherche nur immer tiefer in die Paranoia, bis seine kleine Welt aus den Fugen gerät und er mit ihr.

Bei der Beschreibung des neuen alten DDR-Alltags hat Hammerschmitt gründlich recherchiert und bei der Ausstattung ganz offensichtlich seinen Spaß gehabt. Als Kramer zur Stasi bestellt wird, sitzt neben der Majorin etwa Markus Wolf, »der berühmteste Geheimdienstler der DDR« und »seit 1986 angeblich nur noch ›Schriftsteller‹«. Die Westler, heißt es, hätten »ganz schön gemotzt«, weil »die Nobelschlitten aus Sindelfingen ›Wartburg L‹ (L wie Luxus)« getauft wurden. Man habe sie besänftigen können, da die Qualität in der modernen DDR auf Westniveau blieb, die Preise aber sanken.

Der letzte Kanzler der BRD war Helmut Kohl, doch wurde er wegen Korruption inhaftiert. Joschka Fischer dagegen ist seit 1990 Außenminister, aber Kramer mag ihn einfach nicht: »Er war einer der wenigen Westlinken, die in der neuen DDR Karriere gemacht hatten, ein Machtpolitiker reinsten Wassers.«

Erzählt wird die Geschichte zumeist aus Kramers Perspektive. Die Leser folgen ihm und seinem Kollegen Passulke bei ihren leer laufenden Ermittlungen. Hammerschmitt versteht es, die Spannung stetig zu steigern. Die Handlung ist schlüssig, sein Personal glaubwürdig und die DDR bei weitem nicht nur Kulisse für einen utopischen Kriminalroman.

Denn interessanterweise führt der Kriminalfall hier nicht ins eine oder andere Genre, sondern weit darüber hinaus. Der Autor bringt das Spiel mit der Virtualität, verknüpft mit Kramers Paranoia, zu einer grandiosen Auflösung, in der Kategorien wie Kriminalroman, Politthriller oder Science Fiction nicht mehr taugen. Allen, die vor solcher Genreliteratur sonst eine gewisse Scheu empfinden, sei dringend empfohlen, wenigstens dieses eine Mal über ihren Schatten zu springen.

frank rumpel

Marcus Hammerschmitt: PolyPlay. Argument, Hamburg/ Berlin 2002, 187 S., 12 Euro