Das »N-Wort« gehört gestrichen!

Gegenwärtiges Deutsch

Gebrauchsliteratur wurde immer schon sprachlich angepasst. Dass nur die Änderung des »N-Wortes« solche Aufregung verursacht, ist bezeichnend.

Ganz Deutschland, so scheint es, regt sich auf, weil der Thienemann-Verlag angekündigt hat, das Buch »Die kleine Hexe« von Otfried Preußler, das 1957 erstmals erschien, sprachlich zu überarbeiten. Weniger Anstoß erregt, dass Formulierungen wie »die Schuhe wichsen« umgeschrieben werden sollen, weil heute auch schon die Sechsjährige weiß, dass das Wort »wichsen« nur noch im sexuellen Kontext gebraucht wird. Dass aber das Wort »Neger« gestrichen werden soll, erregt die Gemüter und bringt jedem Artikel zum Thema Dutzende Kommentare von Leserinnen und Lesern ein.
Diese behaupten allen Ernstes, wie es auch Ulrich Greiner in der Zeit tat, dass sie beraubt würden. Greiner schrieb, er wolle dem Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, der den Verlag zum Umdenken anregte, erklären, »dass die von ihm monierten Bücher in der Lesebiographie deutscher Kinder, die heute oftmals erwachsen seien, eine wichtige Rolle gespielt hätten und dass man ihnen nicht die Erinnerung stehlen dürfe«.
Nun erst einmal ein paar Fakten: Greiner, dessen Erinnerung offensichtlich von gedruckten Texten abhängig ist, will nicht wissen, dass es die »Kleine Hexe« zu Hunderten Exemplaren in Antiquariaten gibt und geben wird, so dass er sich die Originalausgabe, in der er das N-Wort nicht missen wird, noch dutzendfach zulegen kann. Des weiteren ist ein Kinderbuch, bei allem Respekt vor Preußler, kein Schiller- oder Goethe-Text, und es ist seit über 100 Jahren üblich, in Texten, die man Kindern und Jugendlichen anbietet, Änderungen vorzunehmen, da sie didaktische Aufgaben zu erfüllen haben. Kaum jemand hat Grimms Hausmärchen in der ursprünglichen Textfassung im Regal stehen, kaum jemand den originalen Grimmelshausenschen »Simplicissimus«.

Anders als Texte, die auf Mittelhochdeutsch verfasst sind, brauchen Texte aus dem Barock und aus dem 19. Jahrhundert keine Übersetzung ins Hochdeutsche. Dennoch werden eben solche »Übersetzungen« seit Jahrzehnten gedruckt. Und merkwürdigerweise war es just jener oben zitierte Greiner, der 2009 über eine »Übersetzung« des »Simplicissimus« schrieb: »Ebendiese Sprache, obwohl es sich historisch gesehen um Neuhochdeutsch handelt, ist heute nicht immer leicht zu verstehen, und deshalb hat Reinhard Kaiser den Versuch unternommen, sie in unser gegenwärtiges Deutsch zu übertragen.« Dabei handelt es sich bei dieser »Übersetzung« um einen Eingriff in einen der wichtigsten Texte der deutschen Literatur, hier wird also quasi, um Greiners »Kleine Hexe«-Argument zu wiederholen, der ganzen deutschen Literatur ihre »Erinnerung«, nämlich ihre Herkunft, »gestohlen«. Stört’s Greiner? Ihn stört’s nicht. Niemand hat diese »Übersetzungen« je groß bemängelt, sie sind üblich.
Zum dritten muss angemerkt werden, dass Otfried Preußler lebt. Er ist hochbetagt, und die Formulierung des Verlags, man habe sich mit Preußlers Familie über die Eingriffe verständigt, legt nahe, dass Preußler seine Geschäfte nicht mehr allein erledigt. Dennoch ist es infam, davon auszugehen, dass Preußler gegen seinen Willen zu Abschaffung des N-Wortes gezwungen wurde. Preußler ist Bestsellerautor, der lange keine Eingriffe an seinen Büchern zuließ und jederzeit den Verlag wechseln könnte, wenn er es wollte. Er will aber nicht. Bert Brecht hat seine Texte für spätere Druckfassungen oft auch noch mal überarbeitet. Wollte Brecht damit Greiner und Deutschland um ihre Erinnerungen prellen?

Warum also die Aufregung, wenn sich Autor und Verlag auf eine überarbeitete Neuausgabe einigen, da Teile der alten Ausgabe »heute nicht immer leicht zu verstehen« sind? Über die Änderung des Wortes »wichsen« hat sich kaum jemand erregt, die Änderung des N-Wortes dagegen bringt Leute massenhaft in Rage. Kann es sein, dass Rassistinnen und Rassisten oder vielleicht auch nur Menschen, bei denen der normative Wahn sehr stark ausgeprägt ist, lieber Wörter in Kinderbüchern lesen wollen, die einen Teil der Leserschaft beleidigen, als dass sie zulassen wollen, dass die Welt sich wandelt?
Es gibt einen guten Grund, Gebrauchstexte zu überarbeiten. In einer historisch-kritischen Ausgabe der »Kleinen Hexe« wird sich das N-Wort sicher finden. Aber muss es eine solche geben? Im Kampf gegen die politische Korrektheit, in dem sich die Kämpfenden, obschon in der Mehrheit, von dieser so bedroht sehen wie Grass von Israel, dass sie wahnhaft agieren, geht es nur um die Ausgrenzung von Minderheiten. Das N-Wort soll geschrieben werden, weil es das Eigene bewahrt, im Gegensatz zum Fremden. Es geht hier um Diskriminierung, nicht um Literatur.