Musik und mehr

Die US-amerikanische Gruppe Downhill Battle verbindet P2P-Aktivismus mit einer konsequenten Kritik an der Musikindustrie. Ein Gespräch mit Holmes Wilson, einem ihrer Gründer

Kurz vor Weihnachten habt ihr mit Whatacrappypresent.com eine Website ins Leben gerufen, auf der ihr erklärt, warum man Teenagern zu Weihnachten keine Major-Label-CDs kaufen sollte – im Prinzip eine Art Boykottaufruf mit Augenzwinkern. Warum sollten wir die Musik großer Plattenfirmen meiden?

Dafür gibt es eine Reihe von Gründe. Einerseits geben die großen Plattenfirmen nicht genügend Geld an ihre Musiker weiter. Bei den Majors unter Vertrag stehende Musiker müssen im Durchschnitt mindestens 500 000 Platten verkaufen, bevor sie überhaupt ihre ersten Tantiemen bekommen. Selbst dann bekommen sie im Durchschnitt nur 50 Cent bis einen Dollar pro CD.

Der zweite Grund ist, dass die großen Plattenfirmen sich an einer Praxis beteiligen, die verhindert, dass die Musik von Indie-Labels jemals im Mainstream-Radio ausgestrahlt wird. Ich kenne die Situation in Europa nicht so genau, aber in den USA funktioniert es etwa so: Die großen Firmen können Radiostationen nicht direkt für das Abspielen ihrer Musik bezahlen, weil das Bestechung wäre. Aber sie zahlen Geld an als Independent Promoter bekannte Mittelsmänner, die dann die Radiostationen bezahlen.

Für Musiker bedeutet dies, dass sie nicht wirklich eine freie Wahl zwischen Indies und Majors haben. Wenn sie sich für das Indie-Label entscheiden, bekommen sie bessere Vertragsbedingungen und genießen größere künstlerische Freiheiten, aber sie werden niemals ein großes Publikum erreichen. Wenn sie ein großes Publikum erreichen und wenigstens die Chance auf Ruhm haben wollen, müssen sie sich für das Major Label entscheiden, dass ihnen nur sehr unvorteilhafte Vertragsbedingungen einräumt.

Die Majors argumentieren, dass ihnen diese als Payola bekannte Praxis von den Radiostationen aufgezwungen wird.

Klar, es ist ein Bestandteil des Systems, und uns geht es nicht um Schuldzuweisungen. Unsere Position ist: Payola wird es so lange geben, wie es riesige Konzerne gibt, die riesige Summen für Promotion ausgeben. Der einzige Weg, dies zu stoppen, ist, ihnen das Geld zu entziehen.

Der dritte Punkt, der gegen das Kaufen von Major-Label-Musik spricht, ist natürlich, dass diese Plattenfirmen kurz vor Weihnachten diverse Familien um immense Beträge verklagt haben.

War die Klagekampagne auch der Grund, dass ihr im vergangenen Sommer Downhill Battle gestartet habt?

Während des Sommers war viel über diese Angelegenheit in den Zeitungen zu lesen, und es war offensichtlich, dass eine bestimmte Perspektive vollkommen fehlte. Überall hieß es: Wie wird die Musikindustrie überleben? Wie können die großen Plattenfirmen überleben? Wir dachten uns, die eigentliche Frage ist: Sollten sie überleben? Uns war klar, dass dies eine gute Gelegenheit für derartige Debatten ist. Wir dachten, eine Chance auf Veränderung zu haben, wenn wir nur die Frage aufbringen, ob sie überleben sollten, nachdem sie aufgehört haben, den meisten Musikern zu dienen, und nachdem sie aufgehört haben, die Konsumenten zu bedienen.

Wir starteten Downhill Battle Ende August. Anfangs wollten wir nur eine interessante Website zusammenstellen und ein bisschen Öffentlichkeit bekommen. Aber letztlich wurde es weitaus größer. Uns war nicht klar, dass wir so viel daran arbeiten würden. Jetzt beginnen wir auch, weiter gehende kulturelle Implikationen für die Open-Source-Bewegung und die Zukunft des digitalen Gemeineigentums zu sehen.

Wie sieht denn eure Zukunftsvision für die Musikwelt ohne große Plattenfirmen aus?

Wir streben eine Lösung an, die freie Distribution mit freiwilligen Spenden verbindet. P2P-Systeme wird es weiter geben, da sie günstig und gut skalierbar sind. Sie können mit einem System verbunden werden, dass die Navigation einfacher macht und Musik nicht nur wie eine lange Liste von Dateien behandelt. Die andere Komponente ist ein sehr einfaches Spendensystem.

Wenn du heutzutage 16 Dollar für eine CD ausgibst, bekommt eine auf einem Major-Label veröffentlichende Band davon nur einen Dollar. Wenn wir ein System haben, dass Musiker und Fans direkt miteinander verbindet, muss nicht jeder 16 Dollar zahlen. Mit weitaus weniger werden wir immer noch mehr Geld für Musiker haben.

Auf eurer Website berichtet ihr davon, dass ihr an den Demonstrationen gegen das Freihandelsabkommen FTAA in Miami teilgenommen habt. P2P-Aktivisten neigen sonst oft zu einem sehr engen politischen Wahrnehmungshorizont. Was verbindet euch mit politischen Demonstranten?

Ich habe mich viel mit Anti-Sweatshop-Arbeit und Fair-Trade-Kampagnen beschäftigt und bin zu all diesen Massendemonstrationen gegangen, sei es in Kanada, oder 1999 in Seattle oder eben jetzt Miami. Der Downhill-Battle-Mitgründer Nick Reville war ebenfalls sehr aktiv in der Anti-Sweatshop-Bewegung. Er war an der Gründung von WRC beteiligt, einer Organisation, die im Auftrag von hundert US-Universitäten die Arbeitsbedigungen jener Fabriken überwacht, die Bekleidung für diese Unis herstellen. Wahrscheinlich werden wir uns ab Mai oder Juni kaum noch mit Downhill Battle beschäftigen, sondern beide im Wahlkampf aktiv sein.

Wie reagieren Globalisierungskritiker, wenn sie mit euren Flugblättern und Thesen konfrontiert werden?

Es ist ziemlich einfach, diese Leute zu überzeugen, da im Zentrum dieser Bewegung die Kritik der Macht der Konzerne steht und die Einsicht, dass die Probleme unserer Gesellschaft sich auf die Macht der Konzerne zurückführen lassen. Daher ist es sehr einfach, in den Straßen von Miami auf jemanden zuzugehen, ihm einen Flyer zu geben und zu sagen: »Uns geht es darum, Konzerne innerhalb von drei oder vier Jahren aus der Musikwelt zu vertreiben.«

In gewisser Weise ist all dies natürlich nicht so ein enormes gesellschaftliches Problem. Es hat keine derart unmittelbaren Auswirkungen auf das menschliche Leben. Was materielle Aspekte angeht, ist es ein geringeres Problem als viele andere Dinge. Aber es ist wichtig, wenn es um die Auswirkungen auf die populäre Kultur geht.

Außerdem könnte es wirklich ein folgenreiches Beispiel darstellen. Derzeit gibt es ein enormes Bewusstsein für die Gefahren einer von großen Konzernen kontrollierten Medienwirtschaft. Dabei geht es nicht nur um die Plattenfirmen, sondern auch um das Radionetzwerk Clear Channel, um Fox News und dergleichen mehr. In den letzten Jahren wurde deutlich, welchen großen Einfluss die Medien auf die öffentliche Wahrnehmung haben können, selbst wenn die Fakten nicht stimmen, und wie einseitig die Medien die Interessen der Industrie reflektieren.

Unsere Message ist: Das sind sehr große Konzerne; es mag schwer sein, ihnen beizukommen; aber schaut mal, die Musikindustrie ist ihr wunder Punkt. Und wenn es uns gelingt, die großen Konzerne aus der Musikwelt zu vertreiben und Musik in ein Kleinunternehmer- und Do-it-Yourself-Geschäft zu verwandeln, dann sind Clear Channel und Fox News als nächste dran.

Wie schwer ist es, klassischen Tauschbörsennutzern derartige Überlegungen zu vermitteln?

In gewisser Weise müssen wir das gar nicht. Es ist wirklich nicht wichtig, ob sich die 60 Millionen US-Tauschbörsennutzer bewusst darüber sind, welche Auswirkungen ihr Handeln auf die großen Plattenfirmen hat. Seit mehr als 20 Jahren reden Leute darüber, die Majors zu Fall zu bringen. Aber es war nie viel mehr als eine Kifferfantasie. Jetzt ist es das nicht mehr, weil sich all diese Kids ihre Musik aus dem Netz besorgen. Das funktioniert aus eigenem Interesse. Es ist einfach nur eine Masse von Leuten, die sich ihre Musik umsonst besorgen will.

Ein schöner Aspekt ist, dass dies in vielfacher Hinsicht eine Chance darstellt, Leute zu radikalisieren und sie mit Politik zu konfrontieren. Wenn sie etwas sowieso schon tun, und du erklärst ihnen: Das ist gut, weil ihr dabei helft, diese Konzerne zu Fall zu bringen, die einen negativen Einfluss haben, dann werden sie dieses Argument verinnerlichen. Wir haben dies vielfach bereits beobachten können, selbst bei Leuten, die Bush gewählt haben und sonst nicht viel über Politik nachdenken. Es funktioniert auch, weil dies einer der Konflikte ist, der noch nicht mit den Links-Rechts-Zuschreibungen des politischen Spektrums besetzt ist. Letztlich glaube ich nicht, dass für unsere Ziele notwendig ist, all den P2P-Kids und Zeropaid.com-Kids eine Lektion in politischer Bildung zu erteilen. Aber es ist ein netter Bonus.

Im Web: http://www.downhillbattle.orghttp://www.whatacrappypresent.com

Interview: Janko Röttgers