Volle Tanks, leere Teller

in die presse

Hausmeister und Moralapostel gibt es überall, in Deutschland allerdings sind sie eine besonders weit verbreitete Spezies. Nirgendwo sonst wurde der Umweltschutz so konsequent zum Gesellschaftsspiel entwickelt. Abfall wird in allerlei bunte Behälter einsortiert, und ganz zwanglos ergibt sich die Möglichkeit, in den Tonnen der Nachbarn herumzuschnüffeln, um sie als Frevler zu entlarven. Denn wichtig ist vor allem, eine korrekte moralische Haltung zu zeigen und einzufordern. Was mit dem sorgsam sortierten Müll geschieht, ist dann von zweitrangiger Bedeutung.

Folglich wirft der »aktuelle Boom der Bioenergie« vor allem »ethische Fragen auf«, meint Bernward Janzing in der taz. Schließlich werden Pflanzen, aus denen Energie gewonnen wird, auf Land angebaut, das auch der Nahrungsmittelproduktion dienen könnte. Die Nahrungsmittelpreise steigen, Menschen hungern. Ein Grund, womöglich auf die Produktion von Biosprit zu verzichten? Keineswegs. »Vorbehalte können wir uns ohnehin nicht mehr leisten«, und »es ist unvermeidbar, dass sich durch den Boom der Bioenergie Preisstrukturen verschieben«. Denn »relevant ist allein die ökologische Frage: Wie kriege ich aus einem Hektar Boden möglichst viel Energie heraus – ohne Einsatz von Monokulturen, ohne Dünger und ohne Zerstörung von Lebensräumen von Flora und Fauna? Wenn nun diese Ziele durch traditionelle Nahrungsmittelpflanzen am besten erfüllt werden – warum nicht?«

Die Lösung ist vielmehr die Verkündigung einer »moralischen Pflicht«, eine »Ergänzung unseres gesellschaftlichen Wertekanons: So, wie der laxe Umgang mit Esswaren in unserer Gesellschaft geächtet ist, sollte es auch die Energieverschwendung sein.«

In Zukunft soll die Mutti also nicht nur sagen: »Iss auf, viele Kinder in Afrika wären froh über einen vollen Teller«, sondern auch: »Fahr nicht so schnell, denk an die Kinder in Afrika.« Es wird ohne Zweifel ein erhebendes Gefühl für die Hungernden sein, wenn sie wissen, dass die Nahrungsmittel, die sie sich nun nicht mehr leisten können, in Deutschland nicht einfach so verschwendet, sondern mit der gebührenden Wertschätzung verbraucht werden.

jörn schulz