The Bernese Oberland

Zur Geschichte des Skifahrens, Teil 2: Skurrile Engländer erfanden den alpinen Skisport. Den Slalom führte einer ein, der die Nazis hasste, aber Franco verehrte. von beat jung
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Arnold Lunn liebte Berge, liebte Bücher und hasste den Kommunismus. Von Beruf war der Brite Schriftsteller und Apologet des katholischen Glaubens sowie zwischenzeitlich auch Hoteldirektor in der Schweiz.

Am 21. Januar 1922 steckte Arnold Lunn Stangen in den Schnee hinter dem Hotel Jungfrau in Mürren. Dort fand dann das erste moderne Slalomrennen in der Geschichte des Sports statt, es konkurrierten eine Frau und drei Männer. »Wenn ich die Zukunft des Slaloms vorhergesehen hätte, hätte ich dafür gesorgt, dass die Teilnehmer fotografiert worden wären«, erinnert sich Lunn in seinem Buch »The Bernese Oberland« (1958).

Bereits im Jahr 1913 hatte Lunn in seinem Buch »The History of Ski-ing« das Abfahrtsrennen als »einzig vernünftiges Kriterium der Kunst des Fahrens« propagiert und sich damit gegen den in Skandinavien praktizierten Langlauf ausgesprochen. Lunn war auch der Erste, der für Abfahrt und Slalom schriftlich Regeln fixierte, in denen er etwa das so genannte Stockreiten verbot, bei dem man die beiden Stöcke als Brems- und Steuerhebel zwischen die Beine klemmte.

Im Januar 1921 kam es in Wengen, vis-à-vis von Mürren, zu einer Premiere. Fünfzehn Teilnehmer starteten auf dem Lauberhorn zur ersten britischen Abfahrtsmeisterschaft. Und zwar fuhren sie alle gemeinsam los Richtung Kleine Scheidegg. Die Abfahrtsnation Großbritannien hatte vorgemacht, wie es geht. 1929 richteten dann die Österreicher, 1930 die Schweizer ihre erste Abfahrtsmeisterschaft aus.

Um für den alpinen Skisport zu missionieren, gründete Arnold Lunn am 30. Januar 1924 den Kandahar Ski Club. Mit dem Namen Kandahar wehte schon seit einigen Jahren der Geist des britischen Kolonialismus durch die Alpen. Die Bezeichnung des Skiklubs geht nämlich zurück auf den Roberts of Kandahar Challenge Cup, benannt nach Earl Roberts of Kandahar, einem Freund von Sir Henry Lunn, Arnolds Vater. Das erste Skirennen um den Earl-Roberts-Wanderbecher fand 1911 statt und führte von der Wildstrubel-Hütte über die Plaine Morte hinunter nach Crans-Montana, wo zwei Fähnchen das Ziel markierten, gesteckt von Sir Henrys Sohn Arnold.

Die Norweger, gekränkt in ihrem Stolz, dass da einer von der britischen Insel, wo kaum je richtiger Schnee fällt, meint, sie in Sachen Skifahren belehren zu müssen, taten Arnold Lunns Innovationen als Kindereien ab. Lunn suchte Verbündete und fand einen in Walter Amstutz. »Er hatte Grips genug, um zu erkennen, dass diese neu in die Welt gesetzten britischen Rennen kein vollkommener Blödsinn waren«, charakterisiert Lunn seinen Freund und Schüler im Buch »Mountain Jubilee«.

»Das Anglo-Swiss«, schreibt Lunn, »war auch eine der seltenen Sportveranstaltungen, die internationale Beziehungen verbessert haben. Es schuf ein ganz neues Verhältnis zwischen Engländern und Schweizern.« In der Frühphase des englischen Tourismus war das Verhältnis zwischen Engländern und Schweizern beinah eines zwischen Herren und Knechten.

Aber bereits beim ersten »Anglo-Swiss« im Jahr 1924 fuhr Walter Amstutz den Engländern davon, und Lunn notierte Jahre später in »Mountain Jubilee«: »Das bekannte britische Überlegenheitsgefühl konnte sich in einer Atmosphäre häufiger Niederlagen nicht lange halten; und wenn wir auch kurze Zeit führend waren, so kamen die Schweizer doch bald wieder an die Spitze und gewannen mehr Rennen als wir.«

Neben den Schweizer Studenten hatte Lunn einen weiteren Verbündeten im österreichischen St. Anton gefunden, wo der Skipädagoge Hannes Schneider eine renommierte Skischule leitete und zwischendurch zusammen mit Leni Riefenstahl in Schneesportfilmen schauspielerte. Schneider war begeistert vom Lunnschen Slalom. Auch von dessen Vorschlag, in St. Anton ein Skirennen unter der Bezeichnung Arlberg-Kandahar durchzuzuführen – organisiert vom Kandahar Club. So kam es 1928 zum ersten Arlberg-Kandahar-Rennen, bestehend aus Abfahrtslauf und Slalom.

Nachdem es Lunn gelungen war, die von ihm als »Kandahar-Revolution« bezeichneten Neuerungen des Skifahrens auch in Österreich zu etablieren, fehlte ihm nur noch die Anerkennung durch den Internationalen Skiverband FIS. 1928 stellte Lunn am FIS-Kongress in St. Moritz den Antrag, die britischen Regeln für Abfahrt und Slalom anzuerkennen. Es wurde beschlossen, den englischen Modus versuchsweise einzuführen. Die Norweger wehrten sich vor allem dagegen, dass es verboten wurde, mit dem Stock zu bremsen. »Was würden Sie wohl sagen«, hielt ein norwegischer Kongressteilnehmer Lunn vor, »wenn ich mir herausnehmen wollte, Änderungen der Regeln Ihres Cricketspieles vorzuschlagen?« 1930 bekam die englische Spielart des Skifahrens endgültig den Segen der FIS.

1935 fand in Mürren die Ski-WM statt, aber Lunn war nicht glücklich. »Die Nazi-Ausbeutung des Sports im Interesse ihrer abstoßenden Ideologie verdarb die Atmosphäre der Weltmeisterschaften und machte aus Sportwettbewerben Proben auf den Krieg«, schrieb Lunn in »Switzerland and the English«. Das seien keine Ski-Sportsleute mehr, sondern Ski-Soldaten.

1938 marschierte Hitler einige Tage vor dem Arlberg-Kandahar-Rennen in Österreich ein. Die Nazis verhafteten Hannes Schneider. Lunn reiste unverzüglich nach St. Anton und sagte den Wettkampf ab. Schneider hatte vor der Annektierung Österreichs nicht zugelassen, dass seine Ski-Schule für politische Zwecke missbraucht wurde, und einen seiner Skilehrer wegen Nazipropaganda entlassen.

Das Aufsehen um die Verhaftung Schneiders und die Absage des Skirennens führte zu einem Rückgang des britischen Tourismus in St. Anton. Die Nazis setzten alles daran, Lunn zu bewegen, seine Entscheidung zurückzunehmen. »Ich habe gar keine Lust, den Zufluss englischen Geldes nach Österreich zu heben, damit es in Gestalt deutscher Bomben wieder zu uns zurückkommt«, erklärte Lunn einem Funktionär des Dritten Reiches.

Lässt Lunns Haltung gegenüber Nazi-Deutschland nichts an Eindeutigkeit vermissen, so verfolgte er im Spanischen Bürgerkrieg, wo er sich als Kriegskorrespondent aufhielt, eine konsequent rechts-katholische Linie. Lunn blieb zeit seines Lebens eine Mischung aus in Harrow und Oxford geschultem Gentleman, passioniertem Sportsman und katholischem Mittelalter. Wer sich gegen General Franco stelle, sei schwach im Glauben und verrate das christliche Abendland an die Kommunisten – dies war der Tenor in Lunns Berichterstattung über den Spanischen Bürgerkrieg.

Für seine Schriften wurde Arnold Lunn 1954 mit dem Ehrendoktortitel der Universität Zürich ausgezeichnet und von der englischen Königin für seine Verdienste zum Ritter geschlagen. Der Skipionier starb 1974.