Play Gott

Nick Cave ist auf »Nocturama« groß wie immer. von alfred hackensberger

Was willst du schon über ›Gott‹ schreiben?«, würde mir ein alter Freund sagen, wenn er wüsste, dass ich an einem Artikel über Nick Cave sitze. »Dass er einfach großartig, phantastisch, eben göttlich ist? Vergiss es! Hör dir stattdessen lieber seine Musik an!«

Im ersten Moment, als ich »Nocturama«, die neue CD von Nick Cave and The Bad Seeds, hörte, schien mir das, ehrlich gesagt, auch das Beste zu sein. Kein Wort darüber verlieren, stattdessen noch einmal die »Play-Taste« drücken. Mit »Gott« hat das eher weniger zu tun. Aber so etwas wie eine Offenbarung ist es schon, was der mittlerweile 45jährige Nick Cave mit »Nocturama« wieder einmal fabriziert hat. Es ist dieses seltsame Schweigen, in dem einen gute Musik normalerweise zurücklässt. Dieses Gefühl, nichts mehr sagen zu müssen, weil man gerade alles gehört hat. Nick Cave und seinen Bad Seeds gelingt dieser Effekt mit ihrem bereits zwölften Studioalbum mit geradezu verblüffender Leichtigkeit.

Insgesamt sind es zehn Tracks, die innerhalb einer Woche während einer Tourpause in Australien aufgenommen wurden. Produziert wurden sie von Nick Launay, mit dem Cave schon einmal zu Birthday-Party-Tagen (»Release the Bats«, 1981) zusammengearbeitet hatte. Mick Harvey, der Gitarrist der Seeds, hatte den in Los Angeles lebenden britischen Produzenten vorgeschlagen, nachdem klar war, dass es keine Zeit gab, »Nocturama«, wie sonst üblich, selbst zu produzieren. »Das klingt alt und müde«, erzählt Nick Cave schmunzelnd, sei der erste Kommentar des Briten zum Material von »Nocturama« gewesen. Ganz verständlich, wenn man weiß, dass Nick Launay in L.A. normalerweise mit Punk-Bands im Studio steht. »Wir sagten ihm dann, wir sind alt und müde.«

Aber »Nocturama« ist weder ein Veteranen-Album noch ein Produkt »alter und müder« Cowboys. Nick Launay dürften wohl drei Stücke besonders gut gefallen haben, in denen die Band rasant, krachend, rockig wie auf den ersten Platten zu Werke geht. (Ich vermeide Etiketten wie »Garage« oder »Postpunk«.) Das ist zum einen »Bring it On«, das als Single ausgekoppelt wurde und zu dem John Hillcoat, der Regisseur des kongenialen Films »Ghosts of the Civil Dead« (1987), das Video drehte. Mit spärlich bekleideten Komparsinnen, eine Art Hommage an die US-MTV-Popvideos. »John Hillcoat fragte mich«, sagt Nick Cave, »was ich für ein Video machen wolle. Ich erkundigte mich: ›Wie sehen denn die Videos heutzutage auf MTV aus?‹ Er meinte: ›Hauptsächlich wackeln da eine Menge schwarzer Mädchen vor der Kamera mit dem Arsch.‹ ›Na, gut, dann machen wir eben auch so was‹, sagte ich ihm.«

Der zweite Song ist wohl »Dead Man In My Bed«, eine Geschichte »über die Ehe, komisch, gleichzeitig witzig und düster« (Cave). Und natürlich nicht zu vergessen »Babe, I’m On Fire«, das große 15minütige Finale von »Nocturama«, das auch live als Schlussnummer eines Konzertes sehr gut kommen dürfte. Im Studio wurde der Song, der 43 Strophen hat und eigentlich noch länger ist, nur einmal vor der Aufnahme geprobt. »Es ist genau diese Art von Lied, das herauskommt, wenn man eigentlich keines schreibt«, meint Cave. Als »Chorus Vocal« singt hier Chris Bailey von den australischen The Saints, die Nick Cave in den achtziger Jahren »wie Götter« erschienen. Die restlichen sieben Songs der CD sind Balladen, typische Nick-Cave-Balladen, meditativ und fragil, mit einem Weltschmerz, der ein bisschen an seine Vorbilder Van Morrison, Leonhard Cohen, Jonny Cash und teilweise auch an Neil Young erinnert. Schwer klavierlastig und erneut mit Warren Ellis an der Violine.

Es sind Lieder über das Leben, die Ehe, die Liebe, die Wahrheit, Gefühle und zwischenmenschliche Missverständnisse, bei denen sich Cave völlig verausgabt und keine unnötigen Pop-Haltungen mimt. Wenn die Songs ein anderer singen würde, würden sie teilweise wahrscheinlich sogar kitschig wirken. Aber es ist die Qualität von Nick Cave, dass er es ganz im Gegenteil schafft, den Liedern eine Tiefe und Tragweite zu geben, von denen andere nur träumen. Es ist nicht die »düstere, dunkle Seite des schwarzen Engels«, die bei Nick Cave immer wieder apostrophiert wird, die ihn und seine Musik so interessant macht. Auf »Nocuturama« sind die Texte durchweg positiv, »It’s a Wonderful Life« kann man durchaus programmatisch sehen. Der gleichnamige Song ist auch der erste Titel auf dem Album. Und wenn ich an die große Liebeserklärung in »Right Out of Your Hand« denke, dann ist es gerade diese Mischung aus weltzugewandten Gefühlslyrics und diesem elegischen, so »dunkel« wirkenden Tonfall, die das Spezielle von Nick Cave ausmachen. Man kann bei ihm hören, wie eben große Gefühle sind, in denen Weinen und Lachen, Freude und Schmerz miteinander vereint sind.

»Unglücklichsein ist ein Luxus für arrogante Idioten«, meint Nick Cave, »die sonst nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Ich bin Arbeiter, kein Denker.« Hinzukommt, und das ist wohl auch das Geniale, dass die Musik dieses »Arbeiters«, obwohl sie so persönlich ist und ganz ohne »explicite lyrics« auskommt, absolut nichts von ihrer kritischen Sprengkraft einbüßt. Ausgerechnet von einem Mann, der mit der Welt nichts zu tun haben will, täglich von »nine to five« ins Büro geht, um Texte zu produzieren. »Schreiben ist die einzige Möglichkeit herauszufinden, wie ich selbst über manche Dinge fühle und denke.« Neben seiner Arbeit sind ihm seine Familie und seine drei Kinder das Wichtigste. »Ich habe eine tiefe Abneigung gegen diese Welt«, sagt Nick Cave, »für diese Gesellschaft und wie es politisch läuft. Für mich ist es wichtig, mich ganz und gar abzuschotten von dieser Welt und eine Ersatzwelt zu kreieren durch das, was ich musikalisch mache. Eine Welt, die weit weg ist von der normalen, in der es keine Unterbrechung der Kreativität gibt.« Das klingt nach dem Künstler im Elfenbeinturm, nach einer »Geniekonzeption«, aber was soll’s.

Das Drogennehmen hat Nick Cave nach 20 Jahren angeblich eingestellt. »Tatsächlich wollte ich nicht mit den Drogen aufhören. Ich hatte Probleme, weil ich ein paar Mal gebustet worden war. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder Knast oder Entzug. Deshalb bin ich letztendlich in die Klinik gegangen. Schließlich erkannte ich, dass dies das Beste war.«

Auch ein Künstler im Elfenbeinturm wie Nick Cave muss seinen Tribut an die Gesellschaft zahlen. »Die 20 Junkie-Jahre waren für mich eine wichtige Zeit. Daran besteht kein Zweifel. Als Junkie muss man nur immer jedem beweisen, dass man auch alles tun kann. Immer dieser Druck, sein Leben rechtfertigen zu müssen. Das ist eine kleine Tyrannei. Heute muss ich nichts mehr verteidigen. Das ist sehr befreiend.«

Das beständige Arbeiten, das Familienleben, die Abstinenz, die Rückkehr nach London nach einigen Jahren in Brasilien und der Steinway, das Hochzeitsgeschenk der Schwiegereltern, scheinen seiner Kreativität gut zu tun. In Zukunft müssen wir nicht mehr ein paar Jahre auf ein neues Nick-Cave-Album warten. Jedes Jahr soll es nun eine Platte geben. Die nächste sei schon halb fertig. Erfolg interessiere ihn dabei nicht, er möchte nur etwas machen, und wenn ein Album draußen ist, hat er es gewöhnlich schon vergessen. Vielleicht gibt es sogar einmal ein »The Comic Greats of Nick Cave«, der Buster Keaton liebt und von sich selbst behauptet, er sei einer dieser Typen, die im Kino so lange gackern, bis alle genervt seien. Auf diesem Album fände man die kompletten »Murder Ballads« und zwei Songs von »Nocturama«, »Dead Man In My Bed« und »I’m On Fire«. Und jetzt, was soll man noch über »Gott« schreiben? Am besten nichts.

Nick Cave: Nocturama. Mute/Virgin