Irgendwo in Oberbayern

Weil das Abschiebelager in Fürth einen so schlechten Ruf hat, verzichtet die bayerische Innenbehörde bei neueren Einrichtungen dieser Art auf Zäune und Sicherheitsdienste. von alexander thal

Engelsberg ist schön. Die 2 800 EinwohnerInnen zählende bayerische Gemeinde schmiegt sich an einen kleinen Hügel, über dem Dorf thront die Dorfkirche. Malerisch gelegen in der beliebten Urlaubsregion nördlich des Chiemsees, zieht Engelsberg Feriengäste an, die die ländliche Umgebung lieben und hier Ruhe und Erholung suchen.

Auch für dort lebende Flüchtlinge war die Gemeinde über Jahre nicht der schlechteste Ort. Untergebracht im ehemaligen Pfarrhof, hatten sie Anschluss an die Bevölkerung im Dorf, der Bürgermeister stellte Schul- und Kindergartenplätze zur Verfügung, manchmal auch gegen den erklärten Willen der Regierung von Oberbayern, und in Notsituationen half schon mal das ganze Dorf. Zum Beispiel beschafften die Engelsberger Babykleidung und Kinderwagen, als mehrere Flüchtlingsfrauen in der Unterkunft nahezu gleichzeitig schwanger waren.

Im September 2002 wurde jedoch Engelsbergs Bürgermeister Franz Ketzer (CSU) vom bayerischen Innenministerium davon in Kenntnis gesetzt, dass der ehemalige Pfarrhof zu einem Abschiebelager nach dem Fürther Modell umgewandelt werden solle. Ketzer wehrte sich hartnäckig. »Wir können doch nicht Menschen in ein Lager mit Drei-Meter-Zaun und Wachturm sperren, das sieht doch aus wie ein KZ«, begründete er seinen Protest, der zunächst von Erfolg gekrönt war. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) sicherte ihm in einem Schreiben persönlich zu, auf die »Sicherung« des Geländes zu verzichten und die Unterkunft wie bisher mit AsylbewerberInnen zu belegen.

Becksteins Versprechen hat sich inzwischen als Makulatur erwiesen. Ein Teil der Sammelunterkunft wurde in eine Art »Abschiebelager light« umgewandelt, für das die Zentrale Rückführungsstelle Südbayern (ZRS Süd) das alleinige Belegungsrecht hat. Seit Oktober 2003 belegt sie rund die Hälfte der 100 Unterkunftsplätze mit Flüchtlingen, die aus den Krisengebieten der Welt, insbesondere aus dem Nahen Osten (darunter Iran, Irak und Syrien) oder aus China nach Deutschland geflüchtet sind, jedoch nicht als schutzbedürftig anerkannt wurden. Sie besitzen keine Pässe, weil die Botschaften ihrer Herkunftsstaaten sie nicht als Staatsangehörige anerkennen, in Deutschland verfügen sie lediglich über eine Duldung. Und sie weigern sich, die Behörden bei der eigenen Abschiebung zu unterstützen oder ihrer Abschiebung durch eine »freiwillige« Ausreise zuvorzukommen.

Im Fehlen der Pässe sieht Wolfgang Bruckmann, der Leiter der ZRS Süd, eine individuelle Schuld der betroffenen Flüchtlinge. Sie kämen ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, um auf diese Weise ihren Aufenthalt in Deutschland zu erzwingen. Um ein solches Verhalten nicht unbestraft zu lassen, werden Flüchtlinge ohne Pass, die bereits seit Jahren in Augsburg, Nürnberg oder München lebten, nun ins Engelsberger Abschiebelager im oberbayerischen Hinterland nahe der österreichischen Grenze verschickt. Diesen gezielten »Entzug der Attraktivität der Ballungsräume« begründet Bruckmann so: »Wir können die Leute nicht auch noch dafür belohnen, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen.«

Flüchtlinge für unerwünschtes Handeln zu bestrafen, ist typisch für das bayerische Lagersystem, das derzeit verstärkt ausgebaut wird. Gleichzeitig mit dem Engelsberger Abschiebelager wurde eine baugleiche Unterkunft in Hormersdorf bei Schnaittach (Mittelfranken) in Betrieb genommen. Beide Lager ergänzen das im September 2002 eingerichtete vergitterte »Ausreisezentrum« in Fürth, das vom in mehreren Bundesländern aktiven Sicherheitsdienst Arndt bewacht wird. Weitere Lager sind in Planung, in die Flüchtlinge eingewiesen werden sollen, deren Asylverfahren zwar noch nicht abgeschlossen sind, deren Anträge jedoch von MitarbeiterInnen des Bundesamts für Flucht und Migration als »offensichtlich unbegründet« eingeschätzt werden.

All diese Lager sollen Flüchtlinge dazu zu bringen, den Widerstand gegen ihre Abschiebung aufzugeben und »freiwillig« auszureisen. Dass in den neuen »Ausreisezentren« im Gegensatz zum Fürther Abschiebelager auf Zäune und Wachdienste verzichtet wurde, ist das Ergebnis des Protestes von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Gewerkschaften sowie der durchweg kritischen Berichterstattung in den Medien. Kaum jemand aus diesen Kreisen ließ sich von Innenminister Becksteins verharmlosender Darstellung beeindrucken, der massive Fürther Gitterzaun finde seine Entsprechung im Jägerzaun eines jeden Hauseigentümers und der Sicherheitsdienst sei lediglich zum Schutz der Bewohner da.

Tatsächlich macht es für die betroffenen Flüchtlinge keinen großen Unterschied, ob sie in ein umzäuntes und bewachtes Lager eingewiesen werden, oder in ein Lager, dass sich am Ende der Welt befindet. Hier wie dort leben sie in der Isolation. Daraus resultiert ein hoher Leidensdruck der Betroffenen, die ihre gewohnte Umgebung verlassen, ihre mühsam aufgebauten sozialen Kontakte abbrechen, ihre Lehrstellen, Arbeits- oder Schulplätze aufgeben und ihre ÄrztInnen, BeraterInnen oder TherapeutInnen wechseln müssen. So sollen sie gezwungen werden, an ihrer eigenen Abschiebung mitzuwirken.

»Maßnahmen, die den Willen durch Aufbau hohen Leidensdruckes brechen (…) sollen, verletzen als Eingriff in die Grundlagen freier Selbstbestimmung grundsätzlich die Menschenwürde«, heißt es in einem Kommentar zum Grundgesetz, den sich die bayerische Justiz noch nicht zu Eigen gemacht hat. Anders die rheinland-pfälzische: Das Verwaltungsgericht Trier entschied im März des vergangenen Jahres, dass sich die Einweisung in ein Abschiebelager »nicht als Schikane oder strafähnliche Maßnahme gegenüber dem Betroffenen erweisen und erst recht nicht auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen darf«.

Es ist nur verständlich, dass nicht alle nach Engelsberg geschickten Flüchtlinge auch tatsächlich dort erscheinen. Bis Mitte November waren es nach Angaben Herrn Knauers, des Verwalters des Abschiebelagers, lediglich 14 von 34 eingewiesenen Personen. Obwohl aktuelle und ungeschönte Zahlen nicht zu bekommen sind, lässt sich vermuten, dass wie bei allen anderen Abschiebelagern etwa 50 Prozent der potenziellen Insassen das Leben in der Illegalität vorziehen werden.

Weitere Informationen unter: www.ausreisezentren.de