Täglich grüßt der Sultan

Öl, Religion und Hitze prägen die Monarchie Brunei. Steuern, Staus und Wettbewerb sind nahezu unbekannt. Aus dem Land des ewigen Sonntagnachmittags berichtet christian y. schmidt

Als der wohl berühmteste Brunei-Tourist der neueren Geschichte, König Karl XVI. Gustav von Schweden, neulich aus dem kleinen Ölsultanat auf Borneo zurückkehrte, gab er sichtlich begeistert zu Protokoll, ihn habe die Offenheit der hiesigen Gesellschaft tief beeindruckt. Uns beeindruckt zunächst einmal nur die unglaubliche Leere. Der einzige internationale Flughafen des Landes liegt da wie ausgestorben, der Parkplatz vor seinen Toren ist kaum belegt, und in den durchweg vierspurigen Straßen der Hauptstadt Bandar Seri Begawan verlieren sich die Autos.

Wir hatten eigentlich Pracht erwartet. Pracht, die einen erdrückt, nichts als Pracht auf Schritt und Tritt, so wie sich das für ein auf Öl gegründetes Staatswesen gehört. Tatsächlich mangelt es Brunei nicht an veritabler Prunkarchitektur, besonders in der Hauptstadt. Aus einer kreisrunden, künstlichen Lagune erhebt sich die aus italienischem Marmor erbaute Moschee Omar Ali Saiffudien samt goldenen Kuppeln.

Die Moschee Jame’Asr Hassanil Bolkiah, Anfang der neunziger Jahre von koreanischen Ingenieuren errichtet, übertrifft sie noch an Glanz und Größe. 29 Treppen aus Carrara Marmor können die Gläubigen hier hinauf- und hinunter schreiten, 29 mit 24karätigem Gold bedeckte Kuppeln recken sich in den Himmel. Diese Moschee soll für alle Zeiten an den amtierenden Herrscher erinnern, der mit vollen Namen Haji Hassanal Bolkiah Mu’izzadin Waddaulah heißt, der – man kann es sich jetzt denken – 29. Sultan von Brunei.

Kaum weniger imposant kommt das weltliche Denkmal des Sultans daher, der erst 1996 eröffnete »Yayasan Sultan Haji Hassanal Bolkiah Foundation Complex«, kurz Yayasan genannt. Gold und Marmor wurden in dieser Shopping Mall durch polierten Granit ersetzt. Das Warenangebot kann es mit jedem westlichen Kaufhaus aufnehmen; beim Kitschangebot schlägt man den Westen um Längen. Ein paar Kilometer weiter, am Ufer des Sungai Brunei, schimmert hinter Bäumen schon wieder Gold. Das ist der Istana Nurul Iman, des Sultans Residenz, nichts weniger als der größte bewohnte Palast der Welt.

Doch diese Postkarten-Pracht ist nur die eine Seite Bruneis. Zur allgemeinen Leere – BSB, wie die Bruneier ihre Hauptstadt kurz nennen, hat kaum 60 000 Einwohner – gesellt sich der Verfall. Mitten in der Hauptstadt rottet schon seit Jahren ein halb fertiger Betonklotz vor sich hin. Im Foyer des hochpostmodernen und brandneuen, aber immer noch halb leer stehenden Hochhauses der »Föderation der Malaiisch-Lehrer Bruneis« lösen sich die Teppichfliesen vom Boden. Und in der Lagune um die Moschee Omar Ali Saiffudien schwimmt Müll, während in direkter Nachbarschaft ausgebrannte Autowracks verrosten. So wirkt Brunei wie ein schlecht aufgeräumtes, etwas schmuddeliges Kinderzimmer, in dem jemand wahllos teures Spielzeug verteilt hat.

Schrumpfendes Vermögen

Dass Brunei diesen Eindruck macht, dafür gibt es viele Gründe. Der Wichtigste ist sicher, dass seine Majestät seit ein paar Jahren sparen muss. Vielerorts ist immer noch zu lesen, der Sultan von Brunei sei der reichste Mensch der Welt. Tatsächlich war er das einmal, in der Mitte des letzten Jahrzehnts. Heute ist sein Vermögen von 38 Milliarden Dollar auf magere elf Milliarden geschrumpft, auf der Liste des amerikanischen Magazins Forbes schafft er es damit so eben auf Platz 24. Schuld daran sind, neben der Asienkrise und des Sultans eigenem lockeren Verhältnis zum Geld, vor allem der Lebenswandel und das Geschäftsgebaren von Prinz Jefri. Der Bruder des Sultans schaffte es, innerhalb weniger Jahre 15 Milliarden Dollar zu versenken – mehr als das Bruttoinlandsprodukt Kenias.

Trotzdem geht es den Bürgern Bruneis auch heute noch so gut, dass es von der Agenda 2010 gebeutelten Deutschen leicht das Wasser in die Augen treibt. Schulbildung und medizinische Versorgung sind kostenlos, Steuern nahezu unbekannt, aus seiner Ölmilliardenkasse zahlt der Sultan seinen Untertanen nicht nur großzügige Renten, sondern subventioniert auch noch die Preise für Grundnahrungsmittel. Dabei liegt das jährliche Prokopfeinkommen mit rund 15 000 Euro deutlich über dem aller Nachbarstaaten. Gearbeitet wird dafür nicht allzu hart und bei den vielen Extrafeiertagen Bruneis (Nationalfeiertag, Tag der Armee, Sultans Geburtstag) nicht übermäßig viel. »90 Prozent sind bei der Regierung angestellt«, erzählt uns ein Taxifahrer, der als Chinese nicht ganz so stark von des Sultans Segnungen profitiert. Die Zahl ist zwar übertrieben, tatsächlich sind es rund 70 Prozent, aber selbst das ist noch eine stolze Zahl. Wie so ein Staatsjob aussieht, können wir bei der Besichtung der »Königlichen Insigniensammlung« gleich mitbetrachten. Ein Heer von Putzfrauen und Putzmännern wischt mal hier, wedelt mal dort, um nicht vorhandenen Staub von goldenen Kugelschreibern und goldenen Modellen von Ölförderungsanlagen zu entfernen.

Ähnlich geruhsam geht es im ganzen Land zu. Während heute bald jedes ostasiatische Land betont, wie gut es sich im globalen Konkurrenzkampf behauptet, wirbt das hiesige Touristenbüro mit dem Satz: »Brunei ist ein grünes Land im Dschungel, in dem es keinen Wettbewerb gibt.« Das ist durchaus nicht übertrieben und angenehm für den Touristen. Die Bruneier begegnen ihm entspannt und freundlich, kein Schlepper versucht, ihm irgendetwas aufzudrängen. Selbst der einzige Taxifahrer, der am Flughafen wartet, entschuldigt sich für seinen verordneten, überhöhten Tarif und rät zum gleich schnellen, aber erheblich billigeren Bus. So etwas haben wir noch nirgends auf der Welt erlebt.

Allgemeines Laisser-faire

Ein wenig können wir also schon die Begeisterung verstehen, mit der sich Schwedens König über Brunei äußerte. In seiner Heimat fand er allerdings wenig Zustimmung »Defizite bei Demokratie und Menschenrechten« bescheinigte das schwedische Außenministerium dem Regenten Bruneis, Oppositionsparteien forderten den König auf, wegen seiner Reise abzudanken. Die Zeitung Aftonbladet ging so weit, den Sultan einen Diktator zu nennen. Streng genommen haben diese Kritiker Recht. Sultan Bolkiah regiert das kleine Land mit absoluter Macht; neben dem Amt des Premierministers ist er Verteidigungs- und Finanzminister, außerdem Religionsoberhaupt und Polizeichef. Schon sein Vater, Sultan Omar Saiffudien, schaltete 1962 die Opposition aus, die die ersten und bisher einzigen Parlamentswahlen im Land klar gewonnen hatte. Britische Gurkha-Truppen halfen ihm dabei, denn zu diesem Zeitpunkt war das Sultanat noch britisches Protektorat. Vor zwanzig Jahren wurde Brunei selbstständig. Anfang der neunziger Jahre begann Sultan Bolkiah dann damit, das Land verstärkt zu islamisieren. 1991 erließ er ein absolutes Alkoholverbot für Moslems, gleichzeitig strengere Bekleidungsvorschriften. 1992 wurde die selbst gezimmerte nationale Ideologie Melayu Islam Beraja (Malaiische islamische Monarchie) in den Schulen Pflichtfach. Doch wer das nicht weiß, spürt davon wenig.

Die meisten Frauen auf den Straßen kleiden sich westlich, darunter einige so ordinär gewagt wie in Neukölln oder Frankfurt-Bockenheim zur Zeit der Hundstage. Der Tudung, die malaiische Form des Schleiers, ist seltener zu sehen als auf den Märkten Kuala Lumpurs. Das Gros der Jugendlichen, die in den und rund um die großen Shopping Malls abhängen, ist sogar wilder angezogen als ihre Altergenossen im laizistischen, auf hip und trendy machenden Singapur. Sehr beliebt in diesen Cliquen ist momentan eine seltsame Mischung aus Punk- und HipHop-Look: gefärbte Haare, Hundehalsbänder gepaart mit Baggy-Trousers. Ein Anblick, der einem orthodoxen Imam kaum gefallen dürfte.

In den Shopping-Malls dominieren die DVD-und Video-CD-Läden, die die allerneuesten Hollywoodproduktionen unters Volk bringen. Die billigsten DVDs sind schon für vier Brunei-Dollar zu haben, weniger als zwei Euro. Sollte der Sultan nicht auch Bild- und Tonträger subventionieren, handelt es sich dabei durchweg um Raubkopien, die hier ganz offen über die Ladentheke gehen. Das gibt es noch nicht einmal im Raubkopier-Paradies China, wo aus Angst vor Razzien die illegale Ware in Hinterzimmern oder auf der Straße vertrieben wird.

Auch das allgemeine Alkoholverbot ist löchrig. Zwei Liter harten Alkohols und zwölf Dosen Bier dürfen Nicht-Muslime bei jeder Einreise einführen, wenn sie den Stoff an der Grenze deklarieren. Muslimische Bruneier fahren auf ein paar Drinks über die Grenze nach Malaysia, wenn auch nicht mehr ganz so häufig wie früher. Zudem wird gemunkelt, in einigen Restaurants im BSB-Bezirk Gadong sei durchaus Alkohol erhältlich. Wer beim Kellner »Special Tea« ordere, bekomme Bier serviert – in Teetassen und ebensolchen Kannen. Bestätigen können wir dieses Gerücht nicht, denn Bier aus Tassen ist nicht unser Fall.

Selbst wenn an der Sache etwas dran sein sollte: Ein Nachtleben gibt es in BSB trotzdem nicht. Liegt Bruneis Hauptstadt tagsüber im Halbschlaf, scheint sie des Nachts vollends das Atmen einzustellen. Um neun Uhr schließen die Restaurants, und wenn um zehn der einzige »Kentucky Fried Chicken« in Downtown BSB dicht macht, gibt es außerhalb der eigenen vier Wände nichts mehr zu tun, als auf die nunmehr prachtvoll illuminierten Moscheen zu starren.

Uns soll das recht sein, denn so entfällt der in anderen Hauptstädten dieser Welt übliche Ausgehstress ebenso wie der Kater am nächsten Morgen. Stattdessen haben wir Zeit, im Hotelzimmer einige der alkoholfreien Biersorten zu testen, die in den Supermärkten palettenweise angeboten werden, und dabei das englischsprachige Brunei Bulletin zu lesen, die einzige Tageszeitung des Landes. Die Lektüre ist das reinste Vergnügen, denn es gibt kaum eine Top-Meldung, die nicht zum Lachen reizt: Auf der Jalan Mumong hat ein Lkw angehalten, ohne den Warnblinker zu betätigen. Passiert ist nichts, aber das Brunei Bulletin berichtet dennoch in aller Ausführlichkeit, inklusive Foto vom Lkw am Straßenrand. In der Kampong Pandan Lagune haben Kinder Baby-Krokodile gesehen. Das »BB« bringt auf Seite eins ein unscharfes Foto, auf dem selbst der gutwilligste Betrachter allenfalls ein paar rattenähnliche Kreaturen, aber kein Krokodil erkennen kann. Tags zuvor hatte das Blatt mit Beschwerden einiger Verbraucher aufgemacht, die festgestellt hatten, dass der Preis für ein Kilo Hühnchenfleisch in verschiedenen Supermärkten bis 70 Cent differiert. Ein Vertreter des Landwirtschaftsministeriums erklärte den Beschwerdeführern daraufhin geduldig, wie das Prinzip von Angebot und Nachfrage zu unterschiedlichen Hühnchenpreisen führt. Kaum zu glauben, dass das die wichtigsten Meldungen in einem Land sind, das offiziell dem islamischen Fundamentalismus zuneigt und sich seit 1962 im Ausnahmezustand befindet. »Brunei Darussalam« heißt das Sultanat mit vollem Namen, »Brunei – die Heimstatt des Friedens«. Ein wahrhaft gerechtfertiger Beiname.

Allein unter Bruneiern

Kein Stress also in Brunei. Ein zweiter Pluspunkt sind die wenigen Touristen, die es bis heute hierhin verschlägt. Besonders auffallend ist das Fehlen von männlichen Urlaubern um die Fünfzig, die in anderen südostasiatischen Ländern einen beträchtlichen Anteil der Besucher stellen. Das Alkoholverbot, das Fehlen von Nachtleben und offener Prostitution schrecken diese Klientel offenbar genauso ab wie auf Strand- und Spaßurlaub fixierte Backpacker. Wir jedenfalls haben den Eindruck, als seien alle »unerwarteten Schätze« (Eigenwerbung) Bruneis ausschließlich für uns da. Ganze sieben ausländische Besucher haben sich bis kurz vor Besichtigungsschluss ins obligatorische Gästebuch der Saiffudien-Moschee eingetragen. Am kilometerlangen schönen, wenn auch etwas unaufgeräumten Sandstrand von Muara aalen wir uns einen ganzen Nachmittag solo. Auch in der erst kürzlich mitten in BSB eröffneten staatlichen Touristeninformation sind wir allein. Fünf Angestellte warten hier wohl schon seit Monaten darauf, einen deutschen Touristen mit »Guten Tag« begrüßen zu dürfen. Dass der Hochglanzveranstaltungskalender vom letzten Jahr datiert und die gratis verteilte Landkarte mit den touristischen Attraktionen Bruneis nur noch auf Chinesisch und Japanisch zu haben ist, passt ins sympathisch unperfekte Bild.

Die größte Attraktion Bruneis ist auf der Karte sowieso nicht verzeichnet: die persönliche Begegnung mit dem Sultan. Wir sehen seine Exzellenz am Steuer eines schwarzen Porsches um die Ecke einer Hauptstadtstraße biegen, gefolgt von einer Motorradpolizisteneskorte und einer Kolonne noch schwärzerer Mercedes-Limousinen. Aber auch wer nicht dieses Glück hat, trifft den Sultan an jeder Ecke. Er grüßt auf überlebensgroßen Transparenten in der Innenstadt, in Paradeuniform, im Kampfanzug oder im traditionellen malaiischen Prunkgewand. Die zwei bruneischen Fernsehprogramme bringen – außer in der ausgedehnten Mittagssendepause zwischen 10 und 16 Uhr – pausenlos neuste Sultannachrichten. Meist sieht man dann den Sultan eine Ausstellung mit besonders gelungenen Sultanfotos eröffnen, was dem Mann, der immer etwas schüchtern wirkt, sichtlich peinlich ist. Auch das Brunei Bulletin kommt auf der ersten Seite nur selten ohne Sultanmeldung aus (»Seine Majestät betet in der Tamboi Mosschee. Seine Majestät besucht überraschend Kampong Ayer«). Die Zeitung gehört übrigens Prinz Mohamed, einem weiteren Bruder des Sultans. Zugleich ist der Prinz Bruneis Außenminister.

Ewiger Sonntagnachmittag

Diese Allgegenwart des Herrschers und seiner Familie stört in Brunei offensichtlich keinen. Solange der Sultan nur weiter den erreichten Wohlstand garantiert, regt sich gegen sein Regime kein Widerstand. Die breite antimonarchische Opposition der Sechziger jedenfalls ist längst Geschichte. Heute tut sich in Brunei an oppositioneller politischer Bewegung und ihrer staatlichen Unterdrückung so wenig, dass das Land im jüngsten Jahresbericht von amnesty international gar nicht mehr auftaucht. König Karl Gustav behauptete eine besonders enge Verbundenheit zwischen bruneischer Bevölkerung und dem Sultan. Eine These, die schwer zu widerlegen ist.

Nur die Jugend Bruneis scheint den Beinamen des Landes mit »Heimstatt der Langeweile« zu übersetzen. Um dem ewigen Sonntagnachmittag zu entgehen, greift sie immer häufiger zu Drogen. Besonders beliebt sind Ecstasy und Syabu, ein Methylamphetamin, das anderswo Ice oder Crystal heißt. Auch von vereinzelt randalierenden Gangs hat Bruneis Presse schon berichtet. Sultan Bolkiah macht diese Entwicklung Sorgen, genauso wie die Aussicht, dass Bruneis Öl- und Gasreserven im Jahr 2020 erschöpft sein werden.

Um die Jugend aus ihrer relativen Perspektivlosigkeit und Brunei aus seiner Abhängigkeit vom Öl zu befreien, sollen zukünftig Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen geschaffen werden, hauptsächlich in der Landwirtschaft und im Ökosektor. Im März hat Bruneis Industrieminister ein entsprechendes Entwicklungsprogramm vorgelegt; die Tourismusindustrie ist Teil dieses Plans. Vorgesehen ist, die Zahl der Besucher von derzeit 100 000 jährlich auf 400 000 zu steigern. Ein bescheidenes Ziel, besonders wenn man berücksichtigt, dass man es im typisch bruneischen Tempo, nämlich erst im Jahr 2023, erreichen will. Genug Zeit also, dem beschaulichen Sultanat einen Besuch abzustatten, bevor es auch hier zugeht wie überall auf der Welt.

Nur in einem spezifischen Bereich wird sich die Zahl der Bruneibesucher voraussichtlich schon in allernächster Zeit verdoppeln. Schwedens Regierung verlangt nämlich, dass der Bruneidauertourist Karl Gustav künftig bei allen Staatsbesuchen mindestens von einem Minister begleitet wird. Gut möglich, dass Sultan Bolkiah das freut.