Der Kampf und die Kamera

Der Zusammenhang von Krieg und seinen Abbildern wird neuerdings immer intensiver untersucht. Ein Blick in neuere wissenschaftliche Monografien und Sammelbände von jan süselbeck

In einem Akt psychologischer Kriegsführung war es Israel gelungen, sich in das Programm des Senders der radikal-islamischen Hizbollah einzuhacken und eigene Propaganda einzuspielen«, hieß es in der vergangenen Woche in einem Spiegel-Artikel über den Nahost-Konflikt. »Propaganda«? Tatsächlich handelte es sich um den israelischen Versuch, die libanesischen Zuschauer über die lügenhafte Berichterstattung einer Terrororganisation mittels Einblendung arabischer Sätze aufzuklären – mit der nachvollziehbaren Intention, Menschenleben im Territorium des Aggressors zu retten: »Mitglieder der Hizbollah: Seid auf der Hut!« stand da zu lesen, auf dass sich nicht noch mehr islamistische »Helden« sinnlos als Kanonenfutter missbrauchen lassen würden.

Manchmal sieht man vielleicht besser einmal auf den eigenen Teller, bevor man akut bedrohten Staaten gleich »psychologische Kriegsführung« vorwirft – ein stark pejorativ konnotierter Begriff, der hier einmal mehr Israel zugewiesen wurde. Kriegspropaganda ist auch im deutschen Fernsehen allgegenwärtig – man muss nur hinsehen.

In der Halbzeitpause des WM-Eröffnungsspiels 2006 berichteten die ZDF-Nachrichten routinemäßig über die vorangegangenen Auftaktfeierlichkeiten des international beobachteten Fußball-Spektakels. Man traute seinen Augen nicht: Der kurze Beitrag wurde von Aufnahmen jubelnder deutscher Soldaten im afghanischen Kabul gerahmt. Sowohl am Anfang als auch am Ende dieser ersten Nachrichteninszenierung des größten Patriotismus-Exzesses seit der deutschen Wiedervereinigung wähnte man sich damit als Betrachter einer Art modernisierter NS-Wochenschau.

Immerhin hatte man vor 1945 im Hörfunk und im Kino gern und ganz ähnlich in Szene gesetzt, wie die »tapferen Kameraden im Felde« teilhatten an großen nationalen Freuden. Bloß, dass diese »Kameraden« dieses Mal nicht mehr am Funkgerät saßen, um gleichzeitig aus den entlegensten Ecken des NS-besatzten Europa gemeinsam für die Heimat Weihnachtslieder zu singen – sondern vor einem Fernseher, um im legeren Feldkaki »ihrem« Bundestrainer »Klinsi« und seinen Jungs zuzujubeln. Und nicht gellende Wochenschaustimmen moderierten diese verblüffende Aufführung neuer Deutscher Einheit von Berlin bis hinunter zum Hindukusch an; nein, es waren die gütig lachenden Betonfrisuren-Gesichter des unvermeidlichen ZDF-Nachrichtenduos Claus Kleber und Gundula Gause.

Bilder als Waffe

Dies ist nur ein aktuelles Beispiel für die ungebrochene Dramaturgie einer Generierung »kriegerischer Wirklichkeit« für die zivile Alltagsrezeption, die in der Propaganda-Industrie des Zweiten Weltkriegs ihren bisherigen Höhepunkt erfuhr und durch die neuen Medien, vor allem aber die Digitalisierung der Bilder und das Internet in geradezu schwindelerregender Weise beschleunigt worden ist. Wichtiger denn je ist es deshalb für die globalen Machthaber geworden, Unfälle wie die publik gewordenen privaten Digicam-Souvenirs aus den US-Folterkellern von Abu Ghraib rigide zu unterbinden.

»Wer im Zeitalter einer beschleunigten Bildkommunikation die Herrschaft über die Produktion und Zirkulation der Bilder behält, der behauptet auch das Deutungsmonopol der Kriegser­eignisse, indem er über die Steuerungs­gewalt der Vorstellungen verfügt, die sich die Adressaten der Bilder von einem militärischen Konflikt machen«, schreibt der Berliner Literaturwissenschaftler Manuel Köppen im Ausblick seiner beeindruckenden Studie »Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert«. Nach wie vor gebe es »kein kohärentes Bild des Krieges, nurmehr konkurrierende Bilderzählungen«, postuliert Köppen.

Die Bilder vom Krieg sind so mehr denn je zur maßgeblichen, international konfliktentscheidenden Waffe geworden. »Dass technische Bilder nicht repräsentieren, sondern als Spur auf etwas Abwesendes verweisen, das sie als Wirklichkeit konstruieren«, sei eine »mitt­lerweile geläufige Einsicht«, referiert Köppen. Allerdings kann nicht genug betont werden, was er am Ende seiner diskursanalytischen Untersuchung in Erinnerung ruft. Demnach bleibe »nach wie vor festzuhalten, daß die Wirklichkeiten, die von technischen Bildern auf den Schlachtfeldern erzeugt werden, von jenen zu scheiden sind, die sich in der Wahrnehmung des Krieges als mediale Realitätskonstruktionen (in der Presse, im Fernsehen, im Kino) ergeben«. Denn: »Kriege finden in realen Räumen statt und nicht in simulierten.«

Wie man Kriege sah

Köppens materialgesättigte Untersuchung bereichert die vielen aktuellen Publikationen zum Thema »Krieg in den Medien« allein schon deshalb, weil sie als literaturwissenschaftliche Habilitationsschrift einen nicht anders als souverän zu nennenden Überblick über die Massen intermedialer Phänomene behält, die die Kriegsdarstellungen seit dem späten 18. Jahrhundert aufweisen. Dabei wird in dem Buch immer wieder das deutlich, was der Autor bereits im ersten Satz seiner Arbeit bemerkt: »Wie Kriege waren, das können weder schriftliche Zeugnisse noch Bilder oder Filme vermitteln, aber sie zeigen, wie Kriege gesehen wurden.«

Und von dieser ästhetisierten Wahrnehmung weiß der Autor viel zu berichten. Seine Studie zeichnet zunächst die sukzessive Auflösung althergebrachter Kriegsregeln im 18., 19. und 20. Jahrhundert nach, während der die Bilder begannen, entlang der Entwicklung elektronischer Medien mehr und mehr an »wirklichkeitsgenerierender Kraft« zu gewinnen. Gerahmt wird Köppens Untersuchung durch zwei Motti: zu Beginn ist es Lukrez und am Schluss Goethe, der hier vom wohligen Gefühl erzählt, als sicherer Unbeteiligter vom Grauen des fernen Kriegs zu hören. Diese historischen »Sichtweisen der Schlacht«, begriffen als erhabenes Schauspiel mit Unterhaltungswert, änderten sich jedoch bereits zu Goethes Zeiten zumindest in unmittelbarer Nähe der Ereignisse rapide.

»Wenn Lukrez’ Betrachter noch die Sicherheit eines philosophischen Beobachtungsstandpunkts genoss und Goethe sich zuweilen nicht nur auf sein Fernrohr verließ, um die Wirklichkeit der Schlacht zu erleben und Sinnesdaten kognitiv zu überprüfen«, resümiert Köppen am Ende seiner Studie, »so wurde der Beobachter durch die technologische Entwicklung, die nicht zuletzt immer wieder auf neue Sichtbarkeiten zielte, der Souveränität beraubt, den Sinneseindruck mit Wahrheit identifizieren zu können.«

Der sichere Standort des Beobachters auf dem »Feldherrenhügel« geriet zunächst durch die Erfindung der Distanzwaffen zusehends in Gefahr. Goethe selbst beschrieb 1820 – nahezu 30 Jahre nach seinem realen Erlebnis der Kanonade von Valmy – in seiner »Campagne in Frankreich«, wie er in die artilleristische Gefahrenzone geritten und von einem eigenartigen »Kanonenfieber« ergriffen worden sei: »Es schien, als wäre man an einem sehr heißen Orte, und zugleich von derselben Hitze völlig durchdrungen«, zitiert Köppen den Weimarer Klassiker.

Spätestens in den deutschen »Befreiungskriegen« gegen Napoleon setzte sich zudem die Idee eines von den fest verortbaren Schlachtfeldern zunehmend emanzipierten Guerillakriegs durch. In seiner »Bekenntnisdenkschrift« von 1812 nahm der deutsche Stratege Carl von Clausewitz Abschied von der althergebrachten friederizianisch-preußischen Form des Kampfes starr aufmarschierender Drillregimenter: »Der Krieg der jetzigen Zeit ist ein Krieg aller gegen alle. Nicht der König bekriegt den König, nicht die Armee die andere, sondern ein Volk das andere, und im Volke sind König und Heer enthalten«.

Köppen beschreibt diese Phänomene auf dem Wege zur Vision des »totalen Kriegs« in einer äußerst dicht arrangierten Zusammenschau philosophischer, literarischer und malerischer Diskurse des 18. und 19. Jahrhunderts. Immanuel Kants Idee eines »Kriegs-Erhabenen« aus seiner »Kritik der Urteilskraft« (1790) und die Vorstellung aus Georg Friedrich Wilhelm Hegels Rechtsphilosophie (1821), wonach sich der Staat »als Individualität einen Gegensatz kreieren und einen Feind erzeugen« müsse, wurden demnach wegen der wachsenden und immer mehr Menschen betreffenden Schrecknisse der kriegerischen Realität fragwürdig.

So werden bereits in den durchaus ambivalenten Kriegsdramen Heinrich von Kleists oder auch in Francisco de Goyas berühmten Radierungen der »Desastres de la Guerra« zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrille Kampfgräuel thematisiert. Dabei bleibe jedoch immer noch »die Ordnung des klassischen Krieges als Voraussetzung für wahren Heldenmut« erhalten, wie Köppen diagnostiziert.

Jean Paul aber nahm bereits 1809 in seiner »Kriegs-Erklärung gegen den Krieg«, einer ersten literarischen Schreckensvision zukünftiger Waffeninnovationen, eine Erfindung vorweg, die an das Maschinengewehr des Ersten Weltkriegs erinnert. Sein »Mechanikus Henri« entwickelt eine Flinte, »welche nach einer Ladung 14 Schüsse hintereinander« abgeben kann, und kommentiert die Idee mit den sarkastischen Worten: »Welche Zeit wird hier dem Morden erspart und dem Leben genommen!«

»Der Krieg komme ›endlich selber am Kriege um‹, indem er sich technisch so vervollkommnet, dass er sich zumindest als erhabenes Schauspiel vernichtet«, kommentiert Köppen diese signifikante Prophetie Jean Pauls, der zu seiner Zeit ja eher als Verfasser sentimentaler Romane berühmt geworden war.

Krisen künstlerischer Repräsentation

Eindrucksvoll ist Köppens Arbeit vor allem aber auch in ihrer genauen Nachzeichnung der im 19. Jahrhundert folgenden »Krise der Repräsentation militärischer Gewalt in Malerei und Literatur«. Leo N. Tolstois Roman »Krieg und Frieden« (1868/69) sah sich demnach bereits in seinen Schlachtendarstellungen gezwungen, eine ›vorfilmische‹ literarische Schnitttechnik zu entwickeln, um der zunehmenden Unübersichtlichkeit der Kampfhandlungen gerecht zu werden. Und der Maler Ernest Meissionier pinselte an seinem opulenten Gemälde »Die Schlacht bei Friedland – 1807« (1873) fast zehn Jahre, um in seinem aufwändigen Versuch, in der realistischen Darstellung vorpreschender Kavalleriepferde mit der aufkommenden Fotografie Schritt zu halten, grandios zu scheitern, wie Köppen rekonstruiert.

Das heldische Motiv einer unbeirrt gegen die feindlichen Kanonen und den Gewehrkugelhagel anstürmenden Kavallerie und Infanterie gab übrigens wohl gerade deshalb so lange »das Grundmuster heroischer Bewährung« ab, »weil sie sich effektvoll visualisieren ließ«, wie Köppen anhand dieses Beispiels aus der Schlachtenmalerei vermutet: »Doch das anatomische Museum des modernen Krieges, der artilleristisch zerfetzte Körper, blieb weiterhin – selbst in der Grafik – nicht darstellungsfähig.«

Dass im Ersten Weltkrieg nach neuesten Berechnungen 8 666 000 Menschen dieses Schicksal erlitten, wie der Historiker Gerd Krumeich im Vorwort zu dem 2004 wiederaufgelegten Dokumentarband Ernst Friedrichs, »Krieg dem Kriege« (1924), mitteilt, hatte also möglicherweise genau mit jenem von Köppen benannten Festhalten an überkommenen Kriegvorstellungen zu tun, die man aus althergebrachten Ästhetisierungen von Schlachten kannte. Sie könnten mit dazu beigetragen haben, dass man revolutionäre Waffenentwicklungen wie das Maschinengewehr auch noch nach 1914 vollkommen ignorierte: »Von manch hochgestellten Erwartungen, an der Front ein erfülltes Leben finden zu können, blieb die Erfahrung, einem existentiellen Grenzbereich ausgesetzt worden zu sein«, schreibt Köppen, »aber lediglich in dem Sinne, als die Zivilisationsstufe auf das Niveau von Höhlenbewohnern zurückgesetzt wurde, die sich gleichwohl den Segnungen moderner Waffentechnik gegenüber sahen.«

Friedrichs historische Dokumentation nun, mit ihren ekelerregenden Fotos zerschossener Soldatengesichter ohne Unterkiefer, voller Nahaufnahmen verbrannter und zerfetzter Leichen, war seinerzeit ein Skandal, weil sie in ihrem grausigen Bildmaterial mit dem bei Köppen erwähnten Gräuel-Tabu der Jahrhundertwende brach und definitiv »die Grenzen dessen überschritt, was auch heute noch trotz aller ›Medialisierung‹ und Gewöhnung an bunte Bilder vom Krieg nicht aushaltbar ist«, wie Krumeich konstatiert.

Vieldeutigkeit des Grauens

Köppens Untersuchung der künstlerischen Darstellungskrise an der historischen Schwelle zum Aufkommen des Foto- und Filmmediums gehört zu den stärksten Momenten seines Buchs – und findet sich nicht von ungefähr auch als ausgekoppelter Beitrag in dem von Heinz-Peter Preußer herausgegebenen Sammelband »Krieg in den Medien« wieder, der mit 19 Beiträgen zum Thema aufwartet. Hierin finden sich auch Aufsätze über die Irak-Kriegsberichterstattung (von Heinz-B. Heller) oder zum Bild Ussama bin Ladens in den Massenmedien (von Klaus Kreimeier) – aktuelle Fragestellungen, die in Köppens Studie am Ende leider außen vor bleiben.

Bei der stupenden Fülle des Materials, das Köppen in seinem historischen Abriss bis zum großen medialen und vernichtungstechnischen Wendepunkt des Ersten Weltkriegs gesichtet hat, ist es ihm aber kaum vorzuwerfen, dass er die moderne Entwicklung der Fernseh-Berichterstattung in seinem abschließenden Ausblick nur noch streift; immerhin diskutiert er auch die Entwicklung der kriegerischen Gewaltrepräsentation im Kino, von David Wark Griffith’ epochalem amerikanischem Bürgerkriegsfilm »Birth of a Nation« (1914/15) bis hin zu Steven Spielbergs »Saving Private Ryan« (1998).

Ein Problem, das auch bei Antikriegsromanen wie Erich Maria Remarques berühmtem Bestseller »Im Westen nichts Neues« (1929) immer wieder auftaucht, ist die Tatsache, dass jeder problematische Versuch, den Krieg darzustellen, ungeachtet seiner Intention zur Affirmation geraten kann. Köppen betont, dass sich motivische Parallelen zu den rechtskonservativen Kriegsbüchern Ernst Jüngers bei Remarque »detailliert nachweisen« ließen – und schon die Zeitschrift Die Weltbühne habe 1929 prophezeit, Remarques angeblich pazifistisches Werk werde »die Menschen, die jungen vor allem, für den Krieg erobern«.

Nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Thomas F. Schneider gilt Ähnliches übrigens auch für Spielbergs Oscargekrönten Film »Saving Private Ryan« mit seiner berüchtigten ersten halbe Stunde über die D-Day-Stürmung US-amerikanischer Truppen von »Omaha-Beach«. In Schneiders Beitrag, der sich in Preußers Sammelband abgedruckt findet, untersucht der Autor die Rezeption des viel gelobten Films und bemerkt, das hier inszenierte Bild des Kriegs sei weitgehend identisch mit demjenigen, »wie es in der deutschen nationalistischen Literatur zum Ersten Weltkrieg propagiert wurde«. Die behauptete Tendenzlosigkeit der Repräsentation gerate gar zu einer Kopie von Schlachtdarstellungen wie in Ernst Jüngers »In Stahlgewittern« (1920).

Das Dilemma aller Versuche, den Krieg in irgendeiner Weise nachzuerzählen, macht auch der Siegener Medienwissenschaftler Rainer Leschke an der Tatsache fest, dass solche Geschichten stets das »verzweifelte zweifelhafte Pathos« erfundener Helden bräuchten. Diese tendierten aber angesichts des modernen Kriegs dazu, »irgendwie in Gewalt, Technik und Materie« unterzugehen. In seinem Aufsatz in dem von der Groninger Literaturwissenschaftlerin Waltraud Wrede herausgegebenen Sammelband »Krieg und Gedächtnis« arbeitet Leschke heraus, dass sowohl bei Jünger als auch bei Remarque der »als Supersubjekt installierte Krieg« mit dem Protagonisten in unweigerliche Konkurrenz trete. Dieses tendenzielle Verschwinden der Subjekte aus den modernen Beschreibungen des Kriegs erkennt Leschke als zentrales Problem: »Wenn aber das Massenereignis Krieg damit als heldenbewährte Narration nicht funktioniert und Repräsentationslogiken dem Ungenügen allenfalls kompensatorisch unter die Arme greifen können, dann stellt sich die Frage, was überhaupt noch erzählt werden kann.«

Kriegspropaganda in den neuen Medien

Das moderne Fernsehen der »embedded journalists« und die aktuelle militärische Kriegsberichterstattung kümmern solche ästhetischen Probleme jedoch herzlich wenig, wie man in dem von Thomas Knieper und Marion G. Müller herausgegebenen Sammelband »War Visions. Bildkommunikation und Krieg« nachlesen kann.

So inszenierte das US-Militär im Jahr 2003 kurzerhand den international wirkungsmächtigen Heldenkult um die aus einem irakischen Krankenhaus gerettete blonde Soldatin Jessica Lynch. Die Münchner Kommunikationswissenschaftlerin Petra Dorsch-Jungsberger analysiert in ihrer Untersuchung dieser propagandistischen Helden- und Lügengeschichte, wie man den ›Glücksfall‹ einer schwerverletzten attraktiven US-Soldatin, die dem Imago beliebter Hollywood-Schauspielerinnen wie Gwyneth Paltrow passgenau entsprach, als Drehbuch für eine pompöse Tapferkeitsstory aufzufassen und auszuschmücken wusste.

Die öffentliche Strahlkraft dieser heroischen Inszenierung trotzte sogar lange Zeit sämtlichen faktischen Widersprüchen, die den Topos »Saving Private Lynch« nach und nach in Frage stellten. »Es stört mich, dass sie mich benutzt haben als ein Mittel, um all dies Zeug zu symbolisieren«, zitiert Dorsch-Jungsberger die überlebende Soldatin. Dumm gelaufen: Helden werden nun mal im Dienste der Kriegspropaganda konstruiert, ob es ihnen nun passt oder nicht.

Andererseits stellt der Band »War Visions« nach dem 11. September 2001 auch die Frage, inwiefern sich die islamistischen Terroristen von New York, Madrid und London die moderne Medienberichterstattung samt der durch sie generierten ikonischen Bilder zunutze machten. Ob sie also die Entstehung eines kriegerischen Narrativs selbst zu steuern und eine auf unabsehbare Zeit wiederkehrende Bilderinnerung zu erzeugen versuchten, die unauslöschbar in das kollektive Gedächtnis einging.

Die Publikation ist zudem als medienwissenschaftliche Ergänzung zu den literaturwissenschaftlichen Forschungen Köppens lesbar, die ebenfalls nur am Rande die Beobachtung berühren, wonach in den aktuellen Kriegsbildern eine »zunehmende Interferenz zwischen elektronischen Spielen und ihrer Übertragung auf die Wirklichkeit des Krieges« zu konstatieren sei. Auch hier verschwinden nämlich die realen Subjekte aus den Repräsentationen des Kriegs: Die Benutzeroberflächen in modernen Kampfhubschraubern, die zur tatsächlichen Ermordung lebender Menschen dienen, ohne dass sich die Bediener dies noch unbedingt bewusst machen müssten, unterscheiden sich mittlerweile kaum noch von den Ballercomputerspielen, die die Kriegswahrnehmung ganzer heranwachsender Generationen prägen.

»Dabei ist für die Bewertung dieses Mediums wichtig, dass die PC-Nutzer im Kampfgeschehen ›Mittendrin statt nur dabei‹ sind«, wie die Herausgeber des Bands im Vorwort schreiben. Mit anderen Worten: Kleinen Nachwuchs-Ernst-Jüngers den »Kampf als inneres Erlebnis« am Bildschirm zu verkaufen, ist zu einem großen Geschäft geworden – »war sells«. Was diese kollektive Wahrnehmungsevolution des Kriegs für die Zukunft genau bedeutet, bleibt abzuwarten. Mit »War Visions« hat immerhin die akribische Untersuchung auch dieser Phänomene begonnen. Fortsetzung folgt.

Manuel Köppen: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2005, 414 Seiten, 58,00 Euro

Thomas Knieper, Marion G. Müller (Hg.): War Visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag, Köln 2005, 432 Seiten, 32,00 Euro

Heinz-Peter Preußer (Hg.): Krieg in den Medien. Rodopi Verlag, Amsterdam 2005, 457 Seiten, 92,00 Euro

Waltraud ›Wara‹ Wende (Hg.): Krieg und Gedächtnis. Ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld kultureller Sinnkonstruktionen. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, 427 Seiten, 39,80 Euro

Ernst Friedrich: Krieg dem Kriege. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004, 242 Seiten, 24,90 Euro