Spenden Sie nicht mehr!

Nach dem Tsunami wurde gespendet, was das Zeug hält. Was machen eigentlich die Nichtregierungsorganisationen nun mit dem vielen Geld? von jesko bender

Hauptsache helfen, mag sich der Reiseveranstalter Tui gedacht haben. Auf seiner Homepage ist von einem »nachhaltigen Hilfsprogramm für die Krisenregion Südasiens« und sogar von »Hilfe zur Selbsthilfe« die Rede, für die der Konzern 1,25 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Mit dem Geld soll ein Dorf in der vom Tsunami verwüsteten Region Tangalle an der Südküste Sri Lankas errichtet werden. Das einzige Problem scheint der Name zu sein, deshalb heißt es provisorisch »Tui-Dorf«.

Kommen, helfen, gehen. Auf diesen Nenner lassen sich Projekte wie das »Tui-Dorf« und viele andere Hilfsmaßnahmen bringen: Tonnenweise wurde Tee in das Tee exportierende Sri Lanka geschafft, abgelaufene oder lediglich mit deutschen Beipackzetteln versehene Medikamente wurden gespendet, und Hilfsorganisationen treten sich auf der Suche nach Projekten gegenseitig auf die Füße. Inzwischen ist klar: Für die sofortige Nothilfe hätte es auch die Hälfte der Spendengalas getan. Denn Nothilfe ist nicht besonders teuer.

Hilfsorganisationen, die sich als politisch verstehen und demokratische Entwicklungspolitik betreiben, brachte der Spendenhype in ein Dilemma. Einerseits war die Gelegenheit günstig, um an die Öffentlichkeit und damit an Geld zu gelangen, andererseits konnten sie mit diesem Schritt nur bedingt dem blinden Aktionismus etwas entgegensetzen.

Die Galas, Telefonaktionen und Benefizkonzerte zum Jahreswechsel erweckten den Eindruck, als seien die Hilfsorganisationen in Deutschland gleichgeschaltet. Bestes Beispiel dafür ist das Bündnis »Aktion Deutschland hilft« aus zehn Hilfsorganisationen, an das bis Ende Januar allein über 108 Millionen Euro gespendet wurden. »Gerade wir Deutschen wissen, was Solidarität vermag«, lobte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Neujahrsansprache die spendable deutsche Bevölkerung.

Bereits vor dem Jahreswechsel gingen riesige Spendenbeträge bei den NGO ein. Es wurde so viel gespendet, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen am 3. Januar ihren Spendenaufruf schon wieder stoppen musste, weil in den wenigen Tagen nach der Flutwelle mehr zweckgebundene Spenden eingegangen waren, als die NGO überhaupt verwenden konnte. Der unreflektierten Spendenbegeisterung tat dieser Appell allerdings keinen Abbruch. Genauso wenig wurde registriert, dass das US-amerikanische, das australische und das indische Militär in der Krisenregion bereits effektive Nothilfe leisteten, während die Bühnen für die Spendengalas noch aufgebaut wurden und die europäischen Regierungen noch über die Koordination der Sofortmaßnahmen diskutierten.

Als Folge leiden viele Hilfsorganisationen nunmehr unter so genanntem Mittelabflussdruck. Die riesigen Summen, die für die Soforthilfe gesammelt wurden, brachten die NGO in die Verlegenheit, möglichst viel Geld möglichst schnell ausgeben zu müssen. Ein Großteil der Spenden ist somit unbrauchbar, weil die Organisationen nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügen, sie effektiv auszugeben. Wenn aber die zweckgebundenen Spenden nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist ausgeben werden, kann den Hilfsorganisationen im schlimmsten Fall die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. Deshalb versucht zum Beispiel die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« inzwischen, die Spenderinnen und Spender zu einer »Umwidmung« des Geldes zu bewegen. »Wer dem nicht zustimmt, erhält seine Spende umgehend zurück überwiesen«, heißt es auf ihrer Homepage.

Der Mittelabflussdruck führt indessen zu einer regelrecht überstürzten Soforthilfe. So konnte beispielsweise Viniya Ariaradne von der srilankischen Organisation Sarvo Daya, als er vor deren mit Reis, Kleidung und Wasservorräten prall gefülltem Lagerhaus stand, nur noch resigniert feststellen, dass sie für ihre Arbeit keinen Reis und keine Kleidung bräuchte, sondern jemanden, der die Handyrechnungen bezahlt. Thomas Seibert von Medico International erzählt diese etwas traurige Anekdote, die er bei seinem Aufenthalt in Sri Lanka erlebte, um auf die Problematik der reinen Nothilfe hinzuweisen.

Gerade Organisationen wie Sarvo Daya, die ansonsten gern als Partner vor Ort zu Rate gezogen werden, könnten dazu beitragen, sowohl die Infrastrukturen als auch die sozialen Strukturen wiederherzustellen und demokratisch zu gestalten – würde die Zeit nicht so drängen.

Bündnissen wie »Aktion Deutschland hilft« wirft Seibert vor, sich nicht der politischen Dimension ihrer Arbeit bewusst zu sein oder sie gleich ganz zu verleugnen. Viele der Organisationen hätten bisher nicht in den teilweise von Bürgerkriegen zerrütteten Ländern gearbeitet und wüssten deshalb nicht, »in welche Konflikte sie damit verwickelt sind oder welche sie möglicherweise sogar fördern«.

Deshalb gründeten die Organisationen Brot für die Welt, Misereor, Medico International, Terre des Hommes und Deutsche Welthungerhilfe Anfang des Jahres das Bündnis »Gemeinsam für Menschen in Not – Entwicklung hilft«. Nicht nur in der Namensgebung grenzt sich das Bündnis von der »Aktion Deutschland hilft« ab. Das Ziel entwicklungspolitischer Arbeit müsse »gerade auch die Beseitigung jener Umstände sein, die Menschen schutzlos den Gewalten von Naturkatastrophen ausliefern«, heißt es in der ersten Erklärung. Im Hinblick auf die am meisten von der Katastrophe betroffene verarmte Bevölkerung jenseits der touristischen Zentren, die in zusammengezimmerten Hütten in Küstennähe wohnt und vom Fischfang leben muss, formulierte das Bündnis weiter: »Jede Naturkatastrophe weist in krasser Weise auf bestehende gesellschaftliche und internationale Gerechtigkeitsprobleme hin.« Das Bündnis will die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen vorantreiben.

Ähnlich äußerte sich im Februar dieses Jahres der Leiter von Caritas international, Martin Salm. »Ein sinnvoller Wiederaufbau muss auch die indirekt Betroffenen im Hinterland wie beispielsweise die kastenlosen Tagelöhner und Bauern Südostindiens einbeziehen.« Stehen die direkt Betroffenen des Tsunami auf einmal besser da als vorher, während andere arme Bevölkerungsgruppen wie die Kastenlosen oder Bürgerkriegsflüchtlinge leer ausgehen, besteht die Gefahr, dass soziale und religiöse Spannungen sich verschärfen.

Die Berliner Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt beteiligte sich absichtlich nicht an den großen Spendenaktionen, sagt ihr Indien-Referent, Detlef Stüber. Erst nach ausführlichen Diskussionen habe die Organisation doch einen Spendenaufruf herausgegeben, um ihre Partnerorganisation SVAS zu unterstützen, die sich für die Rechte der Kastenlosen in Indien einsetzt.

Stüber weist darauf hin, dass Bündnisse von NGO »immer schwierig« seien. Letztlich seien sie zum Nachteil kleinerer Organisationen, deren »Arbeit nicht darin besteht, Häuser wieder aufzubauen«. Außerdem arbeiteten gerade große NGO, die sich mit Regierungsgeld finanzieren, ob in Deutschland oder in den betroffenen Ländern, kaum gegen die Interessen der Regierungen. Ihre Hilfe trage häufig dazu bei, Regierungsprogramme zu verwirklichen. So setze derzeit die Privatisierung der Küstenbereiche in Indien ein. Eine Rückkehr der durch die Katastrophe obdachlos Gewordenen sei deshalb teilweise nicht mehr möglich.

Weitere Informationen: www.aswnet.de, www.medico.de