Leben und sterben lassen

Die Bundeswehr bleibt im Kosovo von stefan wirner

Das Projekt eines unabhängigen Kosovo kommt gut voran, und zwar mit zumindest passiver Unterstützung der Bundeswehr.

Bei Angriffen von Kosovo-Albanern auf die serbisch-christliche Minderheit wurden Mitte März dieses Jahres 32 Personen getötet und über 900 Zivilisten verletzt. Mehrere tausend Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben, 16 größere, zum Teil jahrhundertealte Klöster und Kirchen wurden in einer Nacht abgefackelt. Vor allem in der Region um die Stadt Prizren, die hauptsächlich von deutschen Kfor-Soldaten geschützt werden soll. (Jungle World, 14 und 16/04) In Prizren selbst wurden mindestens 20 religiöse Einrichtungen und mehr als 40 Häuser zerstört. Die Frankfurter Rundschau schrieb: »Seit dem 18. März gibt es in der Stadt keine Serben mehr.«

Die Kritik an den deutschen Truppen im Kosovo verstärkt sich. Der Spiegel zitiert den Bischof Artemije von der serbischen Diözese Kosovo-Metohija mit den Worten: »Ihre Mission ist gescheitert. Sie haben hier nichts mehr verloren.« Pater Janic vom Kloster in Decani sagte: »Nach allem, was die Deutschen dem Balkan in zwei Weltkriegen angetan haben, sollen sie sich hier nicht auch noch als Friedensstifter versuchen.«

Davon völlig unbeeindruckt, beschloss die Bundesregierung in der vorigen Woche die Verlängerung des Mandats der Bundeswehr im Kosovo um ein Jahr. Sie muss noch vom Bundestag bestätigt werden. Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) bewertete das Pogrom vom März als »Rückschlag, aber keine Katastrophe«. Er glaubt, dass die Bundeswehr in der zivil-militärischen Zusammenarbeit über mehr Erfahrung verfüge als die Briten und die Amerikaner.

Nach der Darstellung der Bundeswehr seien die Soldaten von den Ereignissen in ihrer »Plötzlichkeit und Heftigkeit überrascht« worden. Die im Kosovo mit den Kfor-Soldaten stationierten deutschen Uno-Polizisten sehen das etwas anders. Sie fühlten sich bei den Ausschreitungen von der Bundeswehr im Stich gelassen. »Es war klar, dass etwas passieren würde, und als es passierte, ist das Militär in den Kasernen geblieben«, sagte ein Polizeiführer dem Hamburger Abendblatt. In Prizren sei »trotz ständiger Hilfeersuchen an die Kfor« kein Militär erschienen, zitiert der Spiegel aus einem Bericht des Polizeiinspektors Dieter Wehe.

Überraschen konnte das Pogrom, außer der Bundeswehr, niemanden. Seit dem Ende des Kosovokrieges wurden nach Informationen des UNHCR 230 000 Menschen aus dem Kosovo vertrieben. Die Gewalt gegen Minderheiten ist dort trotz der Anwesenheit der Kfor-Truppen an der Tagesordnung. Nur interessiert das hierzulande niemanden, weder die Bundesregierung, die den Krieg 1999 mit dem Menschenrecht der Kosovo-Albaner begründete, noch die Teile der deutschen Linken, die der Bundesregierung zustimmten und vom »Selbstbestimmungsrecht der Völker« träumten. Günter Grass, der damals den Einsatz von Bodentruppen forderte, schweigt genauso wie der Diskurstheoretiker und Kriegsbefürworter Jürgen Habermas.

Der Verdacht liegt nahe, dass der Führung der deutschen Kfor-Truppe bei dem Pogrom im März das Wohlergehen der eigenen Soldaten wichtiger war als das der angegriffenen Serben, Sinti und Roma. Leben und sterben lassen, lautet die Devise. Vielleicht sind die deutschen Soldaten im Kosovo gerade deshalb so beliebt, wie die Bundeswehr immer wieder betont. Die Minderheit geht, der Frieden bleibt. Wir sind da. Eine starke Truppe.