Wenn Schmetterlinge töten

Barbara Albert erzählt in »Böse Zellen« von der Fragilität menschlicher Beziehungen. von silke kettelhake

Heiter tanzt Manu im Sommerhemdchen durch ihr brasilianisches Hotelzimmer, die Kamera saugt sich förmlich an ihr fest. Doch der Eindruck der sonnigen Bilder täuscht: Ein Flugzeugabsturz reißt den Zuschauer nach wenigen Minuten mit in ein schwarzes Loch. Als einziger Passagier überlebt die junge Frau die Katastrophe.

In »Böse Zellen«, dem neuen Film der Österreicherin Barbara Albert, taumeln die Figuren in einen Abwärtsstrudel, auf der Suche nach sich selbst und dem bisschen Sinn im Leben. Sicherheiten gibt es nicht, nur eine traurige Geborgenheit der hölzern frommen Wünsche.

Sechs Jahre später: Manu arbeitet in einem Supermarkt in einem österreichischen Kaff, lebt mit Ehemann und Tochter ihr Leben weiter, das durch alte und neue, zufällige und gewollte Bekanntschaften in ein Netz von Beziehungen eingewebt ist. Und so verwebt Albert die Geschichte der Verkäuferin Manu mit den Lebensläufen von Kindergärtnerin Andrea, Aufreißer Reini, Kinobetreiber Andreas und denen der anderen zu einem vertrackten Mäanderwerk, aus dem es kein Entkommen gibt.

Während in ihrem gefeierten Debütfilm »Nordrand« die zufällig sich treffenden Jugendlichen im winterlichen Wien oft wie verlorene Sterntaler in den Himmel schauen, scheint es, als ob in ihrem neuen Film nicht mal mehr das Prinzip Hoffnung gilt. Barbara Albert: »Wir können nicht alles berechnen. Die Verunsicherung bleibt ein spannender Moment im Leben, wir haben nicht alles unter Kontrolle. Trotzdem gibt es immer eine Ursache, auch bei scheinbaren Zufällen.« Z.B. wenn der junge Kai, dessen Freundin am ganzen Körper nach einem tödlichen Crash mit Manus Wagen gelähmt sein wird, sich bei seiner Ex in einer nachmittäglichen »Verzeih mir«-Fernsehshow entschuldigt.

Die traurige Zwangsgemeinschaft in der therapeutischen Familienaufstellung, die Sandra mitmacht, um den Verlust ihres Vaters aufzuarbeiten, ist ein Paradebeispiel des bemühten Gutmenschentums. Barbara Albert: »Konsum, Aufstellung, Sex: das sind alles Erklärungsversuche für das Leben – aber beileibe keine Lösung, nur Modelle, mit denen wir versuchen, uns zurecht zu finden.«

Der Film nimmt sich die Chaostheorie zum Vorbild: Wenn ein tropischer Schmetterling mit den Flügeln schlägt, entsteht ein Sturm über dem Golf von Mexiko, und der wiederum lässt ein Flugzeug abstürzen. Keine Angst vor Esoterik im Film: Barbara Albert wollte absichtlich einen »sehr realistischen Film« machen, der aber zugleich eine surreale Ebene zulässt.

Männer und Frauen fiebern umeinander in einem düsteren Reigen, mit einer fast Schnitzlerschen Komponente der Doppeldeutigkeiten und Ahnungen. Der Tod holt sich, was und wen er will. Und die Menschen umklammern einander, hilflos in ihrer Angst. Sie holen sich auch, was sie wollen, ob in den neuen Einkaufszentren, ob mit Fremden im Bett. Die wenigsten fragen nach der Richtigkeit ihres Handelns.

Paare haben in »Böse Zellen« keine Chance auf eine glückliche Beziehung. Gefühlsleere und Einsamkeit herrschen vor. Sogar der Sex ist schrecklich trostlos anzusehen, Männer wie Frauen sind Konsumenten oder Lieferanten. Niemand ist hier in der Lage, selbstbestimmt genießen zu können.

Da scheint jemand endgültig den Glauben an das Funktionieren einer Zweierbeziehung verloren zu haben. Wie herrenlose Hunde umkreisen die Figuren die von innen fest verrammelten Türen zu den Herzen der anderen, verstricken sich in einem Geflecht aus Schuld, Strafe und Scham. Nach dem Unfalltod ihrer Freundin Manu zieht Andrea alleine los in die Disco: Sie ertränkt ihre Wünsche in Alkohol, lässt sich halb bewusstlos von Reini ficken. Der findet’s geil. Andrea liegt da und lässt sich benutzen. Böser Reini. Spaß hat’s Andrea kaum gemacht, zumindest sieht sie nicht besonders glücklich aus beim Akt des Geschlechtsverkehrs, und schwanger wird sie auch noch. Die Strafe folgt auf dem Fuße, denn Andreas, der Ex von Manu, will nun auch nichts mehr von ihr und dem trauten Glück daheim wissen.

Barbara Albert sagt, sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, dass sich in ihrem neuen Film die Männer an den Frauen vergehen: »Ich glaube, dass die Frauen die Stärkeren sind. Die Männer sind sehr in sich gefangen, sie haben kein Ventil, sind in sich verkapselt und eingesperrt. Der Film ist nicht gegen Frauen gerichtet.«

Insbesondere das Schlussbild ist neutral, aber traurig: Ein kleines Mädchen steht im Regen. Süße kleine blonde Mädchen als Emotionsmittler aus der verwirrten Erwachsenenwelt? Absichtlich habe ihr Film ein loses Ende nach all den Ellipsen, und beim nächsten Film wird alles anders: Raus aus der Passivität, der Ausweglosigkeit. Barbara Albert: »Ich suche nach einer wirklichen Utopie, nach einer Alternative. In Wien, da spürt man es, da ist etwas Dunkles, Bedrohliches und auch Trauriges, das sind die Bilder aus der Vergangenheit, hier lauern Unheimlichkeiten und so manche Leiche im Keller.«

»Böse Zellen« (Ö/D/CH 2003) B/R: Barbara Albert; D: Kathrin Resetarits, Ursula Strauss, Georg Friedrich, Marion Mitterhammer, Martin Brambach

Start: 1. April