Staubfänger aus Afrika

Wie der Europäer das exotische »Andere« entdeckte und es bis heute in ethnologischen Museen ausstellt. Von Thomas Brückmann

Die Entstehung des europäischen wissenschaftlichen Interesses an außereuropäischen Gesellschaften steht direkt mit der europäischen Expansion und dem Kolonialismus in Verbindung. Erst die Eroberungen hatten das Bedürfnis zur Folge, Wissen über die eroberten Gebiete zu erlangen. Die Ethnologie war die wissenschaftliche Karriere dieser politischen und exotisierenden Neugier an den Gesellschaften der Kolonien. Hier wurde das »Andere«, in dem sich das europäische und westliche Selbst entwerfen konnte im akademischen Feld konstruiert und ein koloniales Setting entworfen, welches das Fach bis heute bestimmt: Zumeist forscht ein weißer Forscher über nicht weiße Menschen ehemaliger Kolo­nien.

Nirgends scheint dieser Zusammenhang zwischen Ethnologie und Kolonialismus deutlicher als in den heutigen Ausstellungen in ethnologischen Museen. Ausgestellt werden fast ausschließlich Exponate, die aus Raub- und Eroberungszügen stammen.

Gleichzeitig wird diese Entstehungsgeschichte an den wenigsten Stellen der Ausstellungen erwähnt. Zwar finden sich im Ausstellungstext die Namen der Kolonialbeamten, die diese Gegenstände »erworben« haben, doch der Besucher bleibt über die Funktion und Tätigkeiten dieser Beamten während der Kolonialzeit meist gänzlich uninformiert.

Das schweigende »Andere«, welches der Kolonialismus als Konstruktion hervorbrachte, füllt die Räume der ethnologischen Ausstellungen bis in die letzte Ecke. In den Ausstellungen finden sich allein »Artefakte«, die nichteuropäische Gesellschaften repräsentieren. Sie stehen in den Vitrinen, die in nicht seltenen Fällen seit Jahrzehnten im unveränderten Ausstellungskonzept Staub fangen.

Viele Bemühungen des postkolonialen Diskurses um Relativierung bestimmen die Politik ethnologischer Museen. Bewertet man die »Sammlungen« nach europäischem Recht, so handelt es sich prinzipiell um die Zurschaustellung von Diebesgut. Schon allein der Hinweis, über die Rückgabe der Gegenstände nur nachzudenken, wird als völlig übertrieben bewertet oder ignoriert. Der Gründer von Africavenir, Kum’a Ndumbe, der vom Museum für Völkerkunde in München einen einst nachweislich seinem Vater gehörenden Gegenstand zurückforderte, bekam zur Antwort, das Museum habe nicht genug Geld dafür. Das Museum könne aber auf Kum’a Ndumbes eigene Kosten ein Duplikat für ihn anfertigen lassen.

Tatsächlich ist das Konzept der Ausstellungen ein Relikt aus der Gründungszeit der Ethnologie. Sie begann im 19. Jahrhundert mit dem Sammeln, Archivieren und Zeigen von Gegenständen als ihrer primären wissenschaftlichen Methode. Im Fach selbst ist diese Praxis in den Hintergrund getreten, seit der britische Anthropologe Bronisław Malinowski das Paradigma der Feldforschung etablierte.

Seit vielen Jahren gibt es Kritik an der Ethnologie, aus den Postcolonial Studies, aber auch aus dem Fach selbst. Die Kritik reicht von der Thematisierung des Kolonialismus als Kontext und Ursprung des Faches über die Frage nach der gegenwärtigen Relevanz dieser Vergangenheit bis hin zur grundsätzlichen Infragestellung des ethnologischen Settings als stetiger Re­inszenierung einer kolonialen Situation.

Innerhalb des Faches hat es zahlreiche De­batten gegeben, die nun teils zum Kanon der gegenwärtigen ethnologischen Werke zählen, zum großen Teil jedoch ignoriert werden. Die Art und Weise des Umgangs mit der Kritik folgt dabei einem bestimmten Schema: Interessiert zur Kenntnis genommen und diskutiert wird sie meist nur, wenn sie als methodologisches Problem be­handelt werden kann.

Kritik, die die Arbeit des Faches grundsätzlich infragestellt oder die koloniale Gegenwart in den Institutionen thematisiert, trifft meist auf heftige Abwehr.

Von den Strukturen in den Institutionen sind auch die Debatten und Entwicklungen der ethnologischen Museen bestimmt.

Neben vielen uralten Ausstellungskonzepten gibt es auch neuere Versuche, die sich als kritisch und progressiv verstehen. Vor zwei Jahren wurde im Museum Berlin-Dahlem die Ausstellung »Kunst aus Afrika« eröffnet, in der im Vergleich zur früheren Ausstellungen zahlreiche Veränderungen zu bemerken sind.

So werden die Gegenstände als »Kunst« bezeichnet, und es wird versucht, sie als der europäischen Kunst gleichwertig darzustellen. Stereotypisierende Vorstellungen, die in Europa im Zusammenhang mit Gegenständen aus Afrika auftauchen, werden thematisiert, und geschichtliche Entwicklungen, die sich erkennen lassen, werden erläutert.

Wessen Kritik hat zu dieser Ausstellung geführt? Wird trotz des Anscheins der Reflexion die Tradition des Kolonialismus fortgeschrieben? Wie kann derlei vor dem Hintergrund neuerer Diskussionen der Postkolonialen Theorie und der Kritischen Weißseinsforschung bewertet werden?

Diese Fragen leiten den folgenden Artikel. Er wird auf die Vergangenheit des ethnologischen Museums in Berlin eingehen, die Entstehung der Ethnologie nachzeichnen und auf die kritischen Debatten bezüglich des Fachs zu sprechen kommen. Überdies folgt ein Rundgang durch die gegenwärtige Ausstellung »Kunst aus Afrika« des Ethno­logischen Museums in Berlin.