Das neue Album von How To Dress Well

Gefühl für Mode

Seine Fans tragen modische Klamotten, von Kritikern wird er hofiert. Dabei ist »What is this heart?«, das neue Album von How To Dress Well, kaum mehr als ein Ausbund an Innerlichkeit.

Keine Frage, der Mann zieht sich gut an. Schlicht, aber modisch. Auch die Haare hat er schön. Tom Krell trägt eine sorgsam verwuschelte Kurzhaarfrisur und darunter ein eher spärliches James-Franco-Hipster-Bärtchen. Auf Pressefotos schaut der (Post-)R ’n’ B-Sänger und Doktorand der Philosophie aus Chicago gern inwendig-verträumt nach oben ins Nichts. Oder er guckt schräg nach unten, das sieht dann irgendwie verloren aus. Und trifft die Kamera seinen Blick, scheint er nahezu verzweifelt um Liebe zu barmen. Krells fein geschnittenes Gesicht zieht sich dazu wie unter Tränen leicht verkrampft zusammen.
Krell hat nicht die geringste Angst, als männliche Heulsuse bespöttelt zu werden. Schon eher legt er es darauf an. Zusammen mit der aus mindestens hundert Herzen gleichzeitig blutenden Musik, die er seit 2011 unter dem Namen How To Dress Well veröffentlicht, ergibt sich en passant ein akzeptables, typisches Pop­musik(er)-Erscheinungsbild unserer Gegenwart.
»Männer können seine Gefühle nicht zeigen«, hieß es damals bei Fischmob. Da lacht der Zeitgeist und zeigt halbwegs gelangweilt auf all die hippen, jungen, gutaussehenden Schmerzensmänner der jüngeren Geschichte – auf James Blake, Sohn, Rhye, Scott Matthew, Frank Ocean und so weiter und so fort.
Der Titel des dritten Albums von How To Dress Well, »What is this heart?«, entspricht Krells konzeptuellem Ansinnen, mit möglichst pathetischen Mitteln für Liebe und Begehren, Empathie und Harmonie, Schönheit und Wahrhaftigkeit zu werben. Das gespenstische, dunkle Rumpeln, die seltsamen Schlierensounds der vorherigen Alben – solche Kontrastmittel spielen kaum noch eine Rolle. »What is this heart?« steuert stattdessen im Gewand hochauflösender Soundästhetik beinahe buttersatt Richtung Charts. Kanonisierten Popidiomen, Grooves und Melodien von Tracy Chapman, Prince und Michael Jackson hat die Platte einiges zu verdanken, James Blakes zärtlichem Post-Dubstep und dem Schmuse-R ’n’ B eines R. Kelly noch mehr. Umgarnt von plüschigen Zuckerwattewolken bogengestrichener und synthetischer Art und unterfüttert mit moderaten elektronischen Beats aus dem Computer ergibt sich so insgesamt eine mächtig süße Variante flehentlich ans Außen gerichteter Innerlichkeit.
Vielleicht war er ja doch einmal zu oft in der Kirche? »Wir müssen an Liebe und Sympathie glauben, wenn wir nicht untergehen wollen«, erzählte Krell der Musikzeitschrift Spex. In diesem Sinne zielführend sind seine von Emotionen übersprudelnden, nicht selten säuseligen Texte: »Pleasure repeats on and on:/Even broken my heart will go on/Even when we get what we wanted/Our hearts babe will never stop longing!« heißt es in dem Song »Repeat Pleasure«. Da aber die Liebe ohne den Zweifel nun mal nicht auskommt, singt er in »Words I don’t remember«: »You know that I love you baby/Only wanted one thing on my mind/Who could I resist, ourselves, a risk I wanna try/But it’s you that got all my time«.
Krells Gesang steht im Mittelpunkt aller Kompositionen. Ja, der 30jährige kann ziemlich gut singen. Und wie die meisten Menschen, die etwas besonders gut können, zeigt er es permanent und immer ein wenig zu doll: Er seufzt sich mit viel Soul arienartig in höchste Höhen, singt chorknabenhaft im technisch anspruchsvollen Falsett; er jammert, wimmert und winselt. Frohlockend und leidend zugleich zerbricht er, so hört es sich an, im und am eigenen Gesang. Interessanterweise verkörpert nun dieser sich permanent an sich selbst berauschende, von verschwenderisch ausgestelltem Könnertum geprägte Gesangsausdruck geradezu beispielhaft das Scheitern von Krells künstlerischer Intention, »die Idiomatik des Songs so sehr mit roher, unsublimierter Emotion anzureichern, bis sie in ihren Grundfesten auseinanderzubrechen droht«.
Ja, so ein Bruch wäre durchaus spannend gewesen. Leider kann nicht mal von einem Beinahe-Bruch die Rede sein. Hier tut nichts weh, wächst nichts über die eigenen Grenzen hinaus, verstört rein gar nichts. Alles passt hervorragend zusammen. Die Überwältigung, die Intensitäten – sie sind perfekt inszeniert und soundtechnisch bestens austariert. Daher überwältigt das Album, so wie 100 eitle, manierierte und theatralische Popalben zuvor, gerade mal mittelmäßig und äußerst vorhersehbar – mehr nicht. Wenn man sich überhaupt darauf einlassen will.
Krells Idee, den Hörer mit intensivem Gefühlspomp regelrecht zu überfallen, so dass man schlicht keine Möglichkeit hat, das innere Anti-Gefühlspomp-Alarmsystem anzuschmeißen, scheint für einen studierten Philosophen rührend naiv, insofern der Künstler – ein bisschen so wie in der phänomenologischen Schule der Philosophie üblich – auch davon auszugehen scheint, dass so etwas wie unvoreingenommene, unverstellte Wahrnehmung möglich sei. Wir sind aber immer schon mittendrin, es gibt immer schon ein reichhaltiges Vorher aus verinnerlichten Normen, aus halb- oder unbewussten Vorstellungen und Wünschen, gesellschaftlich zur Welt gebrachten Gefühlen und: Geschmäckern. Man hört also hinein in so einen Song von »What is this heart?« – und fühlt sich, wenn’s dumm für den Künstler läuft, gewissermaßen schon zugekleistert, bevor es überhaupt losgegangen ist. Denn das Alarmsystem war längst in Betrieb. Pech gehabt.
Auch mit der »rohen, unsublimierten Emotion« ist das so eine Sache: Was genau ist das überhaupt? Und wie soll rohe, unsublimierte Emotion innerhalb oder als Ausdruck eines sorgfältig durchkomponierten Songs möglich sein? Oder, noch einmal anders gefragt: Sind nicht gerade Krells Songs Ausdruck höchster Sublimierungskunst? So oder so: Das Rohe hier ist nicht roh, sondern bestens durchgekocht.
Krell hofft, dass Popmusik durch seine Stücke »aufnahmefähiger wird für Schönheit, Empathie, Wahrhaftigkeit«. Man möchte flapsig erwidern: Ach was, noch aufnahmefähiger? Steckt denn all das und vieles mehr – zumindest als Möglichkeit – nicht längst drin in der riesigen Projektionsmaschine Pop? Von einer anderen Warte aus betrachtet, scheint Krells Hoffnung merkwürdig vermessen: Wie sollten ausgerechnet die Songs von How To Dress Well dem Pop zu Empathie und Wahrhaftigkeit verhelfen? Weil Krell ein hochsensibles Kerlchen ist und allerlei Dinge über das große Glück romantischen Verliebtseins singt? Weil er die sämtliche Zweifel transzendierende Kraft wahrer Liebe in kunstvoller Stoßatmung zu intensiver musikalischer Untermalung beträllert? Nun, vielleicht hilft auch hier der Glaube weiter.
Schönheit, Empathie, Wahrhaftigkeit – große, nicht ganz unproblematische Begriffe, klar. In einer nicht zu annähernd 100 Prozent marktförmig zugerichteten Welt würden diese Begriffe eventuell etwas halbwegs Vernünftiges bedeuten. Aber natürlich ist das eine andere Geschichte. Keine, die sich mit den Mitteln des Pop erzählen ließe. Pop, so wie wir ihn heute kennen, gäbe es dort sowieso nicht.

How To Dress Well: What is this heart? (Domino Records/ Goodtogo)