Diebesgrüße aus Moskau

in die presse

Die Globalisierung ist eine feine Sache, solange jeder weiß, wo sein Platz ist. Die Chinesen sollen billige Hemden nähen, die Afrikaner dürfen sich über unsere Almosen freuen, und die Aufgabe der Russen ist es, Wodka zu destillieren, der keinen Kater verursacht. Verlässt jemand seinen Platz, kommt schnell Unruhe auf. Mit der Schlagzeile »Die Russen kommen« kündigt der Stern auf der Titelseite seine Recherchen über eine unangenehme Angewohnheit an, die sich »der vormalige Sowjetmensch« zu eigen gemacht hat: Er fährt in den Urlaub.

Immerhin, seine Atomraketen lässt er zuhause, auch wenn er in der »Standardausführung« so »niedrig und robust wie ein T-34-Panzer gebaut« ist und seine Frau »wie eine Rotarmistin aus einem Kalten-Krieg-Film« aussieht. Die wichtigste Waffe des russischen Pauschalurlaubers im Kampf um Liegestühle und Leckereien ist sein schlechtes Benehmen. Er »rempelt und drängelt«, und er »entschuldigt sich nie«. Schon »die dicken Kinder von Moskau« klauen anderen Gästen die Frühstückseier, erwachsene Russen dagegen klauen den Teppichboden aus dem Hotel und »bohren auch schon mal die Wodkafläschchen aus der Minibar an«, wie die Reiseleiterin Rosi enthüllt.

Die Stern-Reporter unternehmen sogar einen heroischen Selbstversuch und buchen eine Bootstour »mit ganz vielen Russen«. Die Russen klauen das Boot nicht, und ein wenig enttäuscht stellen die Reporter fest: »Urlaub unter Russen muss nicht gleich wehtun. Kann aber«, denn schließlich können die unzähligen Deutschen nicht irren, für die die Russen die »schlimmste Plage« und der »absolute Horror« sind.

Zwar finden sich auch Russen, die »unter den anderen Nationen kaum auffallen«. Doch die Invasion hat zu einer inakzeptablen Verdrängung deutscher Leitkultur geführt. »Urdeutsche Lokalitäten wie ›Bei Willy‹ werden ersetzt durch Kaschemmen wie den ›Dschingis Khan Biergarten‹«. Der russische Kulturimperialismus betrifft sogar einen Bereich, der als ureigenes Refugium des Deutschtums gelten sollte: »Selbst auf den Verbotsschildern rangiert Russisch vor Deutsch.«

jörn schulz