Going Underground

raucherecke

Silvester, die Katze, ist verschwunden. Sie stand oft in der Londoner Underground Station Knightsbridge, wo die Damen und Herren, gerade von ihrem Einkauf bei Harrod’s kommend, an ihr vorbei zur Bahn liefen und ihr vielleicht ein paar Pennies, die sonst nur unnütz in das Innenfutter der Mäntel gerutscht wären, in den Fidelkasten warfen. Sie kennen Silvester? Den Walt-Disney-Comic?

Die Frau aus Knightsbride, die als Silvester verkleidet war, hatte eine Trompete in den Händen und war sehr schmutzig. Sie spielte schrägen Dixiejazz. Ihr Fell stand ihr zu Berge. Vielleicht hat sie deshalb keine Lizenz bekommen. Ihr lustiges Geträller fehlt im U-Bahnhof.

Seit einiger Zeit müssen die Musikanten der London Underground einem Komitee vorspielen, das ihnen Lizenzen zum Auftritt in den Gängen erteilt oder eben verwehrt. Sie werden nach strengen Kriterien ausgewählt. Erlaubt sind offenbar nur Leute, die Hits und Gassenhauer spielen. Die Stehplätze in der U-Bahn, wo sie auftreten dürfen, sind mit schwarzen Halbkreisen markiert, und an der Wand dahinter sind rechts und links Glaskästen angebracht, in denen normalerweise Werbung hängt. Diese zeigen nun Poster von Bühnenlichtern.

Auf jeder virtuellen Bühne steht ein Heuler. Alte Männer mit Hüten auf dem Kopf und vor ihren Füßen spielen Songs von Bob Dylan, süße Jungs mit Wuschelkopf spielen Oasis nach. Manche Musiker bringen neuerdings ihren Verstärker mit und kreischen durch die Gänge. Sie glauben offenbar, sich alles erlauben zu können, jetzt, da sie eine Lizenz haben.

Ängstlich drücken sich die Menschen durch die engen Röhrengänge, die von einer U-Bahn zur nächsten oder nach draußen führen, und hoffen, dass sie nicht an einem der langhaarigen Nachkommen von Led Zepplin vorbei müssen, die überall auf den Bühnen anzutreffen sind und nerven. Nein, Gott sei dank, er ist im anderen Gang, und das Gekreische und das Feedback verhallen, bevor man sein eigenes Wort nicht mehr versteht.

Aber seitdem die Angestellten der U-Bahn am Ende der Rolltreppen auf ihre Kunden mit großen blauen Eimern warten, auf dass die Leute ein paar Pennies oder gar einen Schein hineinwerfen, um den Opfern des Tsunami zu helfen, geht das Geschäft der Musiker schlecht, und die Bluesnummern werden noch bluesiger.

sarah diehl