Streaming-Dienste sind nur für die großen Labels ein Geschenk

Streaming ist Mainstreaming

Gute Musik zu produzieren, kostet Geld. Das ist mit den gegenwärtigen Streaming-Modellen aber nicht zu machen, jedenfalls nicht abseits des Mainstream.

Wenn ich mir anschaue, wie A & Rs, also die Menschen in Plattenfirmen, die neue Künstler entdecken sollen, heute neue Talente bewerten, dann sind es mehr denn je quantitative Faktoren, die zur Entscheidung führen. Die Anzahl von Facebook-Freunden, Twitter-Followern und Youtube-Video-Clickzahlen sagt den Verantwortlichen heute mehr über das Potential eines Musikers als seine Musik selbst. Das bedeutet im Umkehrschluss: Ein Künstler muss heute quasi schon berühmt sein, bevor eine große Plattenfirma Geld in sein Produkt investiert. Das Schielen auf virtuelle Quantitäten betrifft aber nicht nur die Plattenfirmen, sondern längst auch Fernseh- und Radiosender. Die alten Konsumenten sterben weg, die neue Generation findet ihre Stars nur noch am Computerbildschirm.

Streaming bietet hier natürlich die dem Zeitgeist am besten entsprechende Idee, Musik bequem zu konsumieren. Wer hat schon Lust, sich von pseudomotivierten Radiomoderatoren den Tag versauen zu lassen, während man auf einen ansprechenden Song wartet. Und für Plattenfirmen ist es weitaus günstiger, Musik über solche Kanäle zu vermarkten. Keine Herstellungskosten, keine Retouren! Alles Geld kann ins Marketing fließen. Also warum dann überhaupt noch CDs oder Schallplatten zum Verkauf herstellen oder noch MP3s im iTunes-Store anbieten? Wenn darüber hinaus heute Musiker doch eh das meiste Geld mit Konzerten, Merchandise und Drittverwertungen (Werbung, Film etc.) verdienen und das Streaming so einwandfrei funktioniert? Ganz einfach: Weil man gegenwärtig von dem Geld, das man als Schallplattenfirma mit Streaming allein verdient, überhaupt keine Produktionen mehr finanzieren kann, geschweige denn von den Streaming-Einnahmen leben kann. Und weil die Mär von »das kann man heute doch alles am Computer zu Hause produzieren« wirklich totaler Bullshit ist.
Das mag vielleicht für irgendwelche Heimfrickler aus der Dubstepkifferhöhle gelten oder für Schlafzimmmerfolkies, aber für Bands ist es heute eigentlich nicht möglich, unter 10 000 Euro eine richtig gut klingende Platte aufzunehmen. Und das ist noch ein ziemlich niedrig angesetztes Budget! Man denke zurück an Punkrock: Die Alben der Bands, die heute als Aushängeschilder dieser Ära auf T-Shirts Gassi getragen werden – also The Clash, die Ramones oder die Sex Pistols – waren kostspielige Produktionen, keine Schraddel-Aufnahmen aus dem Proberaum.
Wenn wir derzeit von Streaming sprechen, dann meinen wir fast immer nur die Erfolgsgeschichte von Spotify in Schweden, wo offenbar ein ganzes Volk von heute auf morgen angefangen hat, seine CD- und Plattensammlung zu verkaufen, um fortan Musik nur noch zu streamen. Und dabei hat dieses musikbegeisterte Völkchen den Musikmarkt in Schweden nicht nur stabilisiert, sondern den Gewinn auch noch maximiert. Wenn es nach dem Willen der Industrie geht, soll das jetzt bitte blitzschnell auf der ganzen Welt nachgeholt werden.
So kriegt man vielleicht die Generation Y auf den allerletzten Drücker überhaupt noch in Bezahl­modelle hinein und garantiert so der Musikindustrie einen Cashflow für die mittlere Zukunft. Toll! Eines Nachts leuchtet also der Streaming-Zauberstab dann auch über Deutschland und alle Musiker und Branchenheinis sind auf einem Schlag sorgenfrei. Schön wär’s!

Da ich in meinem Label-Backkatalog weder über Beatles- noch über Frank-Sinatra-Stücke verfüge noch über irgendwelche Geldreserven und bei Banken nicht mal einen Kredit für einen Tapetenwechsel bekomme, kann ich mich jetzt schon mal langsam darauf einstellen, meinen kleinen Laden auf dem Weg bis zu diesem »Magic Zauberstabmoment« in, sagen wir, fünf Jahren dicht zu machen. Weil mir auf den letzten Schritten vom Produkt zum Cloudpop ganz einfach der Kraftstoff ausgehen wird. Die kleinen Bächlein, die vom großen Stream abgehen, werden meine Felder nach aktuellen Marktmodellen einfach nicht ausreichend bewässern. Ich werde von der pseudoindividualisierten Masse einfach trocken gelegt! Denn die größte Lüge, mit der sich Portale von Youtube bis Spotify so gerne schmücken, ist die vom Wachstum des Nischenmarkts. Das mag für Videos von kackenden Katzen gelten, aber nicht für Musik.
Die Streaming-Dienste werden dabei helfen, langfristig einen vollkommen neuen Mainstream möglich zu machen. Einen, von dem die Geschäftsleute dieser Welt bislang nur träumen konnten: die globale totale Gleichschaltung aller Märkte. In der Nische wird es ziemlich ungemütlich und kalt werden.
Und die Tatsache, dass dem Popstar von morgen wohl nur zehn Minuten Ruhm zustehen, ist längst abgemachte Sache. Wie Booking-Agenten diese Acts dann so schnell auf Welttournee schicken wollen, ist mir schleierhaft. Ich freue mich derweil auf die Vinylausgabe des kommenden Albums von Ja, Panik. Es ist bereits ihr fünftes und es kennt sie immer noch so gut wie kein Schwein. Aber klar, selber Schuld! Die könnten echt mal mehr im Internet »machen«. Spotify-Playlisten erstellen und bei Facebook posten, statt besoffen an der Bar rumzulungern. Wobei das doch auch prima von der Bar aus geht. Von der Kneipe in die Cloud. Ich nehme derweil noch ein Herrengedeck. Lang, kurz! Aus den Boxen erklingt »All along the watchtower« von The Jimi Hendrix Experience: »There’s too much confusion, I can’t get no relief«.