Pantauwetter

Der tschechische Kinderfilm und seine Botschaft. von naatz (der)

Im Gewand eines britischen Doppelagenten braust Pan Tau, mal groß, mal klein, seit 1965 in seinem pittoresken Weltraumschiff einher, um das unter der Knute des Sozialismus leidende tschechische Jungvolk von der Ödnis des Alltags abzulenken.

Mittels seiner Melone, einer raffinierten Abwandlung des ostdeutschen Westbananensyndroms, zaubert Tau eine Schneelandschaft herbei, die selbst einem winterlichen Stalingrad zur Ehre gereicht hätte. So ist es dem Tschechenkind möglich, eine Rodelreise ins Gück anzutreten, die es den Hunger und alle Bevormundung vergessen lässt.

Pan Tau steht eindeutig in Diensten der tschechischen Sicherheitsbehörde. Trotz all des Chaos, welches er regelmäßig anrichtet, sorgt der verschlagene Scherge des Politbüros stets dafür, dass das, im Kalten Krieg so wichtige, Gleichgewicht des Schreckens bestehen bleibt. Westdeutsche Kinder hat der stumme Raketenonkel nie aufgesucht. Obwohl man seine Abenteuer im Westfernsehen betrachten konnte, legten die Behörden großen Wert darauf, Tau die Grenzen des tschechischen Regimes nie übertreten zu lassen.

»Koproduktion mit dem WDR!«, werden jetzt einige von Ihnen krähen. Doch wo war Pan Tau, als der Iwan seine stählerne Klaue über die Tschechoslowakei spannte und dem Prager Frühling das vorwitzige Gänseblümchen ausriss? Säte der Freund der Kinder nicht den Winter? Sorgte er mittels schwarzer Magie nicht für ein Erkalten der bereits so sonnigen Landschaft? Nein, in Prag befand sich unser falscher Freund zu jenem Zeitpunkt nicht. Einige vermuten ihn in Vietnam, wo er den Vietcong truppenbetreute.

Dieser Kerl, der außer »Bim-Bo« und »Knö-Knö« nie ein Wort über die Lippen bekam, da er sprachlos wie sein Volk war, ist beileibe nicht der Einzige, der jahrzehntelang für das Überleben des Sozialismus eintrat.

Jedes Kind wird einmal im Jahr mit dem wohl perfidesten Werk tschechischer Kinderfilmproduktion konfrontiert: »Drei Nüsse für Aschenbrödel«. Eine törichte Verfremdung unseres Aschenputtels, das hart arbeitend den Aufstieg ins Königshaus schafft. Sicherlich, es erhält Hilfe von einer Fee, die allerdings alle Attribute der westlichen Gesellschaft in sich vereint. Sie ist reich, schick angezogen und steht auf noble Karossen. Alles Dinge, die der Warschauer Pakt für sein Volk ablehnt. Doch letztendlich verfällt das Tschechenbrödel dem geilen Geifern des Königlichen. Es gibt sich ihm hin und verrät die Tugenden des Sozialismus. Wegen den drei Nüssen des Prinzen vermutlich.

Wie andere westdeutsche Kinder saß auch ich damals applaudierend vor dem Fernsehapparat und pries Brödels Entschluss. Dass im Gegenzug das tschechische Kind eine gänzlich andere Lehre aus Brödels Untat zog, ahnte ich nicht. Im Gemeindehaus seiner sozialistischen Enklave wird es gesessen, ein Gedicht zum Vortrag gebracht, den obligatorischen, momentan die Erde umkreiselnden Sowjetmenschen in seinem Sternenschiff lobend erwähnt, Aschenbrödels Heirat zur Volksverhetzung erhoben und seinen Verrat verdammt haben.

Schon früh lernte der sozialistische Mensch, dass er zwar Fehler machen dürfe, diese jedoch bereuen werde. An der Seite eines bluterischen Verweichlings würde das Brödel nun bis ans Lebensende ausharren müssen und sich der harten Fron zum Siege des Sozialismus verweigern. Diese Perfidität der Warschauerpaktregime durchzieht den tschechischen Kinderfilm wie ein roter Faden.

Als eines Tages auch das letzte tschechische Kind dem Teufel Fernseher verfallen war, so um 1980 herum, erfand man »Die Märchenbraut«, eine Serie, die es sich zur Aufgabe gestellt hatte, das Fernsehen zu vernichten, da es die Phantasie vernichten würde. Märchen sollten die Hirne der Ostkinder erfüllen. Schluckimpfung ist süß, Realität grausam. Märchen spielten im Warschauer Pakt seit Stalins Zeiten eh eine große Rolle. So etwa jenes, dass Väterchen Stalin mit dem eigenen Flieger ins geschlagene Berlin sauste.

In der »Märchenbraut« stößt der fette Herr Meier versehentlich ins Märchenreich. Er, der Fernsehangestellte, vernichtet durch seine Unvollkomenheit das Märchen selbst. Doch sein doofer Sohn Peter heiratet dann Arabella, die Prinzessin, und alles wird gut. Weil er sich dem Märchen ergibt.

Auch Westschurken wie Fantomas werden nicht etwa als gemeine kapitalistische Superverbrecher geschildert, sondern als tierliebe Weicheier. Das Abbild des gesunden Kapitalisten, der die Marktwirschaft kennt, wird hier ad absurdum geführt. »Fürchte dich nicht vor Fantomas, er ist nicht real«, wird dem tschechischen Kind eingebläut. Träume weiter. Oh, wie wir westlichen Menschenkinder alles falsch verstanden!

»Siehe, es ist Fantomas! Geliebter Held aus heiteren Louis-de-Funés-Spektakeln! Klau das Geld, Fantomas! Bereichere dich, wie auch wir uns bereichern wollen! Der hat bestimmt zwei tolle Carrerabahnen! Will ich auch«, schrien wir im goldenen Westen und waren immun gegenüber der versteckten Botschaft der Märchenbraut.

Ja, auch wir mochten diese komischen tschechischen Filme und Serien. Waren sie doch in extremem Maße exotisch. Man las Zack, das aufregende Magazin für Knaben mit Technikverstand. Da hatte es tolle Schnittzeichnungen westlicher Kampfbomber, und stratosphäre Helden wie Dan Cooper oder Mick Tanguy schnallten an, stiegen auf und luftsiegten unentwegt. Doch welch seltsame Maschinen pilotierten ihre unterlegenen Gegner? Sie waren von geheimnisvoller Hässlichkeit, unschnittig und ofenrohrförmig in Design und Ausführung.

Im tschechischen Kinderfilm jedoch kam es schon einmal vor, dass so eine MiG ein Waisenhaus rammt und der kleine Junge mit dem Modellflugzeug, den kein Mensch lieb hat, klettert über die Trümmer des Jets und ein gut gelaunter Frontfliegerstreitkräftepilot steigt aus dem Gerät und fragt den Knaben, ob er nicht sein Sohn sein wolle. Im westlichen Kinderfilm gab es so etwas nicht. Und so wuchs das Interesse am Jet aus sowjetischer Fertigung und man überwand sich im Kaufhaus und erstand das Modell einer Feindmaschine, statt der obligatorischen Phantom II und war fasziniert.

Im selben Maße stieg auch die Erkenntnis ob der Bedrohung durch den Iwan. Tat man den Kalten Krieg als beiläufige Nebenwirkung der Weltlage ab, dachte man nun »Donnerwetter! Diese MiG 21 ist ein flinkes Stück Geflügel. Wendig wie ein Aal und pilotiert von grausamen Mongolen.« Ich teilte diese Meinung und war letztendlich das einzige Kind in der Klasse, welches den Nato-Doppelbeschluss guthieß. Sicher, auf eine hinterhältige Weise hatte die versteckte Moral des tschechischen Kinderfilms mich beeinflusst. So wie das arme tschechische Kind zog auch ich Lehren aus dem gebotenen Spektakel. Der Unterschied bestand darin, dass ich die richtigen zog. Doch benötigte ich Zeit, hinter all diese gemeinen Tricks der psychologischen Kriegführung zu kommen.

Sexana, das Mädchen auf dem Besenstiel, konnte mich damals, aufgrund meiner angeborenen Unschuld, noch nicht vom rechten Wege abbringen. Die sexuellen Konnotationen hinter der Figur blieben mir verborgen. Auch dass die Verderbte Jungens am liebsten in Rammler verwandelte, ließ mich nicht aufhorchen.

Sexuelle Anspielungen ohne Unterlass, Nüsse, Sexana auf dem Besenstiel, Ritt, Brüste, Pan Tau – mal groß, mal klein. Kein Wunder, dass meine erste Liebesnacht zu einem Debakel wurde, als ich dem Mädchen beschied, Pan Tau einmal anzurühren.