Der Sohn des Partisanen

Die griechische Justiz lässt den Anklagepunkt der Spionage gegen den Olympiakos-Boss Kokkalis wegen Verjährung fallen. von ferry batzoglou

Wohl kaum jemand in Deutschland weiß, wer Petros Kokkalis war – einer der Leibärzte von Walter Ulbricht. Ende der vierziger Jahre hatte er als linker Partisan im griechischen Bürgerkrieg gekämpft, später flüchtete er mit seiner Familie in die DDR. Er war Direktor des Instituts für Herzchirurgie in Ost-Berlin, Professor an der Humboldt-Universität und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Sein Sohn, der heute 66­jäh­rige Sokrates, wuchs in der DDR auf, studierte Physik und Elektrotechnik in Moskau und am Technisch-Physikalischen Institut der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Nach dem Studium war er als Diplom-Physiker beim Deutschen Fernsehfunk Berlin tätig.

1965 kehrte er nach Griechenland zurück und stieg zum Milliardär auf, sein Firmenimperium um die High-Tech-Gruppe Intrakom ist mittlerweile weltumspannend. Doch damit nicht genug. Der Tycoon übernahm 1994 den sportlich und finanziell schwer angeschlagenen Fussball-Rekordmeister Olympiakos Piräus. Griechenlands populärster Klub blühte wieder auf, seit 1996 wurde er acht Mal Meister, auch in dieser Saison sind die Hafenstädter, die seit Juli 2004 Rivaldo zu ihren Spielern zählen, der einheimischen Konkurrenz fast uneinholbar enteilt. Piräus steht vor dem 34. Titelgewinn in seiner Geschichte.

Die augenscheinliche Erfolgsstory von Sokrates Kokkalis hat indes auch ihre Schattenseiten. Nach der Übermittlung eines Schriftstückes durch den Bundesnachrichtendienst (BND) und weiterer Informationen durch einen Hinweisgeber nahm der Bundestagsuntersuchungsausschuss für DDR-Vermögen (UKPV) im Jahr 1993 Ermittlungen zur Frage auf, ob es sich bei den Firmen Intrakom und Integra um Parteifirmen der SED beziehungsweise der PDS handelte. Demnach sollten diese Firmen nach der Wende zur verdeckten Finanzierung der PDS dienen.

Dem Hinweisgeber zufolge sei Kokkalis vor 1990 im nachrichtendienstlich gesteuerten Embargohandel zugunsten der DDR und anderer östlicher Staaten tätig gewesen. Neben anderen Firmen im westlichen Ausland sei zu diesem Zweck mit Kapitalbeteiligung der DDR in Athen das Unternehmen Intrakom gegründet und vom Bereich KoKo sowie vom Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit finanziert worden. Die Intrakom sei später fest in die Beschaffungsstrecken der DDR zum Import von Mikroelektronik, Digitaltechnik und anderem eingebunden gewesen.

Zuvor, Mitte der achtziger Jahre, habe Kokkalis bereits die zum Bereich KoKo gehörende Firma ­Integra geleitet. Ferner sei er in der DDR von der SWT der HVA als Informeller Mitarbeiter geworben worden, die Geschäftsbeziehungen seien über den VEB Radio- und Fernsehtechnik (RFT) abgewickelt worden. Nach 1989 habe er aus der noch bestehenden DDR Geldzahlungen von zehn Millionen, vielleicht 100 Millionen DM, erhalten, denen keine realen Handelsgeschäfte zugrunde lagen. Mit diesen Zahlungen sei die Übernahme vieler früherer hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter durch Kokkalis verbunden gewesen.

Im Jahre 2002 berichtete die Deutsche Welle unter Berufung auf MfS-Dokumente, Kokkalis habe bei jeder erfolgreichen Auftragsvermittlung an DDR-Firmen eine Provision von fünf bis zehn Prozent kassiert. Jährlich habe er eine Million Mark empfangen, um mittels Bestechung für Nachfrage an ostdeutschen Elektronikprodukten zu sorgen.

Mit Verfügung vom 29. Februar 1996 leitete die Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin mit dem Aktenzeichen 21 Js 5/96 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue nach Paragraph 266 StGB unter anderem gegen Sokrates Kokkalis ein. Der Tatvorwurf lautete: Veruntreuung von Restmitteln aus dem Embargohandel und Nichtaufdeckung der Gesellschafterstellung der DDR in den Firmen Intrakom und Integra in Griechenland. Anschließend ermittelte auch das BKA gegen Kokkalis. Doch es konnten keine Beweise für die Tatvorwürfe gefunden werden. Das Ermittlungsverfahren wurde daher mit Verfügung vom 23. Mai 1997 eingestellt.

Und der UKPV? Er stellte in seinem Bericht am 28. Mai 1998 zwar fest: »Im Januar 1963 wurde Sokrates Kokkalis durch das MfS unter dem Decknamen ›Rocco‹ als GI (Geheimer Informant, damalige Bezeichnung für IM) geworben.« Aber: »Die ausgewerteten Unterlagen des MfS enthalten keine Belege dafür, dass Kokkalis letztendlich aktiv als IM geworben wurde oder sich als solcher verpflichtet hat.« Zudem sei nicht endgültig zu klären, ob Integra und Intrakom dem DDR-Vermögen zuzurechnen seien. Es lägen keine Beweise für eine Beteiligung der DDR oder der SED/PDS an den Firmen vor.

Der SPD-Obmann im UKPV, Friedhelm Julius Beucher, warf damals dem Bundeskanzleramt öffentlich vor, die Aufklärungsarbeit des Ausschusses behindert zu haben: »Wenn ich erlebe, wie wir nun schon seit Monaten daran gehindert werden, den Fall Intrakom aufzuklären, kann ich mir das nur durch massive Einflussnahme durch das Bundeskanzleramt erklären.« Beucher zufolge hätten Bundeskanzler Helmut Kohl und der konservative Premierminister Konstantinos Mitsotakis im Herbst 1992 am Rande der Beisetzungsfeierlichkeiten für Willy Brandt ein Gespräch über die Auslieferung des nach Griechenland geflohenen Stasi-Offiziers Helmuth Voigt geführt. Mitsotakis habe bei dieser Gelegenheit den Kanzler gebeten, deutsche Behörden nicht gegen Intrakom ermitteln zu lassen. Zugleich soll Mitsotakis um die Bereitstellung von Stasi-Unterlagen über Griechen gebeten haben.

Den fehlgeschlagenen Ermittlungen in Deutschland zum Trotz eröffnete die Staatsanwaltschaft am Athener Landgericht im Februar 2002 ein Strafverfahren wegen Spionage und anderer Delikte gegen Kokkalis. Die Strafprozessakte befindet sich nach vier Jahren beim nunmehr vierten Untersuchungsrichter in Folge. Im Fall Kokkalis ist nun jedoch die jüngste Enthüllung der angesehenen Athener Tageszeitung Kathimerini von Interesse: Einem Beschluss des Athener Richter-Rates vom 23. Dezember 2005 mit dem Aktenzeichen 4001/2005 zufolge, welcher der Jungle World vorliegt, wurde der Anklagepunkt der Spionage gegen Kokkalis wegen Verjährung fallengelassen, weil seit dem Fall der Berliner Mauer über 15 Jahre ins Land gegangen sind.

Das Blatt schreibt dazu: »Diese Verjährung ist eine Ohrfeige für die griechische Justiz. Vier Jahre lang weigerten sich nacheinander vier Untersuchungsrichter, irgendeine Untersuchungshandlung durchzuführen, trotz wiederholter Aufforderung der Staatsanwaltschaft. Sie weigerten sich, per Rechtshilfeersuchen Angaben aus den Archiven der Stasi oder bundesdeutscher Behörden über die Aktivitäten von Kokkalis als MfS-Informant einzuholen. Sie sahen sich nicht dazu veranlasst, betreffende Bankkonten zu öffnen und bedeutende Zeugen zu vernehmen.« Als eine Folge davon sei der Anklagepunkt der Spionage in die Verjährung geglitten. Alle Unterlagen, ob aus der Stasi-E-Datenbank SIRA, dem Rosenholz-Archiv oder vom BND, zeigten, dass Kokkalis ab Mitte der achtziger Jahre der Spion »Kaskade« und später »Krokus« mit der Code-Nr. XV/3149/84 gewesen sei, der über die griechische Außenpolitik, politische Parteien, den Geheimdienst EYP und die CIA informiert habe.

Die Untersuchungsrichter vernahmen mit dem ehemaligen Verteidigungsminister der sozialistischen Pasok, Jannos Papantoniou, und dem ehemaligen Geheimdienstchef Leonidas Vassilakopoulos ausgerechnet zwei Fürsprecher von Kokkalis als Zeugen. Vassilakopoulos erklärte, dieser habe in der Zeit, als die Zeitungen das schrieben, »die totale Akzeptanz des griechischen Staates mit einer Fülle unternehmerischer Aktivitäten« gehabt.

Die Zahl der Anklagepunkte in den weiter schwebenden Strafverfahren der Staatsanwaltschaft am Athener Landgericht gegen Kokkalis hat sich auf neun verringert – darunter aktive Bestechung der öffentlichen Hand, Unterschlagung, Betrug, Geldwäsche und Urkundenfälschung. Ins Gefängnis dürfte Kokkalis jedoch nicht kommen.