Proteste gegen Fracking in Rumänien

Mit Gott und Mistgabel gegen Fracking

Die rumänische Regierung will eine autarke Energieversorgung erreichen. Aus diesem Grund hat sie dem US-amerikanischen Konzern Chevron die Genehmigungen für Bohrungen zur Förderung von Schiefergas in mehreren Dörfern erteilt. Doch die Dorfbewohner stellen sich un­erwartet quer. Durch Sitzblockaden und Landbesetzungen versuchen sie, das Fracking auf ihren Grundstücken zu verhindern.

Elisabeta Preda ist außer sich. Als die 56jährige Bäuerin vor ein paar Monaten Feuerholz für den Winter holen wollte, merkte sie, dass jemand auf ihrem Grundstück kleine Löcher gebohrt hatte. »Plötzlich lagen jede Menge Kabel rum, vom Waldrand über den Hügel und quer durch meinen Hinterhof«, erzählt die dreifache Großmutter sichtlich irritiert. Die Löcher waren gekennzeichnet mit roten, blauen und weißen Fähnchen, in jedem Loch steckte ein dünnes, verkabeltes Rohr. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Dass man auf meinem Grundstück irgendwelche Anlagen baut, ohne mich zu fragen oder zu informieren, das kam auch vor der Wende nicht vor.«
Als Preda gleich nach dem eigentümlichen Vorfall zum Rathaus eilte, um dort Fragen zu stellen, war der Bürgermeister von Băceşti nicht zu sprechen. Auch in den Tagen und Wochen danach konnte niemand in dem ostrumänischen Dorf etwas über die merkwürdigen, aber immer häu­figeren Funde erfahren. Mal waren die Kommunalpolitiker krankgeschrieben, mal hielten sie sich auf Zypern auf. Das Arbeiterteam, das mehrmals von den Dorfbewohnern gesichtet wurde, konnte nur sagen, dass die Kabelverlegungen und Lochbohrungen im Auftrag der rumänischen Aktiengesellschaft Prospectiuni SA ordnungsgemäß und mit der Genehmigung des Bürgermeisters durchgeführt worden seien. Der verantwortliche Ingenieur sei allerdings nicht da.
Elisabeta Preda entschied, wie viele ihrer Nachbarn, die unbefugte Nutzung ihres Grundstücks nicht länger zu dulden. Sie schnitt die Kabel an mehreren Stellen ab, entfernte die Fähnchen und Rohre und drohte den Arbeitern mehrmals mit der Mistgabel.
Eines Sonntags nach dem Gottesdienst erzählte dann der orthodoxe Priester den Menschen im Dorf, was er auf seiner Reise in die neunzig Kilometer südlich gelegene Stadt Bârlad erfahren konnte. Das Dorf Băceşti sei nämlich nicht der einzige Ort in der Umgebung, an dem Löcher und Kabel auftauchten. Es handele sich um ein groß angelegtes Bohrprojekt des US-amerikanischen Konzerns Chevron, der nach Schiefergas suche. Die neuartigen Bohrarbeiten seien aber sehr gefährlich, es bestehe Gefahr für das in der Gegend ohnehin knappe Grundwasser.
Die beunruhigenden Nachrichten, die der Priester von seinem Dekan in Bârlad erfahren hatte, bestätigten sich schnell und lösten in der ganzen Region eine Aufregung aus, mit der niemand gerechnet hatte. Der Dekan, Vater Vasile Lăiu, hatte bereits 2012 unabhängige Experten auf mehrere Sitzungen eingeladen, um die Dorfbewohner über die Vorgänge zu informieren. Nach mehreren Diskussionsrunden gründete Lăiu eine lokale Initiativgruppe aus Ingenieuren, Rechtsanwälten und Geistlichen, die ein Ende der illegalen Bohraktionen und Klarheit in der Sache forderten. Viele Menschen in den Dörfern, die sich mit dem gleichen Problem konfrontiert sahen, hörten den gebildeten Herrschaften aus der Stadt zu und schlossen sich der Initiative an.
Als sich die Landkreis- und Kommunalverwaltungen weiterhin weigerten, Akten öffentlich zu machen, riefen Laiu und seine Initiativgruppe zu Protesten auf. Kurz darauf stellte sich heraus, dass Chevron bereits seit 2011 die Lizenz für mögliche Aufschlussbohrungen im ganzen Nordosten Rumäniens besitzt, und das für die nächsten 30 Jahre. Andere rumänische und ausländische Öl- und Gasunternehmen, wie etwa der österreichische OMV, bekamen unter den früheren wirtschaftsliberalen Regierungen für andere rumänische Regionen ähnliche Lizenzen, die ursprünglich als geheim eingestuft wurden. Denn in Rumänien gibt es womöglich, tief unter dem Boden, interessante Erdgasvorkommen, die nur durch das Fracking, also durch hydraulisches Aufbrechen des Gesteins, gefördert werden können.
Die Regierung, allen voran der rechtsliberale und russlandkritische Staatspräsident Traian Băsescu, aber auch sein Erzrivale, Premierminister Victor Ponta, schwärmen von der baldigen energetischen Unabhängigkeit des Landes und haben deshalb sichergestellt, dass den Großunternehmen alle erforderlichen Genehmigungen erteilt werden. Es sei ein übergeordnetes Ziel der rumänischen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, die Abhängigkeit vom russischen Erdgas auf ein Minimum zu reduzieren, sagt Băsescu. »Wir wollen das Land definitiv nicht zum botanischen Garten Europas erklären. Wenn wir Ressourcen haben, werden wir sie auch fördern«, betont der Präsident immer wieder, der auch zu den Anhängern des höchst umstrittenen Goldbergbauprojekts in Roşia Mon­tană zählt.

Umweltaktivisten in Bukarest präsentierten dagegen Studien und Dokumente, die belegen, dass die Förderung des Schiefergases durch die Fracking-Methode eine erhebliche Gefahr für Natur und Mensch darstellt. So verbraucht eine einzige Bohranlage nach Chevrons eigenen Angaben rund 35 000 Liter Wasser am Tag. Die genaue Zusammensetzung der Flüssigkeit, mit der das Gestein aufgebrochen werden soll, bleibt bisher geheim, obwohl die darin enthaltenen Chemikalien jederzeit ins Grundwasser geraten könnten. Derweil lud Chevron Ministerialbeamte, Kreisratsvorsitzende und Bürgermeister auf eine Reise in die USA ein, damit sich die Entscheider von den Vorteilen des Fracking selbst überzeugen. Alle Kosten wurden vom Konzern übernommen.
In vier kleinen Dörfern des Landkreises Vaslui, darunter auch in Băceşti, haben die Bürgermeister bereits den ersten Aufschlussbohrungen zugestimmt. Nach den ersten Tests, die meistens ohne die Einwilligung der Grundstückbesitzer durchgeführt wurden, kaufte die Prospectiuni SA, Chevrons rumänisches Partnerunternehmen, einige Parzellen in diesen Kommunen. »Wir haben versucht, die Menschen zu überzeugen, auf keinen Fall das Land zu verkaufen. Im Großen und Ganzen waren wir erfolgreich, aber es gab eben auch Ausnahmen«, sagt der Priester Vasile Lăiu.
So kam es im Herbst 2013 in Pungeşti zu einer Auseinandersetzung zwischen Chevrons Sicherheitspersonal und den Dorfbewohnern. Als der Konzern mit seinen Baggern und LKWs vorpreschte, blockierten die Demonstranten, darunter auch viele orthodoxe Geistliche, die Straße. Nach einem kurzen Telefonat mit Premier Ponta schickte der Präfekt von Vaslui mehrere Einheiten der Gendarmerie, um den Zugang zu den Grundstücken des Unternehmens freizuräumen. Lăius Vorgesetzte in der Bukarester Synode rieten ihm davon ab, die Orthodoxe Kirche in die weltliche Angelegenheit zu verwickeln. Doch die Demonstranten gaben nicht auf.
Die ungewöhnlichen Bilder mit den Gendarmen, die Gewalt gegen Bauern und Priester anwenden, machten die Runde in den abendlichen Nachrichten und bewegten die Regierung dazu, einen Schritt zurück zu machen. Schließlich verkündete Chevron, dass die Bohrarbeiten in Pungeşti bis auf Weiteres eingestellt würden. »Die Sicherheit und Akzeptanz der Arbeiten muss erst gewährleistet werden«, teilte das Unternehmen mit. Seitdem verging kaum eine Woche, ohne dass die Initiativgruppe Veranstaltungen, Diskussionen oder Demos in Bukarest, Bârlad und den betroffenen Dörfern organisierte.

Doch dann kam die Krise in der Ukraine. Das Thema der Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen kochte wieder hoch, diesmal nicht nur in Rumänien, sondern europaweit. Und die rumänische Regierung nutzte die Gelegenheit, um alte Ängste wiederzuerwecken und die Debatte für geschlossen zu erklären. »Die einfachste Analyse zeigt, dass das Argument unsinnig ist«, empört sich der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu. »Schiefergas soll von Chevron gefördert und an uns zu den üblichen Marktpreisen verkauft werden. Rumänien bleibt also energetisch abhängig von einem Lieferanten, der jetzt nicht mehr Gazprom, sondern Chevron heißen wird. Das vermeintliche Problem wird durch den vorgeschlagenen Plan mitnichten gelöst, man schürt einfach nur alte antirussische Ressentiments.«
Hinzu kommt, dass sich die angebliche Abhängigkeit Rumäniens von dem Kreml-nahen Unternehmen eigentlich in Grenzen hält. Die Schließung vieler energieintensiver Industrieanlagen seit den neunziger Jahren hat den Gas- und Strombedarf stark reduziert. Heutzutage muss der Staat, anders als in Polen und in den baltischen Ländern, nur rund 20 Prozent des gesamten Verbrauchs durch Importe decken. Gleichzeitig boomten in den vergangenen Jahren die erneuerbaren Energien. Rumänien hat bereits heute seine mit der EU-Kommission vereinbarten Klimaziele für 2020 erreicht.
»Es dürfte ein bisschen mehr sein und wir sollten ambitioniert vorangehen«, glaubt Willy Schuster aus dem siebenbürgisch-sächsischen Dorf Moşna, zu Deutsch Meschen. Der Mann war einer der ersten Biobauern im Land und ist mittlerweile ein bekannter grüner Aktivist. »Meine Familie und ich wollen weiterhin Biogemüse anbauen. Doch dafür ist es jetzt erstmal nötig, Chevron-Kabel zu ernten«, scherzt er und meint damit, dass die Technik von Chevron, die ohne die Genehmigung der Eigentümer auf den Grundstücken verlegt wurde, einfach entfernt werden solle. »Viele Bauern sind jetzt verunsichert, weil das Vorgehen des Konzerns einerseits gesetzeswidrig ist, andererseits aber den Segen der Behörden hat. Wie geht man damit um, wenn der Staat illegale und rücksichtslose Aktionen eines Privatunternehmens toleriert?« fragt Schuster.
»Unser Widerstand war ein erster Sieg für unsere lokale Umweltbewegung, wir sind stolz darauf, weil wir gezeigt haben, dass es nicht nur die Studenten und jungen Akademiker in Bukarest sind, die sich Umweltschutz und eine andere Politik wünschen«, sagt Priester Lăiu und meint damit die andauernden Proteste gegen das Goldbergbauprojekt in Roşia Montană. Bis vor Kurzem war Naturschutz kaum ein Thema in Rumänien. Wie in fast allen anderen osteuropäischen Ländern gelang den rumänischen Grünen noch nie der Einzug ins Parlament oder die Entsendung von Europaabgeordneten nach Brüssel. Zu sehr fehlt der Bewegung eine Tradition, wie etwa in Deutschland. Zu groß und wichtig für die Wählerschaft waren nach der Wende andere Themen, wie der EU-Beitritt oder die Armut weiter Teile der Bevölkerung. Es galt, Wirtschaftswachstum mit allen möglichen Mitteln zu erzielen, wenn man sich an die westeuropäischen Lebensstandards annähern wollte.
Auch die Kirchenvertreter waren, anders als in der ehemaligen DDR, kaum an der Umwelt inte­ressiert. Bis heute betrachten die meisten orthodoxen Geistlichen das Thema als zu weltlich, ihrer spirituellen Tradition fremd, oder als ein Importgut aus dem säkularisierten Westen, wo die Kirchen leer sind und sich wie NGOs verhalten. Als 2013 Zehntausende Menschen in den Straßen von Bukarest gegen das umstrittene Goldbergbauprojekt protestierten, fiel die Reaktion der Orthodoxen Kirche eher schwach aus. Die überwiegende Mehrheit der Demonstranten gehörte der jungen, dynamischen und linksliberal orientierten Mittelschicht an, die keinen Bezug zur Orthodoxie hat oder ihr kritisch gegenübersteht. Insofern ist die aktive Beteiligung der Priester an der Umweltbewegung ein Novum in Rumänien.
Vater Lăiu beschreibt seine Initiative zunächst als einfaches Engagement für den Erhalt der Lebensgrundlagen seiner Gemeinde. Außerdem als Kritik an einer Staatsmacht, die immer weiter in den »Korruptionssumpf« sinke und immer öfter die Bedürfnisse der Menschen ignoriere. Das sei alles andere als kompatibel mit den christlichen Werten. Und irgendwann reiche es eben auch weniger aufgeklärten Leuten aus der Provinz. »Wir haben gezeigt, dass sich auch kleinere, einfache Menschen in den Dörfern sensibilisieren und mobilisieren lassen«, sagt Lăiu. »Jetzt müssen wir eben unsere Dörfer verteidigen. Der Kampf geht weiter.«