Saumlos

Auszüge aus einem Roman von Peter O. Chotjewitz

I.

Bald 70 Jahre später, im Juli 1973 kurz vor ihrem 78. Geburtstag, erinnerte sich die Witwe Annette Kümpel, die wegen anhaltender Schlaflosigkeit morgens um drei aus dem Fenster schaute, angesichts der zwei Männer, die einen dritten, ziemlich langen Menschen in die Linde neben dem Haus ihres Sohnes hängten, des ersten Fahrrades, das sie in ihrem Leben gesehen hatte.

An jenem Morgen waren die Frauen und Mädchen draußen auf den Wiesen beim Heuwenden, als von der staubigen Landstraße Kindergeschrei zu hören war. Annette Kümpel richtete sich auf und sah einen Mensch mit wehenden Rockschößen, der eine Tasche umhängen hatte, eine Uniformmütze trug und auf einem Ding saß, das nur aus zwei großen Rädern und einem Griff für die Hände bestand.

Es war der Postbote, der die drei Dörfer Saumlos, Vockerode und Klein-Calden versorgte und heute nicht wie sonst zu Fuß kam, sondern in Windeseile.

Annette drehte den Rechen um, steckte ihn in den Boden und lief ebenfalls auf die Straße. Immer mehr Kinder und auch einige Frauen kamen aus den Wiesen gerannt und verfolgten unter lautem Gejohle den Postboten bis ins Dorf, wo er sein Fahrrad gegen die Linde lehnte und mit dem Austragen der Briefe begann.

Es war nicht viel, was er auszutragen hatte, aber seine Rolle bestand auch mehr darin, mit den Leuten zu reden. Von einem Haus zum nächsten pflanzten sich die Nachrichten fort, die er aus den Nachbardörfern mitgebracht hatte, und wer ihn etwas besser kannte, erfuhr sogar, was in den Briefen stand, die er austrug.

Der Briefträger war der wichtigste Nachrichtenbringer am Dorf. Von ihm erfuhr man, wer im Sterben lag, welche Krankheiten die Leute hatten, wo ein Kind zur Welt gekommen war, welcher Bauer dazugekauft hatte, wer gerade bankrott machte, wer seine Frau verprügelt hatte oder von ihr verprügelt worden war, und man lernte sogar, was man zu denken hatte, denn natürlich berichtete er auch, was die wichtigsten Persönlichkeiten gesagt hatten, wenn er mit ihnen über die Dinge in den drei Dörfern und in der Welt redete.

Jetzt kam er also mit einem Gerät, das sich Fahrrad nannte. Das zweite große Ereignis vor dem Ersten Weltkrieg war das Luftschiff. Auch davon sprach Frau Kümpel häufig, wenn ihr jemand direkt ins Ohr brüllte, sie solle etwas aus ihrer Jugend erzählen, denn sie hatte zwar gute Augen, war jedoch fast völlig taub.

Zuerst hatte der Postbote davon berichtet, dann hatte der Gemeindediener, der mit einer großen Glocke durchs Dorf ging, das Ereignis zweimal angekündigt. Als die Kirchenglocken zu läuten begannen, gingen alle vors Dorf für den Fall, dass das Luftschiff genau über Saumlos abstürzen sollte, und einige hatten sich sogar die Mühe gemacht, auf den Heuberg oder den Mühlberg zu steigen.

Dann kam das Luftschiff hinter den beiden Dörnbergen hervor, wurde groß und größer, schwebte gemächlich die Nüste entlang, wobei es blitzende Strahlen aussandte, und stand schließlich hoch über ihren Häuptern. Alle hatten die Köpfe tief in den Nacken gesenkt und blickten angestrengt nach oben, nur der alte Kümpel nicht, der Metzger und Landwirt war und gleich nebenan auf seinem Acker die Steine verlas.

»Du hast nicht geschaut«, sagte sein Nachbar zu ihm, als das Spektakel vorbei war, »warum hast du nicht geschaut?« Der alte Kümpel hatte nur mürrisch geantwortet: »Der schaut nicht nach mir, warum soll ich nach ihm schauen.«

Sie sah den beiden Männern zu und dachte an das Luftschiff, das ihr Vater nicht angeblickt hatte, und an das Fahrrad. Die Männer hatten eine Leiter auf die Milchbank neben der Linde gestellt. Der eine stand auf der Leiter und hielt den Mann am Oberkörper, während der andere unten auf der Milchbank stand und die Arme hoch aufgereckt hatte. Er schien die Füße des Toten zu halten.

Das Ereignis berührte sie nicht. Ihr Leben lang waren um sie herum Dinge geschehen, die sie nicht kannte und an denen sie keinen Anteil hatte. Die geschichtlichen Ereignisse und Einschnitte versackten im Alltag. Sie hatte immer nur Arbeit. Als sie ein Mädchen war, arbeitete sie bei den Eltern, mehr als die Gleichaltrigen, da sie das einzige Kind war. Während ihrer siebenjährigen Brautzeit verbrachte sie die Abende und Wintertage damit, ihre Aussteuer zu spinnen, zu weben, zu nähen, und bis heute hatte sie einen Teil der Wäsche von damals nicht einmal benutzt.

Sie heiratete spät, da ihr Vater dagegen war, und als sie endlich verheiratet war, arbeitete sie für ihren Mann, der zwar nichts mitbrachte, aber ebenfalls Kümpel hieß, Anton, den Hof und die Metzgerei übernahm und fleißig, sparsam und ehrlich war. Am Tag, als ihr erstes Kind geboren wurde, arbeitete sie auf dem Acker, bis die Wehen begannen. Später, als sie sich einen Knecht leisten konnten, hatte sie noch mehr Arbeit, denn nun musste sie neben der Stall- und Feldarbeit, dem Haushalt und den Kindern noch für eine weitere Person kochen, waschen und flicken.

Auch ihre erste Fehlgeburt hatte sie auf dem Feld. Ihre Nachbarin, die ihr beim Arbeiten half, war an den Waldrand gegangen. Plötzlich schrie sie und verharrte in einer starren, verkrümmten Haltung. Annette Kümpel lief hinzu und sah eine Schlange, die im Gebüsch hing, die gespaltene Zunge wild hin und her schießen ließ und leise zischte. Sie blickte ihr tief in den Rachen, und während der ganzen Zeit stieß die Nachbarin kleine spitze Angstschreie aus.

Annette Kümpel hob die Hacke und schlug auf die Schlange, ohne sie richtig zu treffen, da der Busch unter ihren Schlägen nachgab. Sie schlug wieder und wieder, geriet in Erregung, und der Busch wurde immer röter, als stünde er plötzlich in Flammen. Die Schlange schien sich aufzurichten und kam ihr entgegen, mit ihrem Gezische, ihrer gespaltenen Zunge und ihrem tiefen, fleischroten Rachen. Da wurde es dunkel um sie. Sie hatte das Gefühl, in ein Federbett zu sinken. Als sie erwachte, standen einige Nachbarinnen ums Bett, und die Hebamme. Am nächsten Morgen war sie wieder im Stall.

Die beiden Männer in der Linde schienen ihre Arbeit jetzt beendet zu haben. Sie kamen herab, nahmen die Leiter und gingen davon. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen, aber an der Art, wie sie gingen und sich bewegten, meinte sie, ihren ältesten Sohn Kreft und den Jungen ihres lange verstorbenen Schwagers, Herbert Schott, zu erkennen.

Dem da drüben im Baum ging es gut. Der hatte es hinter sich. Sie verließ das Fenster, setzte sich frierend in ihren alten Sessel gleich neben dem Ofen, der nicht geheizt war, denn es war Sommer, und betete, wie jeden Morgen und Abend. Sie betete darum, dass sie bald sterben würde.

II.

Eines Morgens nach der Stallarbeit fand die 38jährige Mutter dreier halbwüchsiger Kinder, Christine Schott, geborene Schott, unter der Fußmatte einen verschlossenen Briefumschlag, den jemand unter der Tür hindurch geschoben haben musste, denn er war nicht frankiert, und die Postbotin pflegte ihre Briefe auch stets auf den Küchentisch zu legen. Sie kam ungehindert ins Haus, denn die Haustür war tagsüber nicht abgeschlossen.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, eine alte Haustür tagsüber abzuschließen. Wer seine Haustür abschließen will, lässt eine moderne Tür einbauen, die von außen nur mit einem Schlüssel geöffnet werden kann. Der Wechsel der Gewohnheiten erfordert auch einen Wechsel der Gegenstände, die den Gegenstand der Gewohnheiten bilden.

Frau Schott nahm den Brief vom Boden und legte ihn auf die Konfektschale im Wohnzimmer, natürlich ungeöffnet, denn er war an ihren Mann adressiert, und der erwartete von ihr, dass die Post immer an derselben Stelle lag, wenn er abends von der Arbeit als KFZ-Schlosser im Autohaus Klammroth in Moppes nach Hause kam.

Seit wann der Brief dort gelegen hatte, war nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Es war ein Samstag, und Christine wischte die Diele dreimal die Woche: Montag, Mittwoch und Samstag. Am Mittwoch hatte er noch nicht dort gelegen. Das geringe Interesse, das der Brief in Christine Schott erweckt hatte, verflüchtigte sich vollends, als ihr Mann gegen 11.30 Uhr zum Frühstück herüberkam, das in Wahrheit ein regelrechtes Mittagessen war, gemischtes Gemüse, Hackbraten, Kartoffeln und Soße, und nur im Sprachgebrauch der Saumloser Frühstück genannt wurde.

Ihr Mann zerquetschte erst die Kartoffeln in der Soße, wobei er die Gabel benutzte, dann das Gemüse, zerkleinerte das Fleisch und vermischte schließlich alles zu einer dicken Pampe, die er mit hastigen Bewegungen unter kräftigem Schlucken hinunterschlang, denn mehr als zehn Minuten nimmt ein Mann wie er, der noch manche Mark auf die hohe Kante legen muss, sich nicht Zeit zum Essen. Dabei überflog er den Brief, den er mit dem Zeigefinger aufgebohrt und dann aufgerissen hatte, während seine Frau ihm gegenüber ebenso hastig aß, denn wenn sie nicht gleichzeitig mit ihm vom Tisch aufstand, würde er sie mit Sicherheit fragen, ob sie denn heute etwa nichts zu tun habe.

Er faltete den Brief sorgfältig zusammen und steckte ihn in die Tasche seines Overalls, ohne ein Wort zu sagen. Seine Geste zeigte ihr, dass die Sache sie nichts anging. Wenn es ein Brief ihres Bruders oder eines anderen Verwandten gewesen wäre, hätte er ihn ihr gezeigt, falls er nicht gerade schlechte Laune hatte.

Nach Feierabend, am Samstag und im Urlaub reparierte Herbert Schott Kraftwagen auf eigene Rechnung. Er war ein soziales Zwitterwesen, wie zahlreiche Werktätige auf dem Land. Tagsüber Arbeiter, nach Feierabend sein eigener Unternehmer, und auch da noch verkörperte er zwei geschichtliche Epochen: die landwirtschaftliche, da er den Zehn-Hektar-Betrieb seines Vaters übernommen hatte, und die industriewirtschaftliche als Eigentümer einer Autoreparaturwerkstatt.

Entsprechend krude waren seine Gedanken. Als Werkstattinhaber schimpfte er auf die Gewerkschaften, »die immer weniger arbeiten wollen« – »zum Schluss will keiner mehr schaffen« –, als Arbeiter trat er für mehr Urlaub und Arbeitszeitverkürzungen ein, schon deshalb, weil er dann mehr Zeit für die Werkstatt und die Landwirtschaft hätte. Als Landwirt dagegen verfluchte er den ganzen technischen Fortschritt, durch den Ackerbau und Viehzucht zu einem sterbenden Erwerbszweig wurden.

Der Brief war mit der Hand geschrieben, die Handschrift war krakelig. Herbert Schott wusste, von wem die Schrift stammte, er hatte sie oft genug gesehen. Es gab nur einen im Dorf, der früher, als er noch das Auto besaß, die Angewohnheit hatte, seine Reparaturwünsche aufzuschreiben. Der Brief lautete:

»Erste und letzte Aufforderung. Im kommenden November jährt es sich zum 35. Mal, dass Angehörige von Ihnen mir in Ausführung des gegen mich und meine Familie geschmiedeten Komplotts einen unersetzlichen Schaden zugefügt haben; Ermordung meines mutmaßlichen Vaters und Raub des Vermögens, das mir als seinem Sohn zugestanden hätte, obwohl angeblich unehelich.

Schadenersatz 30 000 Mark in kleinen Scheinen – Rückzahlung des geraubten Geldes. Übergabe in den Papierkorb neben der Milchbank mit einer Plastiktüte vom Kaufhof. Wenn Sie nicht zahlen, erfolgt Bekanntgabe der Mörder meines Vaters. Sie wissen, wer gemeint ist.«

Schott trat an den Küchenherd, der aus Sparsamkeitsgründen zum Kochen auch im Sommer brannte, und steckte den Brief ins Feuer. Er bemerkte, dass seine Frau ihn mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete und fühlte sich jetzt offensichtlich doch verpflichtet, etwas von sich zu geben. Er zuckte deshalb mit den Schultern, als wolle er sagen: Der übliche Quatsch. Schon im Hinausgehen sagte er aber: »Mach hin. Du kannst mir nachher noch helfen, die Wagen waschen.«

Draußen fegte seine Mutter, Barbara Schott, mit einem buschigen Reiserbesen den Hof und die Straße. Diese Reiserbesen band sie sich selber. Er stellte sich unter die Rampe und begann, einen Auspuff auszuwechseln. Er war ein schneller und gewissenhafter Arbeiter, bei dem jeder Handgriff saß, und er konnte sich grün ärgern, wenn er Leuten zusah, denen die Arbeit nicht von der Hand ging oder die womöglich gar nichts taten. Leute, die dem Staat oder anderen auf der Tasche lagen und ihre Wirtschaft nicht in Schuss hatten, hasste er.

Er hasste die Reichen, die sich auf Kosten anderer ein feines Leben machten, und er hasste die Armen, die Leuten wie ihm auf der Tasche lagen. Während er die letzte Schraube anzog, bemerkte er zu seiner Überraschung, dass er bereits fertig war. Er hatte geschafft, wie es seine Art war, ohne sich zu überanstrengen; zügig und fast automatisch. Doch in Gedanken war er woanders gewesen: bei den Faulenzern und Nichtstuern, an denen er seine Wut ausgelassen hatte.

Das passierte ihm oft, dass er seine Arbeit tat, ohne es überhaupt zu bemerken. Er bemerkte es erst, wenn die Arbeit erledigt war. Wenn er je einen Menschen zusammenschlagen oder gar ermorden sollte, würde er es genauso tun. Er würde es erst bemerken, wenn der Mensch dalag.

Dann war nichts mehr zu machen.

III.

Irgendwie waren alle Saumloser miteinander verfeindet, was nicht bedeuten soll, dass sie eine besonders friedlose Gesellschaft waren. In den anderen Dörfern war es vermutlich genauso.

Für den Außenstehenden war es unmöglich, die Gründe für so viel Unfriedfertigkeit zu erkennen, obwohl jeder im Dorf genau zu wissen schien, wer mit wem warum verfeindet war. Man sprach nicht darüber und wenn, dann höchstens in Andeutungen. In der Wirtschaft sagte einer zum Beispiel: »Gestern war bei uns auf der Ecke wieder mal Wild-West.« Oder: »Heute früh hat die Alte mal wieder den Rappel gehabt.«

Man hörte kein Schimpfen, kein Diskutieren, und zu Tätlichkeiten schien es erst recht nicht zu kommen. Nur beiläufig erfuhr der Fremde, dass alte Feindschaften wirtschaftliche Gründe hatten, an die sich niemand erinnerte. Da behauptete der eine, vom anderen bei der Flurbereinigung übervorteilt worden zu sein, und der dritte hatte vom vierten vor längerer Zeit eine Zuchtsau gekauft, die ihre Ferkel auffraß.

Einer glaubte, die anderen seien neidisch auf ihn, weil jeder, der sein Land verpachten wollte, zu ihm kam, und der andere stand mit dem einen auf Kriegsfuß, weil dessen Kühe schon zum zweiten Mal in diesem Jahr ausgebrochen waren und in seinen Rüben geräubert hatten. Unbeliebt waren fast alle. Der eine, weil er für geizig galt, der andere, weil er das Geld mit beiden Händen ausgab, der dritte, weil er nicht genug kriegen konnte, der vierte, weil er nichts hatte, der fünfte, weil er ständig besoffen war und der sechste, weil er keinen Spaß verstand und nichts mitmachte.

Wer Geld hatte, legte es auf die Kreissparkasse oder eine andere Bank, nicht auf die Raiffeisenkasse im Dorf, aus Furcht, die anderen könnten erfahren, dass er Geld hatte. Nicht alle machten es so, aber manche. Im Stall und am Hof ließen einige das Licht lange brennen, damit die anderen glaubten, sie arbeiteten lange und wenn bekannt wurde, dass einer Land verkaufen wollte, lagen die Interessenten mit der Flinte hinter dem Küchenfenster, um jeden abzuschießen, der sich bei Dunkelheit zu dem mutmaßlichen Verkäufer schlich, um mit ihm zu verhandeln.

Aber das sagte man nur so zum Spaß.

Vieles hatte sich geändert am Dorf, seit Herbert Schott, Valentin Gutberlet, Erich Plauth, Kreft Kümpel und die anderen ihres Jahrgangs den Ehemännern der Annette Kümpel und Barbara Schott, Bärchen Faulstich und ihrer Cousine Käthe Rüppel, seit die junge Generation der alten, um 1900 geborenen abgeschaut hatte, wie man sich verhalten, denken und reden musste, wenn man dazugehören wollte, im Gasthaus zum »Halben Mond«, in der freiwilligen Feuerwehr, im Gesangverein, bei Hochzeiten, Kindstaufen, Konfirmationen und Jubiläen, im Streit und in Friedfertigkeit, denn das gab es auch; heute wie vor zwanzig oder fünfzig Jahren.

Das Dorf zerfiel in drei Gruppen: die Eingesessenen, die Eingeheirateten und die Zugereisten. Nur durch Vermischung mit den Eingesessenen errang ein Eingeheirateter oder eine Eingeheiratete, die nicht aus der näheren Umgebung stammten, die volle Zugehörigkeit, die allein den Eingesessenen vorbehalten war. Wer es ablehnte, sich zu vermischen und nicht einheiratete, würde nie dazugehören.

Fast schien es, als ob nur drei Dinge die Saumloser miteinander verbanden: Das dichte Netz der Verwandtschaften und Schwägerschaften, das für den Außenstehenden ebenso undurchschaubar war wie die Streitigkeiten; das Stückchen Land, das einer besaß, wenn er dazugehörte; und die unerklärlichen, unsichtbaren Feindseligkeiten, deren Ursachen oft schon Generationen zurücklagen.

Das Dorf hatte sich in den letzten 30 Jahren verändert, mehr als in den 300 Jahren davor. Das Rittergut, das nach dem Zweiten Weltkrieg an die 30 Mann beschäftigte, nicht eingerechnet die ausländischen Saisonarbeiter und Frauen, die die Rüben verzuppelten, Garben aufstellten, Kartoffeln verlasen, arbeitete heute mit fünf Mann.

Von den ehemals zehn Bauern, die nur von der Landwirtschaft lebten, waren drei übrig geblieben. Die anderen waren jetzt Mondscheinbauern. Die Handwerker hatten zugemacht; der Schreiner, der Stellmacher, der Schuhmacher, der Bäcker, der Sattler, der Metzger, der Schneider. Die Männer gingen tagsüber auf Arbeit, die meisten nach Kassel in die Fabrik, auf den Bau, an die Straße. Einen Beruf hatten fast alle noch gelernt. Vielleicht waren sie überhaupt die letzte Generation, die eine anständige Berufsausbildung bekommen hatte. Nach Feierabend gingen sie noch ihrer alten Beschäftigung nach.

Da schlachtete Kreft, der Nebenerwerbsbauer war und als Schichtarbeiter in der Textilfabrik am Fließband stand, bei Freunden und Verwandten. Die Maurer, Putzer, Schreiner, Dachdecker, Fliesenleger, Maler und Installateure halfen, die Schwarzbauten ihrer Nachbarn und Verwandten hochzuziehen; Hocke Adam, der Schuhmacher, machte um sechs Uhr abends in der kleinen Werkstatt, die noch unverändert von seinem Vater stammte, die Schirmlampe an, und auch Herbert Schott, den sie Knutscher nannten, schloss nachmittags um fünf die Tür zu seiner Werkstatt auf, in der das Licht keinen Abend vor zehn Uhr ausging. Dann fiel er ins Bett.

Nicht nur wirtschaftlich, auch administrativ war die dörfliche Gesellschaft aus den Fugen geraten. Erst hatte die Kirche die Pfarrstelle nicht mehr besetzt. Jeden Sonntag kam Pfarrer Kuhn von Moppes, der bei den Kranken und Alten auch die Hausbesuche machte. Dann war die Dorfschule aufgelöst worden. Jeden Morgen kam jetzt der Schulbus und brachte die Kinder in die Mittelpunktschule.

Als nächstes hatte die Gemeinde ihre politische Selbständigkeit verloren und war zum Ortsteil herabgesunken. Es gab zwar noch einen Ortsbeirat, aber der hatte nichts zu sagen, und der Bürgermeister, der sich jetzt Ortsvorsteher nannte, Ziesche Helm, hatte höchstens die Ehre, die Holzbestelllisten herumzutragen, einmal im Jahr die Viehzählung zu machen, die Müllsäcke zu verteilen und dem Gemeindevorstand Meldung zu machen, wenn eine Straßenlampe defekt war oder die Hecken gefegt werden mussten; eine Respektsperson, die die Jugendlichen Sheriff nennen konnten wie früher, war er nicht mehr.

Die Gesellschaft der Saumloser hatte ihre Identität verloren, als Kirche, Schule und Amt nach Moppes verlegt worden waren, und so langsam begann sich mancher zu fragen, ob die drei inneren Stützen noch einen Sinn hatten: Die Streitigkeiten, die Verwandtschaft und das eigene Land.

Vor allem die Jüngeren fragten sich das.

IV.

Befreit von dem lästigen Zwang, die Dinge lückenlos und der Reihe nach zu erleben, schlenderte Erich Plauth mit Köfferchen und Reiseschreibmaschine zur Gaststätte »Zum halben Mond« hinüber. Seit er die zwanzig Minuten wartend bei den anderen Männern vor Knutschers Reparaturwerkstatt gestanden hatte, war ein Gefühl der Zugehörigkeit in ihm aufgestiegen, als brauchte er die Leute von Saumlos nur fest genug zu lieben, um von ihnen geliebt zu werden.

Ziesche Helm, Osses Vater, hatte sich unter dem Kugelbaum in einer Ecke des Hofes breit gemacht und trank ein großes Bier. »Waren Sie schon einmal in Saumlos, Herr Plauth?«, fragte er, als sei es erforderlich, schon einmal in Saumlos gewesen zu sein. Sein Bauch lag beim Sitzen auf den Oberschenkeln, und das stark in die Breite zerlaufende Gesäß hing zu beiden Seiten des Stuhls herab. Ganz der Vater, den Erich Plauth auch noch gekannt hatte, mit feisten, kurzen Armen und fünf Daumen an jeder Hand.

»Vor mehr als zwanzig Jahren, ja«, antwortete Plauth, »als Junge. Zu Besuch bei einem Bruder meines Vaters. Ein gewisser Plauth, Malermeister. Ich weiß nicht, oh sie ihn gekannt haben.« Das war eine rhetorische Frage, denn natürlich musste Ziesche Helm ihn gekannt haben. Der Wirt schien einen Moment lang zu überlegen, dann nickte er mit dem Kopf, als habe er eine dunkle Erinnerung, und sagte mit erhobenem Zeigefinger:

»Malermeister, male mir, über meiner Stubentür, meiner Frau zum Trotze, eine schöne lange Fuhrmannspeitsche muss ein Junge haben, wenn er will nach Leipzig fahren.« Er stockte, dann fuhr er fort:

»Denn dort gibt es viele Brücken, da kann man gut drunter frühstücken.«

Er lachte meckernd. Erich Plauth fühlte sich wieder als Adelheid, wie er damals geheißen hatte, als sie bei Kleinschmidts die Malerarbeiten machten und der alte Ziesche ihn fast täglich mit diesem Spruch begrüßte. Er lächelte ein wenig und setzte sich.

Nur einmal im Jahr gab es ein anderes Lied über die Plauths, wenn die Kirmesburschen mit der Blaskapelle auf dem Leiterwagen durchs Dorf fuhren und die Ständchen brachten. Steif vor Stolz, wenigstens einmal dazu zu gehören, standen Vater Plauth und seine zwei Söhne vor der Haustür und hörten sich die Musik an, während Adelheid Plauth ihr Portemonnaie suchte.

Dann bröckelte das disharmonische Blech ab, Vater Plauth gab dem Kirmesvater zwei Mark und erhielt dafür einen Klaren. Nach dem Trinken schüttelte er sich, machte »Brrr!« und sagte:

»Das tut gut.«

Schnaps auf nüchternen Magen konnte er auf den Tod nicht vertragen.

Der Baum, unter dem sie saßen, hatte Plauth schon beschäftigt, als er noch ein Junge war. Der Stamm war bis in zwei Meter Höhe strack gewachsen, darüber aber bildeten mehrere aufgepfropfte Stämmlinge die verwegensten Verschlingungen, als habe jemand aus unordentlichen Ästen einen aufstehenden Zopf zu flechten versucht.

Generationen längst verstorbener Gärtner hatten den Baum durch immer neue Okulationen und Aufpfropfungen verstümmelt und zugleich zu den aberwitzigsten Wachstumsvorgängen erzogen, sodass er eines Tages angefangen hatte, eine gewaltige Kuppel zu bilden, deren Inneres genau dem Äußeren entsprach und die Schönheit eines Bauwerks von Brunelleschi hatte.

Nun war er fertig; man könnte, dachte sich Plauth, vielleicht seine tief herabhängenden Zweige etwas kappen, aber an seinem Aufbau war nichts mehr zu ändern. Man konnte ihn nur noch lassen, wie er war, oder ihn fällen und einen neuen Baum an seine Stelle pflanzen, mit einem natürlich gewachsenen, geraden Stamm bis oben hin. Jahrzehnte würde es dauern, bis der neue Baum einen so kräftigen Stamm und eine so große Krone hatte, und vielleicht würde er nie einen so schönen Schatten spenden wie dieser.

Überall vor den Häusern hatten früher solche Bäume gestanden. Sie waren eines der Wahrzeichen von Saumlos gewesen. Jetzt war er der letzte seiner Art. Man glaubte im Dorf, sie passten nicht zu den modernen Fassadenverkleidungen und Bungalows, die an Stelle der alten Häuser standen.

Auf dem Platz waren die Kirmesvorbereitungen in vollem Gange. (…) Das eigentliche Fest dauerte vier Tage. Am Montag ab elf gab es Freibier, um die Reste wegzuschaffen, und die Würstchen wurden zum halben Preis verkauft.

Kirmes in Saumlos war das Gekreische der Frauen, wenn die Männer eine anzügliche Bemerkung machten oder ihnen klatschend auf den Hintern schlugen; roch nach umgeschüttetem Bier, durchgeschwitzten Hemden und Blusen, nach Kotze an den Büschen und Pisse bei den Behelfsklos; war das Hacken und Dröhnen der Kapelle, die man bis Vockerode und Klein-Calden hören konnte, das Stimmengewirr im Festzelt in den Tanzpausen, war ein Sonnenaufgang über dem kippenbesäten Festplatz, der dort, wo die Wiesen begannen, mit Präservativen verziert war, der Duft auf den Feldern, Gesang der Vögel, Frühnebel und das zerbrechliche Morgenlicht auf dem Heimweg nach der durchfeierten Nacht.

An diesem Freitag im Juli 1973, als Erich Plauth das erste Mal seit 18 Jahren wieder auf einer Kirmes war – mit jedem Meter, den er dem dröhnenden Zelt näher kam, beschleunigten sich seine Schritte, wurde seine Gier größer, rasch da zu sein, sein Gang leichter und beschwingter, dann schlug ihm die schwüle Hitze des Zeltes entgegen, empfing ihn wieder diese Stimmung wie eine brodelnde Masse, die ihm Angst machte und ihn zugleich unwiderstehlich aufsog, das Bedürfnis, den Männern die klobigen Hände zu drücken und auf Schultern zu schlagen, die schwerleibigen Frauen beim Tanz zu umarmen, das Gefühl, so rasch wie möglich einige Bier in sich hineinschütten zu müssen, um sich eins fühlen zu können mit den anderen, die endlich einmal wie eine große Familie waren; seine alte Sehnsucht –, in dieser Nacht ereignete sich in Saumlos der Tod, den die alte schwerhörige Annette Kümpel eine Woche zuvor von ihrem Schlafzimmerfenster vorausgesehen hatte.

V.

Die Synagoge. Auf einmal erinnerte Erich Plauth sich wieder der Synagoge, der weißen Kniestrümpfe und Lackschuhe, die er am ersten Sonntag in Saumlos getragen hatte, der umgeworfenen Grabsteine und verwucherten Gräber, der Brombeerhecken, der kurzen weißen Strickhosen, der hohen dichten Büsche, von denen sie die Maikäfer schüttelten, des Kleinbauern, der ihm die Geschichte vom Orbeck erzählte, und der weißen Rüschenbluse der Mutter, während sie die Hose strickte.

Noch im Halbschlaf ging alles durcheinander, das Damals und das Heute, die Ohrfeige der Mutter für den Dreiangel im Hemd, den er sich bei den Brombeerhecken am jüdischen Friedhof geholt hatte, die ausgebrannten Fensterhöhlen, das wuchernde Unkraut auf den herabgestürzten Decken der Synagoge, die eigentlich nicht wie ein Gotteshaus wirkte, und das Heute, der kalte Bierdunst, der aus der Wirtschaft von unten heraufzog, die unwirklich wirkende Vorstellung, jemand müsse über Valentin Gutberlet gesprochen haben, unten vor Plauths Fenster, das er offen gelassen hatte, um nicht an seinen eigenen Ausdünstungen zu ersticken.

Er trank nur drei Tassen schwarzen Kaffee und machte sich auf, in der Hoffnung das Dröhnen im Kopf loszuwerden. Das Dorf wirkte aufgeschreckt und geschäftig, überall kurvten Traktoren herum, wurden Autos zerlegt oder wieder zusammengesetzt, waren Leute am Schaffen, als habe die Nachricht von Gutberlets Tod sie veranlasst, sich mit Eifer dem Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« hinzugeben oder eine lange verschobene Arbeit endlich zu verrichten.

Vielleicht, überlegte Plauth, war dieser Arbeitseifer auch nur die Antwort der Saumloser auf die durchfeierte Nacht im Kirmeszelt, vielleicht wollte jeder den Nachbarn zeigen, dass er nicht zu denen gehörte, die nachts einen draufmachen und tags auf der faulen Haut liegen.

Über dem Dorf lag ein Geräuschteppich, als wären vielerlei Maschinen am Arbeiten, aber auch Hammerschläge gegen Holz und Blech waren zu hören. Erich Plauth sehnte sich plötzlich danach, wieder hier zu wohnen und selber ein Grundstück zu haben, auf dem er irgendetwas machen könnte, einen Staketenzaun annageln, Bretter klein schlagen, alten Putz von den Balken klopfen, eine neue Regenrinne anbringen oder einen Schrank abbeizen.

Auf der Grenze zwischen Ober- und Unterdorf kam er am Dorfgemeinschaftshaus vorbei. Es war etwa zehn Jahre alt und so einfallslos wie alle öffentlichen Gebäude, die durchwegs aussehen, als habe ein einziger Architekt sämtliche Mehrzweckgebäude in den Dörfern errichtet. Es enthielt das Schlachthaus, den Feuerwehrgeräteraum, die Gefrierfächer und eine Küche mit Herd und Geschirr für fünfzig Personen. Der kleine Saal diente als Wahllokal, Übungsraum des Gesangvereins, Sitzungsraum für die Jahresversammlungen der Vereine und Festsaal für private Familienfeierlichkeiten.

Hier in der Nähe hatte früher die Synagoge gestanden. Jetzt erinnerte er sich abermals. Sie war eine Ruine, als die Mutter mit ihnen 1943 hierher kam. Hatte das leere Gemäuer auch 1944 noch hier gestanden, als sie den Sommer wiederum in Saumlos verbrachten und er hier entlang jeden Morgen zur Schule ging? Wann war es abgerissen worden, falls es auch 1945 noch gestanden haben sollte, als sie hierher flüchteten?

An der Wand des Dorfgemeinschaftshauses befand sich ein Sgraffito, das eine wohlgemute Familie zeigte – Vater, Mutter, zwei Halbwüchsige, ein Kind und zwei alte Leute –, offenkundig Werktätige, die durch eine friedfertige Landschaft schritten, unbeschwert, den Blick fest auf einen Regenbogen gerichtet, umringt von allerlei Getier am Boden und in den Lüften. Die Jahreszahl, 1963, schwebte darüber.

Neben der Synagoge hatte früher die Judenschule gestanden, auch die fiel ihm jetzt wieder ein, ein windschiefes Fachwerkhaus mit einer verputzten Fassade, in der längst keine Schule mehr gehalten wurde, als er hierher kam. An manchen Tagen im Sommer 1943 hingen kleine Hitlerjungen in Uniformen in den winzigen Fenstern, und über der krummen niedrigen Haustür war eine Hakenkreuzfahne angebracht.

Natürlich, irgendwer musste ihm damals gesagt haben, was das für Häuser waren, aber er wusste nicht mehr, wer es war. So, als hätte die Zeit 30 Jahre lang stillgestanden, fing er erst jetzt an, darüber nachzudenken, dass es früher in Saumlos Juden gegeben haben musste, die schon vor seiner ersten Ankunft spurlos verschwunden waren.

Was er wusste, hatte er ungewollt erfahren und nicht weiter verfolgt.

Einmal hatte er Herrn Frost gefragt: »Onkel Frost, warum heißt der Orbeck eigentlich Orbeck?« Herr Frost saß vorne, auf dem Leiterwagen, der von zwei Kühen gezogen wurde. Erich Plauth saß mit Annemarie Frost dahinter, mit Annemarie, die schon eine Brust kriegte, und versuchte, ihr unter die Röcke zu gucken.

»Guck mal da, Wicken«, sagte Annemarie und wies auf das Feld. Dabei kicherte sie.

Herr Frost erzählte gegen den Wind, wobei er seine zwei Kühe mit der Peitsche leicht antippte, eine Geschichte, die ging so: »In Saumlos lebte einst ein Bauer namens Orbeck, der war so arm, dass er sich noch nicht einmal eine Kuh leisten konnte. Jeden Groschen, den er hatte, legte er zurück auf die hohe Kante. Eines Tages hatte er genug beisammen, um sich eine Kuh zu kaufen. Aus der Milch wollte er Butter machen, um sie zu verkaufen.

Er ging also zum Juden Katz, der am Meißner die Kühe aufkaufte, und suchte sich eine aus. Die meisten waren zu teuer, also nahm er die billigste. ›Gibt sie auch gut Milch?‹, fragte er den Juden Katz, bevor er die Kuh bezahlte. ›Kaufst du die Kuh, kaufst du die Milch‹, antwortete der Jude. Der Bauer dachte: ›Die Kuh gibt Milch.‹

Zuhause angekommen, gab er ihr gut zu fressen und zu trinken. Aber am Abend, als er sie melken wollte, war das Euter leer. Da begriff der Bauer Orbeck, was der Jude sagen wollte. Nämlich, dass er die Milch noch extra kaufen müsse. Aus Angst vor dem Geschimpfe seiner Frau und dem Spott der Nachbarn ging der Bauer hinaus auf sein kleines Stück Land, in dem ein Teich lag, sprang hinein und nahm sich das Leben.«

Erich Plauth verließ die Hauptstraße durchs Unterdorf, dort wo »die Rosbach« in die Nüste mündet und ging den Feldweg dorfauswärts, den winzigen Wasserlauf entlang. Nach 300 Metern stand er vor der steilen Böschung, auf der sie als Jungen nach dem Baden sich in der Sonne geaalt und die Weizenkörner aus den vollreifen Ähren gepult hatten.

Hier von der Rosbach gespeist hatte, vielleicht 15 Meter lang und vier oder fünf Meter breit, der Teich gelegen, der ihnen bis an die Brust reichte. Die Mulde war noch erkennbar und erschien ihm merkwürdig flach. Vielleicht hatte man sie mit Bauschutt aufgefüllt.

Er fragte sich, wie Bauer Orbeck es geschafft hatte, sich hier das Leben zu nehmen. Er kam sich dumm vor, verdummt wie die meisten seiner Generation, 1934 geboren. Drei Erinnerungen an Herrn Frost hatte er mit sich herumgeschleppt, dreißig Jahre lang: die Erinnerung an die SA-Uniform, die er trug, wenn er abends von Arbeit kam; an seine Art, alte Wurst zu essen; und an den armen Bauern Orbeck, den ein heimtückischer Jude in den Tod trieb.

Warum hatte er nie bedacht, dass er einem antisemitischen Märchen aufgesessen war?

Warum hatte er nie gefragt nach dem spurlosen Verschwinden der Juden von Saumlos?

War es der Tod Valentin Gutberlets in der Nacht zuvor, war es die unerwartete Begegnung mit einigen Jugenderinnerungen an diesem verkaterten Morgen? – Er beschloss, zu fragen.

Gekürzter Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Peter O. Chotjewitz, Saumlos. Verbrecher Verlag, Berlin 2004. 240 S., 14 Euro

Die ausgewählten Passagen entsprechen den Kapiteln I, III, V, XI und XV des Buches.