Fäuste und Federn

Die Wirtschaftskrise und der Tourismus bringen in Kuba die Geschlechterverhältnisse gründlich durcheinander. Von Miriam Lang

»Schauen Sie sich das an.« In der Stimme des Taxifahrers schwingt Abscheu mit. »Jeden Abend sind die hier, 200, 300. Alles Homosexuelle. Stellen Sie sich das mal vor. Jeden Abend.« Der Pulk entlang der Mauer des Malecón, über die ab und zu die Gischt spritzt, ist ausgelassen. Eine Gruppe Musiker spielt für zwei alternde Holländer mit Dollars in der Tasche »La vida es un carnaval« von Celia Cruz. Hinter ihnen auf der Mauer tanzt ein Transvestit mit weißblonder Perücke. Die Leute teilen Rum aus Plastikflaschen und Zigaretten.

Am Malecón treffen sich Havannas Lesben und Schwule immer dann, wenn das Meer es erlaubt. Manchmal schlagen die Wellen über die Mauer und überschwemmen die Straße bis zu den gegenüberliegenden Häusern. Aber an lauen Abenden ist der Malecón eine der besten locations in der Stadt: kein Eintrittspreis, billige, mitgebrachte Getränke, gute Musik und gute Stimmung. Doch meistens ist die Party irgendwann zu Ende. Blau uniformierte Polizisten setzen ihre Trillerpfeifen ein und räumen das Areal, als Vorwand dient Lärmbelästigung. Die so Vertriebenen ziehen murrend davon, sie sind Willkür gewohnt.

Offene Schwulen- und Lesbenkneipen oder Clubs gibt es in Havanna bis heute nicht. Obwohl Homosexuelle das Straßenbild der Stadt auffällig prägen, wird ihre Anwesenheit nur toleriert. An Stränden oder auf der Straße werden sie oft aus fadenscheinigen Gründen mit der höchstmöglichen Geldstrafe belegt, 60 kubanische Pesos, oder sie müssen eine Nacht mit auf die Wache. Ihre Partys, die sie in Privatwohnungen gegen einen kleinen Obulus ausrichten, werden häufig geräumt. Die Polizei fährt mit Mannschaftswagen vor und sammelt alle Gäste ein, da es sich um eine illegale Feier handele.

Trotzdem sind Lesben und Schwule in Kuba heute sehr selbstbewusst. Über lange Zeit hinweg hat das revolutionäre Kuba sie offen diskriminiert. Das ist unter anderem deshalb bekannt, weil dieser Umstand in den USA zu einer Zeit, als Homosexuelle auch dort bei weitem nicht gleichgestellt waren, häufig der anticastristischen Propaganda diente.

Verschiedene Elemente verschmolzen nach 1959 zu einer schwulenfeindlichen Staatsideologie. Einerseits wurde Schwulsein von der politischen Führung mit den überkommenen, vorrevolutionären Verhältnissen assoziiert, als Havanna noch eine verruchte Vergnügungsmeile für US-Amerikaner war. Zum anderen wurden von der Sowjetunion puritanische Auffassungen über »sozialistische Moral« übernommen und »revolutionäre Tugenden« stark an hegemoniale Konzepte von Männlichkeit gekoppelt.

Dies führte dazu, dass gesellschaftliche Vorurteile, die schon vor der Revolution gleichzeitig mit faktischen sexuellen Freiheiten für Homosexuelle existierten, sich nach 1959 zur Staatsideologie verfestigten. 1965 schrieb der Schriftsteller Samuel Feijóo: »Kein Schwuler repräsentiert die Revolution, die eine Angelegenheit für Männer ist; eine Sache der Fäuste und nicht der Federn; des Mutes, nicht des Zitterns; der Gewissheit, nicht der Intrige; der kreativen Werte und nicht der süßen Überraschungen.« Da vor allem bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit abgesichert werden sollten, betraf die Repression vor allem Schwule, während Lesben in der offiziellen Wahrnehmung weitgehend ignoriert wurden.

Mitte der sechziger Jahre erreichte die Verfolgung Homosexueller ihren Höhepunkt, als Schwule in den so genannten Umap-Lagern (Unidades Militares de Ayuda a la Producción) interniert wurden. Auch wenn diese Lager bereits 1967 auf Druck von verschiedenen Seiten wieder abgeschafft wurden, galt Homosexualität in Kuba bis weit in die siebziger Jahre als »heilbare Krankheit«. Noch in den Achtzigern wurden Schwule in medizinischen Berufen, in der Psychologie, im Bildungswesen, in der kubanischen Armee und in politischen Führungspositionen nicht zugelassen.

Im Herbst 1979 erschien im Rahmen der neu eingeführten Sexualerziehungsprogramme der erste Artikel, der offiziell gegen die Diskriminierung von Schwulen eintrat. Es handelte sich um die Übersetzung eines Texts des DDR-Sexologen Siegfried Schnabl, der Homosexualität als einen normalen Aspekt menschlicher Sexualität bezeichnete und die Probleme von Schwulen auf ihre gesellschaftliche Ausgrenzung zurückführte. Das im selben Jahr reformierte Strafrecht enthielt jedoch weiterhin die so genannte ley de peligrosidad, ein Gesetz über »antisoziales Verhalten«, das eine Inhaftierung von einem Jahr bis zu vier Jahren zu therapeutischen oder Umerziehungszwecken vorsah und einen großen Spielraum für diskriminierende Interpretationen ließ.

Im Vergleich dazu leben Homosexuelle in Kuba heute weitgehend unbehelligt. Sie werden inzwischen auch als Parteimitglieder in der PCC zugelassen und können zumindest in den urbanen, touristischen Zentren ihre sexuelle Orientierung offen zeigen. Trotzdem bestehen gesellschaftliche Vorurteile selbstverständlich fort.

Schwule und lesbische Erkennungscodes haben im Zuge der Ausbreitung des Jineterismo seit den neunziger Jahren an Bedeutung gewonnen, in dessen Rahmen ein neuer Markt für homo- und bisexuelle Prostitution entstanden ist. Eine gay-pride-Bewegung, die offensiv für die Rechte von Lesben und Schwulen eintritt, existiert in Kuba allerdings genauso wenig wie andere soziale Bewegungen dieser Art.

Gesellschaftliche Folgen der Período Especial

Die Período Especial, so heißt die Wirtschaftskrise in Kuba nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, und insbesondere ihre akute Phase in den Jahren 1993 und 1994, stellt für die Bevölkerung bis heute ein Trauma dar. Insbesondere die Frauen, die auch in Kuba in den allermeisten Fällen immer noch die Verantwortung für die Familienökonomie tragen, hatten unter dem plötzlichen Zusammenbruch der staatlichen Lebensmittel- und Konsumgüterversorgung zu leiden. Eine Bevölkerung, die bereits seit zwei Generationen soziale Sicherheit und eine flächendeckende Versorgung von oben gewöhnt war, erlebte den Zusammenbruch dieses Verteilungssystems.

Die bodegas, wo Kubaner bisher regelmäßig ihre Lebensmittelrationen, aber auch Reinigungs- und Hygieneartikel erhalten hatten, blieben leer oder so gut wie leer. Mujeres, die Frauenzeitschrift der kubanischen Frauenföderation FMC, veröffentlichte, solange sie überhaupt noch erschien, Rezepte, wie man aus dem weißen Teil von Grapefruitschalen leckere Ersatz-steaks zaubern könne. Wer etwas halbwegs Schmackhaftes essen wollte, war auf sich selbst gestellt und musste etwas »erfinden« – inventar, ein Wort, das für das Kuba von heute charakteristisch ist.

Armut, die seit 1959 offiziell als überwunden galt, wurde plötzlich wieder am eigenen Leib erfahrbar. Während es zunächst nur an Gütern mangelte, jedoch nicht an Geld – die Gehälter in kubanischen Pesos wurden weiterhin ausgezahlt, auch wenn viele Arbeitsplätze aus Energiemangel wegfielen –, änderte sich dies drastisch mit der Legalisierung des Dollar im Jahr 1993.

Die Existenz beider Währungen, gekoppelt mit der Förderung des Massentourismus als neuer Deviseneinnahmequelle, teilte die Bevölkerung ab sofort in Dollarbesitzer und Nichtdollarbesitzer. Es entstand eine gesellschaftliche Kluft, die umso tiefer ist, als seit der Einführung eines flächendeckenden Netzes von Dollarshops einige notwendige Güter wie Seife, Waschmittel oder Speiseöl kaum noch über die bodegas verteilt werden, weshalb die Kubaner sie nur zu den völlig überteuerten Preisen der staatlichen Devisenbeschaffungsläden erwerben können. Kubanische Experten gehen davon aus, dass etwa die Hälfte aller kubanischen Familien keinen regelmäßigen Zugang zu Dollars hat, und ca. 20 Prozent der Bevölkerung tatsächlich ohne Devisen auskommen müssen.

Die Legalisierung des Dollar und die damit verbundene Parallelität zweier Ökonomien brachte nicht nur die soziale Ungleichheit zurück nach Kuba, sondern veränderte auch das soziale Gefüge. Ehemals angesehene Hochschullehrer, Ingenieure oder Rechtsanwälte suchen sich heute einen »Job« in der Tourismusbranche als Kofferträger, Kellner oder Taxifahrer, um an der Dollarökonomie teilhaben zu können. Viele junge Kubaner brechen nach der obligatorischen Schulzeit von neun Jahren ihre Ausbildung ab, weil sie wissen, dass auf der Straße wesentlich mehr Geld zu verdienen ist als mit einem Universitätsabschluss.

Das Verhältnis zur Arbeit ist auf der Insel nach wie vor ein anderes als in kapitalistischen Gesellschaften. Leistung und Bezahlung stehen in einem recht willkürlichen Verhältnis zueinander. Eine Prostituierte kann in einer Stunde leicht 100 Dollar verdienen, eine durchschnittliche Verwaltungsangestellte muss dagegen für dieselbe Summe – oder ihr Äquivalent in Pesos – acht Monate lang 40 Stunden in der Woche arbeiten. Die Tatsache, dass die allermeisten Jobs im staatlichen Sektor in Pesos bezahlt werden, die in der Alltagsökonomie weitgehend entwertet sind, verbannt jegliche Arbeit in diesem Bereich zumindest wirtschaftlich in den Bereich des Absurden. Gearbeitet wird dort nicht für Geld, sondern aus Liebe zur Tätigkeit oder aus sozialem Verantwortungsgefühl.

Ökonomische Eigeninitiative ist in Kuba nach wie vor ungern gesehen. Zwar wurden im September 1993 als Reaktion auf die Krise 180 privatwirtschaftliche Tätigkeitsarten erlaubt. Doch in den letzten Jahren werden diejenigen, die sich tatsächlich für einen Weg als cuentapropistas entschieden, mit einer drastischen Steuerpolitik, einer exzessiven Genehmigungs- und Inspektionsbürokratie und vor allem mit extrem hohen Geldstrafen vergrault. Dies betrifft vor allem die lukrativen Sektoren der individuellen Privatwirtschaft, wie die paladares genannten Privatrestaurants oder die Zimmervermietung an Touristen. Andere legalisierte Tätigkeiten, wie z.B. die des Feuerzeugauffüllers am Straßenrand, erinnern dagegen eher an die Mikrounternehmen des informellen Sektors im kapitalistischen Rest von Lateinamerika.

Neben diesen offiziell genehmigten Jobs hat sich vor allem in den Städten ein breiter informeller Sektor herausgebildet. Zum Teil wird er vom Staat toleriert, zum Teil in Wellen von Repression verfolgt. Er reicht vom Nähen in Heimarbeit über den Straßenverkauf von selbst gemachten Schuhen bis hin zum Tür-zu-Tür-Verkauf von Lebensmitteln, Medikamenten, Werkzeug und Gütern aller Art, die meist aus den staatlichen Versorgungsnetzen abgezweigt sind. So berichtet z.B. eine Kantinenarbeiterin in einem staatlichen Krankenhaus in Havanna auf die Frage, ob sie denn einen Nebenverdienst habe: »Nun gut, ich beschaffe den Leuten Medikamente, die ich im Krankenhaus mitgehen lasse, wenn sie reinkommen. Mir ist das unangenehm, aber von irgendwas muss ich ja meine Kinder ernähren. Und es sind gute Medikamente.«

Diese komplizierte wirtschaftliche Gemengelage hat zwei parallele Wertesysteme hervorgebracht, die sich extrem widersprüchlich zueinander verhalten. Zum einen ist da die offizielle Moral der bedingungslosen Selbstaufopferung und des Heldentums, die von den staatlichen Institutionen und Medien täglich propagiert wird. Zum anderen gibt es die pragmatische Moral der täglichen luchita, des Kampfes zwar nicht ums Überleben, aber doch um ein materiell halbwegs erträgliches Leben. Der Widerspruch zwischen dem vom offiziellen Diskurs eingeforderten Menschenbild und dem Typ Mensch, der man sein muss, um in Kuba ökonomisch erfolgreich zu sein, könnte größer nicht sein.

Jineterismo: Die neue Herausforderung

Im letzten Jahrzehnt ist vor allem in den touristischen Zentren eine Generation herangewachsen, die extremen Wert auf gesellschaftlichen Status und materielle Werte legt. Sie lebt von kommerziellen Kontakten unterschiedlicher Art mit Touristen und hat den Jineterismo geprägt.

Der Begriff, der in etwa das »Aufspringen« auf eine Person meint, bezeichnet eine spezifisch kubanische Variante der Prostitution oder des Schwarzhandels. Sie basiert auf der persönlichen Begleitung eines Ausländers oder einer Ausländerin während eines Teils oder der Gesamtheit des Ferienaufenthaltes. Diese Begleitung kann neben sexuellen auch verschiedene andere Dienstleistungen beinhalten, z.B. die Beschaffung von Schwarzmarktgütern wie Zigarren oder Drogen, Hilfe bei der kulturellen Freizeitgestaltung oder Tipps im Umgang mit Behörden. Vom Jineterismo leben sowohl Frauen als auch Männer. Auch wenn mehrheitlich sexuelle Dienstleistungen von Frauen angeboten und nachgefragt werden, hat sich daneben eine beträchtliche homosexuelle und bisexuelle männliche Prostitution entwickelt.

Die Gesellschaft hat in Bezug auf diese lukrative Einnahmequelle eine eigentümliche Doppelmoral entwickelt. Häufig sind es die Mütter, die ihre (zum Teil noch minderjährigen) Töchter dazu anhalten, bloß nicht mit einem »Freund« nach Hause zu kommen, der keine Dollars in der Tasche hat. Der Übergang ist hier fließend, er reicht von der Sorge um die materielle Zukunft des Kindes bis hin zur direkten Aufforderung an das Mädchen, ungeachtet der Mittel und Wege für das Familieneinkommen zu sorgen.

Dabei werden die Begriffe Prostitution oder Jinetera in der Regel nicht verwendet. Die Mutter wird den europäischen Rentner, der zweimal im Jahr ein paar Wochen mit ihrer Tochter verbringt und damit die Familie ernährt, den Nachbarn gegenüber konsequent als Verlobten oder Geliebten der Tochter bezeichnen, obwohl alle Beteiligten wissen, dass es sich in erster Linie um eine kommerzielle Beziehung handelt.

Ehemänner oder Lebenspartner betätigen sich sogar als Zuhälter ihrer Frau, indem sie sie auf die Straße begleiten und ihnen die künftigen Kunden aussuchen oder auch gleich mit diesen einen Erstkontakt herstellen. Weil eine besondere sexuelle Befähigung zu den kollektiv imaginierten Elementen kubanischer Nationalkultur gehört, gelten lukrative Ausländer generell nicht als sexuelle Nebenbuhler.

Wegen dieses breit gefächterten Angebots ist Kuba in den letzten zwölf bis 15 Jahren wieder zu einem Hauptziel des Sextourismus geworden. Doch anders als vor 1959 kommen die meisten Sextouristen heute aus Europa. Auch wenn die kubanische Frauenföderation wiederholt intervenierte, um Werbung mit klischeehafter Mulattinnenerotik aus den offiziellen Tourismusbroschüren zu verbannen, hat sich am Zustrom der Sextouristen – und durchaus auch der Sextouristinnen – wenig geändert.

Für die politische Führung der Insel ist das ein großes Dilemma, denn einerseits ist das Land dringend auf die Devisen angewiesen, die auch diese Klientel bringt, doch gilt der Jineterismo auch als Anzeichen für den moralischen Verfall der Revolutionsgesellschaft. Die Abschaffung der Prostitution in den sechziger Jahren durch die Integration der Frauen, die vor der Revolution als Sexarbeiterinnen tätig waren, in andere Berufszweige galt stets als eine der wichtigsten revolutionären Errungenschaften Kubas.

Das Aufkommen des Jineterismo, auch wenn dieser ganz andere Charakteristika aufweist, muss entsprechend als »Rückfall« interpretiert werden. Kuba verfolgt im Hinblick auf Sexarbeit bis heute eine klar abolitionistische Politik, die auf die vollständige Abschaffung des Gewerbes und nicht auf seine arbeitsrechtliche oder gesundheitspolitische Reglementierung abzielt. Jineteras, die bei den häufigen Razzien an den Knotenpunkten des Tourismus wiederholt aufgegriffen werden, können heutzutage zwischen einem und vier Jahren in so genannten Umerziehungslagern inhaftiert werden – wenn sie sich nicht zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden bereit erklären.

Die repressive Praxis wird dabei zum Teil recht willkürlich gehandhabt, da so mancher Polizist offenbar inzwischen am Jineterismo mitverdient. Während auf Zuhälterei schwere Gefängnisstrafen stehen, stellt Prostitution selbst offiziell keine Straftat dar. Die Inhaftierung von Jineteras gilt offiziell als moralisch induzierte Resozialisierungsmaßnahme und nicht als Sanktion. Die in der großen Mehrzahl männlichen, ausländischen Freier bleiben hingegen unbehelligt.

In ihrer unmittelbaren gesellschaftlichen Umgebung genießen die Jineteras und Jineteros allerdings weitreichenden Respekt. Offenbar wiegt der sozioökonomische Status, der durch den Zugang zu Dollars erwirtschaftet werden kann und der in Kuba auch gerne in Form von teurer Kleidung oder z.B. dem Besitz elektrischer Haushaltsgeräte zur Schau gestellt wird, im Kontext der Mangelwirtschaft schwerer als die geschlechtsspezifischen Moralcodices. Insofern untergräbt der Jineterismo patriarchale Treue- und Keuschheitsgebote für Frauen und hat homo- und auch bisexuelle Praktiken zumindest in den touristischen Zentren ins Rampenlicht gerückt.

Das alles bleibt nicht ohne Folgen für die Beziehungen unter Kubanern selbst, wo ökonomische Kriterien bei der Partnerwahl eine immer wichtigere Rolle spielen, während das Ideal der romantischen Liebe ins Hintertreffen gerät. So beklagt ein junger Mann in einem längeren Interview seine schlechten Chancen auf dem heterosexuellen Beziehungsmarkt: »Wir müssen wohl alle schwul werden. Die Mädchen schauen nur aufs Geld. Sie interessieren sich nicht für uns, wenn wir keine Dollars vorzeigen können. Schwule dagegen interessieren sich für die Person, laden einen ein, das ist was anderes.«

Insel der Glückseligkeit im Reich des Machismo?

Die kubanische Alltagskultur ist eine Mischung aus dem spanisch-katholischen Erbe der Kolonialzeit, dem Einfluss des Staatssozialismus mit seiner marxistisch inspirierten, auf die Ökonomie zielenden Gleichstellungspolitik von oben, und kulturellen Einflüssen aus Afrika, die sich seit der Sklaverei auf der Insel weiterentwickelt haben. Auch wenn die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen zu den erklärten Zielen der kubanischen Revolution von 1959 gehörte, wurde die soziale Benachteiligung von Frauen immer nur als eine Folgeerscheinung von Kapitalismus und Imperialismus angesehen, und nicht als sich selbst reproduzierendes Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern.

Trotzdem schufen konkrete Maßnahmen den Kubanerinnen vielfältige Möglichkeiten der Selbstverwirklichung jenseits von Familie und Mutterschaft und blieben auch nicht ohne Auswirkungen auf das Familienleben. Frauen konnten nun mit offizieller Unterstützung rechnen, um eine berufliche Karriere einzuschlagen, eine gute Ausbildung abzuschließen oder sich aktiv in die Politik einzumischen. Dies alles wird in Kuba mit dem Begriff »sich selbst übertreffen« bezeichnet, der programmatisch ist: superarse. So entwickelten sie sich zu selbstbewussten Staatsbürgerinnen.

Hinzu kommt, dass die Macht der katholischen Kirche, die auf der Insel im lateinamerikanischen Vergleich hitstorisch nicht besonders gefestigt war, durch die kubanische Revolution noch weiter gebrochen wurde. Die traditionelle patriarchale Kontrolle über den weiblichen Körper in Sachen Reproduktion und Sexualität, über die traditionell sowohl Familienerbe als auch Familienehre abgesichert worden waren, wurde in entscheidenden Punkten durch weibliche Selbstbestimmung ersetzt. Ungewollte Schwangerschaften können legal und kostenlos unterbrochen werden, und uneheliche Kinder sind in ihren Rechten dem legitimen Nachwuchs gleich gestellt. Verhütungsmittel sind – allerdings nur in dem Rahmen, der vom US-Embargo und von der Mangelwirtschaft gesetzt wird – frei erhältlich.

Die insbesondere seit dem Ende der siebziger Jahre auch über das staatliche Fernsehen durchgeführte Sexualerziehung, die sich an Materialien aus der DDR orientierte, propagierte eine lustbetonte und freie Sexualität für beide Geschlechter anstelle der katholischen Sexualmoral, die den Geschlechtsverkehr für die ehrbare Ehefrau streng an die Reproduktion koppelt. Frauen wurden explizit als sexuelle Wesen mit einem Recht auf Lust dargestellt und die Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung wurden genau erläutert.

Diese Sexualerziehung verband sich mit Elementen der kubanischen Alltagskultur, die bereits vor der Revolution einen relativ freizügigen Umgang mit weiblicher Sexualität und Lust begünstigten. Beispielsweise enstpricht im afrokubanischen Synkretismus der Santería die Göttin Ochún der katholischen Marienfigur. Während Maria für die christlichen Frauen das nie erreichbare Ideal keuscher Mutterschaft symbolisiert, ist Ochún die Göttin der Verführung und des Hedonismus, des süßen Honigs und der Liebe.

In der kubanischen Sklavenhaltergesellschaft der Kolonialzeit hatte die Kirche bei Sklaven nie auf Monogamie bestanden – formale Familienstrukturen hätten besondere Schutzbestimmungen erfordert, die dem Geschäft mit den Sklaven abträglich gewesen wären. Insofern hatte das katholische Treue- und Keuschheitsgebot auf schwarze Frauen historisch nur eine geringe Wirkung.

Die kubanische Familienpsychologin Patricia Arés Muzio merkt an, dass all diese Veränderungen nach wie vor im Kontrast zu den Erwartungen stehen, die vor allem von den im Großfamilienverband sehr einflussreichen älteren Generationen, aber auch von männlicher Seite an die Kubanerinnen gerichtet werden und die letztere verinnerlicht haben. Das Ergebnis ist häufig, dass die Frauen versuchen, allen Weiblichkeitskonzepten gleichzeitig gerecht zu werden, dem traditionellen und dem neu bestimmten.

Das Ergebnis, so Arés Muzio, sei das Syndrom der Superfrau, die einer Reihe beruflicher und gesellschaftspolitischer Tätigkeiten außer Haus nachgeht, ohne aber dabei ihre häusliche Rolle als Ehefrau und Mutter zu modifizieren. Diese Frauen fühlten sich in der Regel permanent überfordert, da für sie zu den bisherigen Verpflichtungen nur weitere hinzugekommen seien, weshalb sie die Veränderung oft nicht als befreiend, sondern im Gegenteil als erdrückend empfänden.

Obwohl die Geburtenrate seit 1895 stetig gesunken ist, gehört die symbolische Überhöhung der Mutterschaft nach wie vor zu den Eckpfeilern der kulturellen Identität Kubas. Auch in heutigen Diskursen über Mutterschaft mischen sich die Anforderungen an die moderne, berufstätige Frau mit dem Postulat mütterlicher Selbstlosigkeit in recht widersprüchlicher Weise.

Dass die unterschwellige Erwartung, Frauen müssten neben den Emanzipationsanforderungen der Revolution weiterhin auch den traditionellen patriarchalen Weiblichkeitsmustern genügen, auch im offiziellen Diskurs propagiert wird, zeigt die folgende, anlässlich des 8. März 2002 geschriebene Passage aus der Tageszeitung Juventud rebelde: »Die dickköpfigen Frauen haben sich nicht nur den Rock, sondern auch die Hosen angezogen: Mit Nägeln und Klauen – lackiert oder nicht – haben sie ihr Recht verteidigt, die Mühlräder im Land weiterhin mitzudrehen, ohne dabei die Familie oder die häuslichen Pflichten zu vernachlässigen (…). Die Frauen selbst haben es übernommen, Konditionierungen zu überwinden: Macheteras, Landwirtschaftskombinatsbetreiberinnen, Traktor- oder Lkw-Fahrerinnen und andere Wagemutige haben sich Arbeitsbereiche erobert, die traditionell den Männern vorbehalten waren. Und sie taten es mit Geschick und Grazie, ohne dabei je die Zärtlichkeit zu verlieren«.

Männlichkeiten in der Krise?

Unterdessen erlebten die kubanischen Männer, wie die Frauen ihnen massenhaft ihre traditionelle Funktion als Familienernährer streitig machten. Wie die Familienpsychologin Arés Muzio bemerkt, wurde von der offiziellen Politik wesentlich weniger Energie auf die Dekonstruktion traditioneller Männlichkeitsmuster verwendet als auf die Veränderung der Konzepte von Weiblichkeit. Die Männer seien mit den zunehmend selbstbewusst formulierten Forderungen ihrer sich verändernden Frauen konfrontiert gewesen und hätten sich zwar »den Frauen zuliebe« diesen Forderungen teilweise gestellt, aber ohne dass es für die Neubestimmung der männlichen Geschlechterkonstruktionen positive Orientierungspunkte um ihrer selbst willen gegeben hätte.

Im Gegenteil: Während die Frauen einen zuvor männlich kodierten Bereich nach dem anderen für sich erobern konnten und sich damit dem Modell des vom patriarchalen Diskurs definierten »allgemein Menschlichen« immer weiter annäherten, waren die Anforderungen an die Männer, die sich im Zuge der Frauenemanzipation ergaben, im patriarchalen Sinne äußerst ehrenrührig und bedrohlich.

Eines der tragenden Elemente der hegemonialen Männlichkeit nicht nur in Kuba, sondern in weiten Teilen der westlichen Welt ist das Homosexualitätsverbot, das jegliche »Verweiblichung« als Antithese zur wahren Männlichkeit verdammt. Außerdem unterliegt der Grad der Mannhaftigkeit stets der Evaluierung durch andere Männer und muss permanent unter Beweis gestellt werden. Nun birgt aber z.B. die Ausführung traditionell weiblicher Tätigkeiten im Haushalt durchaus das Risiko, von den eigenen Geschlechtsgenossen als Verweiblichung interpretiert zu werden. Viele kubanische Männer arbeiten tatsächlich nur heimlich im Haushalt mit.

Hierin liegt sicherlich einer der größten Widersprüche der kubanischen Politik im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse. Während das Homosexualitätstabu in den ersten Jahren nach 1959 geradezu institutionalisiert wurde, geriet der Machismo gleichzeitig zunehmend in die Kritik, ohne dass den Männern jenseits dieser beiden Pole »verweiblichter Schwuler« vs. »wahrer Macho« ein gangbarer Weg gewiesen worden wäre, der sie nicht der Lächerlichkeit oder der sozialen Ausgrenzung preisgegeben hätte. Hinzu kommt, dass es wegen der staatlich kontrollierten Medien nie einen Raum gab, indem die Emanzipationsprozesse und Eingriffe in die Geschlechterordnung offen und breit debattiert und dadurch auch glaubwürdig vermittelt worden wären.

Eines der wichtigsten Männlichkeitsattribute ist in Kuba die Zurschaustellung sexueller Potenz. Die ehemalige DDR-Bürgerin Monika Krause-Fuchs, die lange Jahre für Sexualerziehung auf der Insel zuständig war, sagt dazu: »Der kubanische Mann braucht nach außen wie auch für sich selbst die Bestätigung seines sexuellen Vermögens, um vor der Gesellschaft als potenter Mann zu bestehen und keinerlei Verdacht homosexueller Andersartigkeit aufkommen zu lassen. (…) Dieser ständige ›Beweisdruck‹ begleitet die meisten kubanischen Männer ein Leben lang. Es ist auch fester Glaube, dass Männlichkeit sich darin ausdrückt, möglichst täglich sexuell aktiv zu sein, ob man Lust hat oder nicht. Wenn dieses ›Programm‹ mit der eigenen Frau nicht erfüllt werden kann, dann ist es ›schon immer‹ üblich gewesen, es außerehelich zu tun.«

Allerdings unterscheidet sich diese Potenzverpflichtung in Kuba von derjenigen in anderen lateinamerikanischen Ländern wie z.B. Mexiko insofern, als sie nicht nur an der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs oder an der Zahl der Nachkommen gemessen wird, sondern auch an der Fähigkeit, die Partnerinnen sexuell zu befriedigen.

Die beschriebene Gemengelage zwischen patriarchalen und emanzipatorischen Handlungsmustern zieht selbstverständlich ganz generell eine Reihe von Konflikten nach sich. Kuba hat eine der höchsten Scheidungsraten der Welt und hat als einziges lateinamerikanisches Land eine derart niedrige Geburtenrate, dass die Bevölkerungszahl auf der Insel rückläufig ist.

Ehescheidungen sind in Kuba bereits seit 1918 gesetzlich möglich, wurden nach der Revolution 1959 aber wesentlich vereinfacht, auch in Bezug auf die damit verbundenen Kosten. Die meisten Scheidungen werden von Frauen beantragt, die wegen ihrer ökonomischen Unabhängigkeit keinen Grund sehen, bei Beziehungsproblemen mit dem Partner zusammenzubleiben. Insofern hat diese hohe Scheidungsrate auch durchaus positive Aspekte. Allerdings ist es angesichts der akuten Wohnungsnot recht häufig der Fall, dass geschiedene oder getrennte Paare auch lange nach der Trennung notgedrungen noch dieselben vier Wände teilen – ein Umstand, der wiederum Gewalt gegen Frauen begünstigt hat.

Gewalt gegen Frauen wird in Kuba erst seit dem Ende der neunziger Jahre offiziell als gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Den bisher durchgeführten Untersuchungen zufolge ist in dieser Umgebung, die sich durch hohe Promiskuität auszeichnet, eine der häufigsten Ursachen für Gewalt in Paarbeziehungen männliche Eifersucht. Seit 1997 existiert eine von der FMC koordinierte nationale Arbeitsgruppe, in der verschiedene Ministerien sowie Forschung und Medien vertreten sind und die bemüht ist, mit äußerst knappen Mitteln eine interinstitutionell koordinierte Präventionsstrategie zu entwickeln.

Zufluchtsmöglichkeiten für misshandelte Frauen existieren angesichts der dramatischen Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht. In den in den neunziger Jahren von der FMC geschaffenen Casas de Orientación y Apoyo a la Mujer y la Familia wird beraten, wobei viele der dort unentgeltlich arbeitenden PsychologInnen, ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen nicht speziell für Gewalt im Geschlechterverhältnis sensibilisiert sind.

Zwischen Gleichheit und Gleichmacherei

Zum einen hat der kubanische Staatssozialismus Frauen eine weitreichende Präsenz im öffentlichen Leben und auch rechtliche Gleichstellung garantiert. Zum anderen war die Geschlechterpolitik jedoch immer dem leninistischen Primat eines starken Staates untergeordnet. Die Schaffung der Frauenföderation FMC im Jahr 1960 war ein Mittel, um die weibliche Bevölkerung zentralistisch auf die von der neuen Regierung festgelegten gesellschaftlichen Ziele zu verpflichten. Eine breite gesellschaftliche Debatte über den Sinn und die Folgen weiblicher Emanzipation hat es nach der Aufbruchstimmung der ersten Jahre nach 1959 nie wieder gegeben, geschweige denn über den Platz von Männern in einer nicht patriarchalen Gesellschaft.

Insofern hatte auch das politische System selbst Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse. Die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft sind von Paternalismus geprägt, der Staat definiert in patriarchaler Manier von oben die Bedürfnisse der Bevölkerung und gibt auch mögliche Kanäle für Partizipation exakt vor. Das führte dazu, dass die Kubanerinnen trotz der Existenz der mitgliederstarken Frauenföderation nie eine wirkliche Interessenvertretung als Frauen hatten, d.h. als Interessengruppe, die spezifischen gesellschaftlichen Bedinungen ausgesetzt ist. Jeglicher Versuch, Gruppeninteressen zu artikulieren, wird vielmehr im Kontext der fortdauernden Systemkonkurrenz mit den USA als Bedrohung oder als Makel des Kapitalismus betrachtet. Für die sozialistische Gesellschaft wird dagegen von einer Interessengleichheit zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum ausgegangen.

Was die Ausbildung, Berufstätigkeit und medizinische Versorgung von Frauen angeht, ist in den über 40 Jahren seit 1959 tatsächlich sehr viel erreicht worden. Die Geschlechterbeziehungen im Privaten haben sich dagegen wegen mangelnder gesellschaftlicher Auseinandersetzung und des Fehlens einer feministischen Bewegung viel langsamer verändert. Sie scheinen vielmehr gefangen zwischen Tradition und Erneuerung.

Hier macht sich auch der Mangel feministischer Theorie bemerkbar, die in der kubanischen Sozialwissenschaft erst spät und nur zögerlich rezipiert wurde. An Selbsterfahrungsgruppen, die in anderen Ländern derartige Theorien popularisiert haben, ist in Kuba kaum zu denken. Mitte der neunziger Jahre konstituierte sich mit der Gruppe Magin zwar eine von der FMC unabhängige Gruppe von feministischen Medienarbeiterinnen, doch wurde ihr staatlicherseits recht bald die Selbstauflösung nahe gelegt.

Trotzdem ist sie, ebenso wie das verstärkte Auftreten von Schwulen und Lesben in der Öffentlichkeit, ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Nachfrage nach der Sichtbarmachung geschlechtsspezifischer Differenzen und Interessen. Generell hat die Período Especial die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft modifiziert und die Artikulation spezifischer Gruppeninteressen tendenziell begünstigt. Vielleicht sind auch die Einführung der Geschlechterforschung im akademischen Bereich seit 1990 oder die flächendeckende Einrichtung der Casas de Orientacion y Apoyo a la Mujer y la Familia durch die FMC Anzeichen hierfür.

Gleichzeitig gehört die emanzipierte Frau heute zur offiziellen Ikonografie des sozialistischen Kuba, wie es z.B. am Logo der Frauenföderation erkennbar ist. Es zeigt eine Guerillera, die auf dem Arm ein Baby und auf dem Rücken ein Gewehr trägt. Die offizielle Diktion, die die »Frauenfrage« als weitgehend gelöst darstellt, hat paradoxe Konsequenzen für einige Kubanerinnen. Sie führt beispielsweise dazu, dass Gewalt gegen Frauen nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wird, das auf das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist. Viele Kubaner, auch Ärzte, Juristen oder Polizisten, gehen vielmehr davon aus, dass eine Kubanerin anders als Frauen in kapitalistischen Ländern es nun wirklich nicht nötig hat, in einer Gewaltbeziehung zu verweilen. Wenn sie es trotzdem tut, so schlussfolgern sie, dann weil es ihr gefalle, geschlagen zu werden.

Dieser Text entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Kubas Umgang mit Gewalt gegen Frauen, das vom Berliner Programm zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre unterstützt wird.