Den hätte Adorno gehört

platte buch

Der Typ trägt ein Tattoo, war heroinsüchtig und covert gern Songs von Radiohead. Die Rede ist nicht von irgendeinem Punker, sondern von einem Musiker, der sein Instrument nun wirklich beherrscht: Jazzpianist Brad Mehldau, Jahrgang 1970, seit Mitte der neunziger Jahre mit vielen Auftritten und Platten ein vielbeschäftigter Mann. Auch Jazz-Verweigerer dürften den einen oder anderen Titel von ihm schon mal gehört haben. Seine Stücke tauchen in vielen großen Kinofilmen auf, z.B. in Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut« oder Wim Wenders’ »Million Dollar Hotel«.

Auf der aktuellen Platte »Day Is Done« reüssiert er mit seinem neuen Schlagzeuger Jeff Ballard und dem altbewährten Bassisten Larry Grenadier als postmoderner Song-Archäologe. In seinen Piano-Solo- oder Trio-Arrangements spielt er nämlich gerne altbekannte Paul Simon- oder Beatles-Songs nach, um sie respektlos auseinanderzunehmen, ganz neu durchzubuchstabieren und damit am Ende den erstaunlichen Effekt zu erzielen, sie als leuchtende musikalische Wegweiser der Erkenntnis erscheinen zu lassen.

Auch auf »Day Is Done« funktioniert das – wie etwa bei dem »White-Album«-Beatles-Klassiker »Martha My Dear« – mal wieder ganz wunderbar. Selbst Theodor W. Adorno, der den Jazz bekanntlich als neofaschistisches Marschgetrommel der Kulturindustrie geißelte, dürfte sich beim Hören von »Day Is Done« nicht etwa im Grabe umdrehen, sondern gehörig ins Grübeln geraten.

Mehldau wird von der Kritik gern mit seinem Heroin-Ahnen Bill Evans verglichen. Nicht ganz zu Unrecht. Doch schon die wenigen, das Album eröffnenden Akkorde des Radiohead-Songs »Knives Out« vermitteln wieder jenes zusätzliche Gran minimalistisch ertasteter Melancholie, das Mehldaus ganz eigenen Charakter ausmacht. Erfreulicherweise geht der Pianist dabei nüchterner vor als sein in Würde erstarrter Alterskonkurrent Keith Jarrett. Gegenüber dessen schwülstigem Sermon verhält sich Mehldaus Kunst wie die reine Mathematik. Es lohnt sich nachzurechnen.

jan süselbeck

Brad Mehldau: Day Is Done. Nonesuch (Warner)