Zu radikal für diese Welt

in die presse

Dass sie im WM-Jahr 2006 gegründet wurde, hielt »Deutschlands einzige Sport-Tageszeitung«, die Sport-B.Z., für so bedeutend, dass sie ihre Titelseite mit dem Hinweis darauf schmückte. Doch nicht einmal das Ende des WM-Jahres zu erleben, war ihr vergönnt. Im Dezember wurde der Ableger der Berliner Boulevardzeitung eingestellt.

Wer nie eine Ausgabe in der Hand hatte, mag annehmen, dass kein Mensch mit Verstand und Geschmack das Verschwinden eines Springer­produktes betrauern könne. Der Sport-B.Z. aber täte man damit grobes Unrecht. Wo die Rabauken aus der oberen Etage des Verlagshauses mit ihrer »schwarz-rot-geilen« Rotzkacke alles taten, um empfindsamen und aufgeklärten Gemütern die WM zu vermaledeien, blieb die Sport-B.Z. Seriosität und Fairness verpflichtet. So scheute sie sich nach dem Viertel­finale nicht, Fotos zu drucken, die den Sports­kameraden Frings in einer unvorteilhaften, weil auf einen argentinischen Gegenspieler prügelnden Pose zeigten, wofür sich die Redakteure von wütenden Anrufern als Nest­be­chmutzer beschimpfen lassen mussten. Aber sie hatte eben die »kritischsten Kommentare, die schärfsten Analysen, unsere ungeschminkte Meinung«. Wo andere nur über die BayernHertha­HSV-Industrie berichteten, brachte die Sport-B.Z. nicht nur alles über die Zehprobleme von Dick van Burik, sondern auch die ungeschminkte Wahrheit über die gedopte Seniorensportlerin vom TuSpo Borken, die Blinddarmopera­tion des Tegeler Blitzschachspielers oder die neuen Trainingszeiten beim Ringerclub SV Luftfahrt. Wenn es stimmt, dass die Anzeigenabteilung der Meinungsfreiheit einer jeden Redaktion die Grenzen setzt, konnte sich die Sport-B.Z. der größten Unabhängigkeit rühmen. Außer gelegentlichen Inseraten eines örtlichen Autolackierers gab es keine Anzeigenkunden, deren Interessen man hätte berücksichtigen müssen.

Im Oktober wurde das Verbreitungsgebiet auf Mecklenburg-Vorpommern ausgedehnt. Allerdings erschien die Zeitung dort als Sport-ECHO, was die Selbstbezeichnung in den Artikeln zum Problem machte. Und noch einmal bewiesen die Macher publizistische Radikalität: Wo andere verschiedene Auflagen gedruckt hätten, nahmen sie einen roten Punkt. »Dit oder dat sagte dieser oder jener Sport - . «, war nun zu lesen, oder: »Sport - . empfing diese oder jene mit Blumen«. Noch zu Lebzeiten den eigenen Namen zu streichen, hatte noch keine Zeitung gewagt. Das geistige Leben in diesem Land wird ärmer sein ohne die Sport-Roter-Punkt.

deniz yücel