Zu Gast beim Mustermann

Claudia Schiffer hat Krähenfüße. Harald Schmidt popelt mit dem kleinen Finger in der Nase und Bundeskanzler Gerhard Schröder hat einen Untermieter. Die höflichen Paparazzi wissen das schon längst. von heinz erdmann

Meistens schreibt das Leben die besten Geschichten selbst. An einem heißen Sommertag in Hannover lädt die Freundin einer Freundin zu einem geselligen Grillfest ein. Bereits leicht irritiert über die noble Lage der angegebenen Adresse, steigert sich die Vewirrung des Gastes, als er einen reservierten Polizeiparkplatz vor dem Haus erkennt. Sei’s drum. Irgendeinen Grund wird es dafür schon geben. Und weil einem der Nachname der Freundin der Freundin, das ist halt mal so Brauch, bereits drei Minuten nach der mündlichen Einladung wieder entfallen ist, entscheidet man sich auf gut Glück, die Klingel der Mustermanns tief einzudrücken.

Es öffnet niemand geringer als Bundeskanzler Gerhard Schröder. Leicht bekleidet mit einem dunkelblauen Polohemd und ohne Schuhe. Starr vor Entsetzen, geschockt und überrascht, bricht der Kanzler nach einer Weile das Schweigen. »Der perfekte Tag zum Grillen, oder?«

Gerade noch am Herzinfakt vorbeigeschrammt, nickt der geladene Gast und trottet hinter Schröder in Richtung Party-Geschehen. Auf der Dachterrasse greift Schröder zu Bier und Bratwurst und scherzt ausgelassen mit den Anwesenden. Der Gast resümiert seine Begegnung mit Schröder: »Für mich blieben folgende Erkenntnisse aus den Gesprächen mit ihm:

1. Der Bundeskanzler wohnt im ersten Stock und hat ein Zimmer in (!) seiner Wohnung an einen Studenten untervermietet und grillt mit meiner rothaarigen Kamerafrau-Freundin und deren Freunden.

2. Weil der Bundeskanzler Panzerglas vor seinem Balkon hat, musste ihm der Vater der rothaarigen Kamerafrau eine Verlängerung für den Sonnenschirmständer basteln. Übergabe war an jenem Grillfest.

Ich habe nicht eine Sekunde überlegt ob ich die Geschichte an Frau im Spiegel verkaufen sollte, sondern ein Jahr gewartet, bis dieses Forum mich und die Geschichte findet.«

Die Geschichte klingt absurd und kann im Internet-Forum »Wir höflichen Paparazzi« nachgelesen werden. »Seid höflich und beschreibt genau«, haben sich die Pappen, wie sich die Paparazzi selbst bezeichnen, zum Motto gemacht und schildern Zufallsbegegnungen mit Prominenten. »Jeder hat so etwas schon mal erlebt, jeden beschäftigt es und jeder erzählt es«, weiß Forumsgründer Tex Rubinowitz. Wie wahr, denn Berühmtheiten, Stars, Promis, Semi-Promis, Emporkömmlinge und Blender existieren auch hinter den Bildschirmen; man begegnet ihnen überall. Auf öffentlichen Toiletten, in Diskotheken, an der Saft-Bar, im Flugzeug, im Kaufhaus, auf Partys, am Urlaubsstrand, in Hotels und Schwimmbädern oder auch im Straßenverkehr. So berichten die höflichen Paparazzi mit hartnäckiger Regelmäßigkeit von dem Modeschreck Rudolf Mooshammer, der seinen Rolls-Royce orientierungslos durch Münchens Straßen manövriert und Passanten an jeder zweiten Straßenecke mit Wegfragen belästigt.

Weitaus gefährlicher als Rudolf Mooshammer ist Franz Beckenbauer. Als »Polykrates« durch die Straßen Zürichs kurvte, krachte Beckenbauer in das Heck des Paparrazo. »Polykrates« blieb gelassen, Beckenbauer zeigte sich reuig. Nach Austausch der Personalien, verabschiedete sich Beckenbauer mit den Worten: »Fahrerflucht macht in meinem Fall wohl keinen Sinn!« Die »Kaiser-Beule« ziert Polykrates’ Wagen bis heute.

»Im Laufe der Zeit hat sich bei den höflichen Paparazzi eine eigene Schreibetikette herausgebildet. Wir berichten respektvoll und distanziert. Der höfliche Paparazzo beschreibt sein Umfeld und in welcher Verfassung er sich gerade befindet. Der Promi ist in der Geschichte eine marginale Erscheinung. Der höfliche Paparazzo wird zum Star«, grenzt Text Rubinowitz die höflichen Paparazzi von den professionell unhöflichen ab.

Die Idee, den Autoren des Alltags ein Forum zu bieten, in dem sie ihrer Verwunderung, Erfahrung, Bekanntschaft oder ihren Erlebnissen mit den Stars prosaischen Ausdruck verleihen können, spukte bereits Mitte der achtziger Jahre in den Köpfen von Rubinowitz und Paparazzi-Mitbegründer und Journalist Christian Ankowitsch. Denn beide Männer sind selbst Promi-Opfer. So saß Rubinowitz eines Abends an der Bar einer Wiener Innenstadt-Diskothek, als sich ein sternhagelvoller Kiefer Sutherland lallend und schwankend an seine Jacke krallte. Der Promi selbst hatte sich seinen Paparazzo gewählt.

Verwirklicht wurde die Idee, den zahlreichen Promi-Sichtungen ein eigenes Forum zu geben, im Jahr 2000. Tex Rubinowitz hatte sich äußerst günstig einen Laptop besorgt, Ankowitsch hatte die nötige Internet-Kompetenz. »Anfangs lief es schleppend. Aber irgendwie hat sich die Sache verselbständigt«, erinnert sich Rubinowitz. Weil weitläufiges Abschweifen ausdrücklich erwünscht ist, etablierten sich zahlreiche Sub-Foren. »Wir haben ein Kaputtes-Dübel-Forum, ein Koch-Forum, ein Schwarzwurzel-Forum oder ein Werktags-Forum. Alle Lebensbereiche werden abgedeckt.« Derzeit zählen die höflichen Paparazzi bei 10 000 registrierten Mitgliedern 250 000 Beiträge.

Die besten Promi-Begegnungen der höflichen Paparazzi sind nun auch in Buchform nachzulesen. Ankowitsch und Rubinowitz fungieren in dem im Frankfurter Eichborn Verlag erschienen Buch »Wie Franz Beckenbauer mir einmal zu nahe kam« als Herausgeber und verblüffen den Leser mit überquellendem Detailwissen über Berühmtheiten und Vips. Oder wer wusste etwa, dass Elias Canetti an der Klosbachstraße in Zürich eine ehemalige WG-Wohnung bezog, um sich fortan in einer Wanne zu baden, die den Vormietern als Geschirrspüle gedient hatte?

Abstruser mutet die Sammlerleidenschaft des ehemaligen Fußballprofis Pierre Littbarski an. Damals noch eine relativ unbekannte Größe in der deutschen Kickerlandschaft, wechselte Littbarski von Berlin zum 1. FC Köln. Die Eltern des Paparazzo »Tobler« waren Bekannte von Littbarskis Spielervermittler, und da Fußball-Pierre noch über keine Kölner Bleibe verfügte, deponierte er sein Zeug kurzerhand im Keller der Toblers. »Das bei uns untergestellte Hab und Gut des Herrn Littbarski bestand aus einer Stereoanlage und einer riesigen Anzahl von Schlümpfen und Schlumpf-Häusern. Erwähnter Spielervermittler wusste später zu berichten, dass sich Pierre Littbarski in der Folgezeit im eigenen Keller eine ›Schlumpfwelt‹ eingerichtet hatte«, wundert sich Tobler noch heute. Gänzlich von den Socken war er, als er Littbarski einmal mit einer riesigen Burg aus der Masters-of-the-Universe-Reihe aus einem Kölner Spielwarengeschäft eilen sah: »Möglicherweise war ich Zeuge des Übergangs von der Schlumpf- in die He-Man-Phase. Oder er hatte eine zweite Sammlung eröffnet und die Masters haben dann in seinem Keller immer die Schlümpfe überfallen«, mutmaßt er.

Fußballer zu sein, ist offenbar nicht immer so leicht. Aber auch Paparazzi müssen ihre Leidensfähigkeit immer wieder unter Beweis stellen. Hannah Dreher war mit einer Cousine des Bochumer Sängers Herbert Grönemeyer befreundet. Weil Grönemeyers Cousine ihre Jugendjahre zu heftig auslebte, wurde sie von ihren Eltern in Herberts Wohnung verfrachtet. Dort zu Besuch, begann Grönemeyers Hund sich wild an Hanna Dreher zu reiben. Anfängliche Gegenwehr verwandelte sich in Hysterie. »Halt endliche die Klappe, du Schlampe!«, soll dann Grönemeyer gerufen haben. So kam er aus der Küche, beförderte den Hund in den Garten und drückte der verängstigten Jugendlichen eine Flasche Bier in die Hand. Hätte man Grönemeyer wohl nicht zugetraut.

Promis sind eben auch nur Menschen. Claudia Schiffer kämpft mit Krähenfüßen. Harald Schmitd bohrt mit dem Finger in der Nase. Robbie Williams treibt es nach dem Genuss von Sushi auf den Lokus. Und auch der unvergessliche Literat Thomas Bernhard ist schon mal in die Scheiße getreten. Irgendwie beruhigend.