Britpop? BritHop!

Englischer HipHop hat sich zu einem eigenständigen Genre entwickelt. Sein wichtigstes Merkmal ist der Bass. von christoph braun

Er ist 19 Jahre alt und lebt in Lewisham im Südosten Londons. Jordan Baileys Crew Lotek Hi-Fi hat eben ihr erstes Album veröffentlicht. Auf Big Dada. Das Label, der Nukleus des neuen BritHops, sitzt in London und veröffentlicht Musik von Acts, die ebenso mit US-Rap wie auch mit Reggae, Dub und Dancehall aufgewachsen sind.

Der Vater von Bailey etwa heißt Jack Radics und pendelt als Reggae-Sänger zwischen Jamaika und England hin und her. Seine große Zeit waren die Achtzigerjahre, als er unter anderem mit Sly & Robbie zusammenarbeitete. Er war eine echte Größe in Großbritannien und auf dem europäischen Festland, ganz besonders jedoch in Jamaika, der Heimat des Reggae, wohin er irgendwann umzog. Sein Sohn wanderte mit. Geboren ist der Lotek-Hi-Fi-Toaster 1984 in London, als Zweijähriger kam er mit nach Jamaika. Seit er elf Jahre alt ist, lebt Jordan Bailey jedoch wieder in England und ist Teil von »Bashment«, »Extra Yard«, »Gosh«, verschiedenen HipHop-Zusammenhängen in London.

»Das Wort ›Bashment‹ bedeutet ›Feier‹. Es ist ein Slangausdruck aus Jamaika«, erzählt Bailey. »Und ›Gosh‹ ist als Partyserie das Zentrum von ›Bashment‹. Unser DJ und Produzent Lotek steht hier immer an den Decks.« Zunächst war »Gosh« eine regelmäßige Party-Nacht in London, inzwischen jedoch veranstaltet Lotek die Nacht in seinem Wohnort Birmingham. Hervorgegangen aus ihr ist vor einem Jahr die Compilation »Extra Yard« auf Big Dada. Lotek Hi-Fi waren auf dieser natürlich mit vertreten und fanden so ein perfektes Forum für ihren Clash aus HipHop-Beats, Dub-Bässen, Singen, Rappen und Toasten.

»Extra Yard« verfolgte eine Strategie. Bereits etablierte HipHop-Acts sollten Käufer anlocken, die dann auch auf die unbekannteren Rap-Combos aufmerksam werden. Unter den 20 jungen Männern, die auf dem Cover zu »Extra Yard« posieren und Gemeinschaft demonstrieren, befinden sich auch Roots Manuva und Ty, bereits bestens eingeführte MCs der englischen Szene. Man betrachtet sich hier gegenseitig und lacht in die Kamera. Ty steht da in seinem Trainingsanzug, die Beine zu einem X geknickst, und schaut den jüngeren Kollegen zu. Ty ist immerhin schon 28 Jahre alt. Er ist der Sohn aus Nigeria eingewanderter Intellektueller und tourt auch als MC des ehemaligen Fela-Kuti-Drummers Tony Allen durch die Welt.

Big Dada hat einfach einen Blick für solche Leute. Bereits mit einer seiner ersten Veröffentlichungen stellte die Firma einen bis dahin unbekannten Ausnahme-MC vor: Roots Manuva. Schon bei Massive Attack sind gelegentlich Tracks aufgetaucht, die gleichzeitig HipHop und Reggae verpflichtet waren. Doch die systematische Auflösung dieser beiden Genres in einer Herangehensweise, wie sie auf einem Manuva-Tune wie »Juggle Things Proper« auftauchte, war neu. Und wegweisend, denn inzwischen wird MC-Musik auf der Insel so lange überdehnt, manipuliert und zerschmettert, bis als gemeinsamer Nenner nur noch der gute alte und wahnwitzig tiefe Bass übrig bleibt.

In den tiefen Bässen und den klein gehackten Schlagzeug-Samples des Brit-Hops manifestiert sich aber auch die Geschichte der englischen Clubmusik von Drum & Bass bis UK Garage. Zwar ist der Hype um Garage auch in Großbritannien schon wieder vorbei, doch es ist auch zu beobachten, dass aus tiefen Dub-Bässen, wie sie ja schon in Drum & Bass und Garage zu hören waren, nun eben eine MC-Musik produziert wird, die so nur im UK entstehen konnte. In Großbritannien gibt es eben einfach diese Tradition, die von Reggae über dessen Digitalversion Raggamuffin und später bis hin zu Drum & Bass und UK Garage reicht.

»Hör Dizzie Rascal an«, sagt Jordan Bailey zu diesem Thema. »Die Bässe von dem klingen doch viel mehr nach Garage als nach allem anderen.« Das MC-Wunder Rascal, das ausnahmsweise nicht von Big Dada betreut wird, spitzt auf dem Cover seines Debütalbums seine Finger zu Teufelsohren. Ich hab noch echt was Teuflisches vor, scheint er damit sagen zu wollen. HipHop zerschmettern, zum Beispiel. Von Garage bleiben auf seiner Debüt-Platte nur noch ein paar kaputte Bässe übrig. Mike Skinner von The Streets, dem aufregendsten BritHop-Act der letzten Jahre, hält Rascal dennoch, oder gerade deswegen, schlicht für »die Zukunft« des HipHop. Zumindest des englischen.

Lotek Hi-Fi: Lotek Hi-Fi (Big Dada/Ninja Tune/Zomba); Ty: Upwards (Big Dada/Ninja Tune/Zomba); Verschiedene: Extra Yard (Big Dada/Ninja Tune/ Zomba); Dizzie Rascal: Boy In The Corner (XL/ Beggar’s Group/Zomba)