Stütze der Empörung

ich-ag der woche

Paul X. (64), Rentner, hat bis zu seinem 62. Lebensjahr hart gearbeitet. Jetzt genießt er seinen Lebensabend in Miami Beach. »Aber manchmal vermisse ich Deutschland.« Ist das nicht rührend?

Manfred Y. (64), Sozialhilfeempfänger, seit seinem 39. Lebensjahr arbeitsunfähig, lebt in einer winzigen Wohnung, ist einsam und depressiv. Früher hatte er Erfolg, war glücklich und gesund. Dann brach alles zusammen. »Einmal in meinem Leben würde ich gern am Strand von Miami Beach spazieren gehen.« Bleibt da ein Auge trocken?

Mit sehr viel Glück würden es auch Paul X. und Manfred Y. in die Bild-Zeitung schaffen. Aber keinem von beiden würde gelingen, was Rolf J. gelang: ganz Deutschland nachhaltig in Aufruhr zu versetzen. Und zwar vor Empörung statt vor Rührung. Dabei hat der 64jährige Frührentner Rolf J. bloß von beiden etwas: den Strand von Florida wie Paul X., Depressionen und Sozialhilfe wie Manfred Y.

Aber genau das geht so nicht. Das darf nicht sein. Das hat er nicht verdient. Florida-Rolf macht den Sozialstaat kaputt. Weil er sich nimmt, was ihm zusteht. Weil er auf den ersten Blick alles hat, was man zum Glücklichsein braucht, ohne dafür zu arbeiten. Weil sogar alles mit rechten Dingen zugeht und vom Amt genehmigt ist. Weil er noch nicht mal dankbar und kleinlaut ist, sondern der Presse erzählte, nie wieder nach Deutschland zurück zu wollen.

Deshalb ist Rolf J. zum bekanntesten deutschen Sozialhilfeempfänger geworden. Da kann Viagra-Kalle nicht mithalten.

regina stötzel