Immer der Kugel nach

Ein neuer Krimi von Wolf Haas
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Es beginnt mit einer Art Wunder in der Grazer Landesnervenklinik Sigmund Freud. Freilich, der Chirurg hat seinen Teil dazu beigetragen, als er dem Brenner die Kugel aus dem Kopf geholt hat. »Aber trotzdem steht dir ein Hoffnungsloser nicht mehr auf, chirurgische Meisterleistung hin oder her. Ohne Wunder geht da gar nichts.« Und wo hat es so etwas schon mal gegeben, dass die Hauptperson, also der Brenner, schon zu Beginn einer Geschichte halb tot ist?

Der Brenner ist ein ehemaliger Wiener Polizist und Privatdetektiv und gerade wieder in seine Heimatstadt Graz zurückgekehrt. Vier Freunde von der Polizeischule haben damals die Puntigamer Raiffeisenbank überfallen, »mehr so ein Bubenstreich unter Polizeischülern«. Die Beute haben sie unterwegs verloren und einer auf der Flucht sogar sein Leben. Als der Brenner nun nach Graz zurückkehrt, sind nicht alle begeistert. Der eine ist mittlerweile Leiter der Kripo, der andere Hausmeister im Arnold-Schwarzenegger-Stadion. Als der Brenner sich nun mit seinem alten Polizeischulkumpel, dem Hausmeister, trifft, bekommt er noch in derselben Nacht eine Kugel in den Kopf. Ist ja klar, dass der Brenner jetzt wissen will, wer da den Finger am Abzug hatte.

Die Jagd nach der Wahrheit verläuft beim Brenner auch diesmal nicht sehr geradlinig, zumal er ja noch nicht ganz auf der Höhe ist. Mit dem Sehen hat er Schwierigkeiten, weil so ein Sehnerv nämlich, »der mag es gar nicht, wenn du ihm mit einer Kugel kommst. Gott sei Dank der Sehnerv vom Brenner nicht ganz kaputt, nur beleidigt.« Die Ärzte meinen, es sei ein Selbstmordversuch gewesen, der Brenner aber ist überzeugt, dass ihn die Kripo aus dem Weg schaffen wollte. Außerdem: »Das weiß heute jedes Kind, wie man sich korrekt umbringt. Die lernen schon im Kinderfernsehen, unbedingt in den Mund schießen, aber ja nicht seitlich, sonst wirst du womöglich blind davon.«

Der 1960 geborene, österreichische Autor Wolf Haas, studierter Linguist und ehemaliger Werbetexter, liebt Halb- und Nichtsätze, weil »ganze Sätze immer gefährlich«. Sein Erzähler schreibt, wie er sonst am Tresen erzählen würde, duzt sein Gegenüber, schwadroniert, schweift ab und breitet dabei aufs Unterhaltsamste so ganz nebenbei manche Lektion vor den Lesern aus: »Jetzt hat man in den letzten Jahren eines gut studieren können. Bei den Kühen in England. Dass es nie gesund ist, wenn Kühe Schafe fressen. Und ganz ähnlich ist es, wenn die Zeitungen zu viele Informationen im Zeitungsgeschäft holen. Da kann es im Lauf der Jahre zu einer gewissen Gehirnerweichung kommen.«

Auch die Grazer – der Roman war eine Auftragsarbeit für die diesjährige Kulturhauptstadt Europas – dürften zufrieden sein mit dem Ergebnis, denn Haas bringt seinen Schauplatz elegant, wenn auch mit gewohnt schrägen Vergleichen, zur Geltung. Da kommt dem Brenner sein Schädel-Röntgenbild schon mal vor wie der Stadtplan von Graz. Haas’ Roman ist kein gemütlicher Spaziergang durch die Stadt, sondern gleicht eher einer Fahrt in einem führerlosen Hochgeschwindigkeitszug.

frank rumpel

Wolf Haas: Das ewige Leben. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, 222 S., 17,90 Euro