Linke Links gelinkt

Das Internet-Gesetz tritt in Kraft. Ob es etwas ändern wird, ist noch völlig offen
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Bonn räkelt sich im Sommerloch, die Gesetzgeber sind im Urlaub, und dennoch treten während dessen einige ihrer neuen Gesetze in Kraft. RadfahrerInnen dürfen beispielsweise ab 1. September in einigen Einbahnstraßen gegen die Pfeilrichtung fahren. Das tun sie natürlich jetzt auch schon, es ändert sich nur die Rechtslage. Ähnlich ist es mit dem Informations- und Kommunikationsdienstgesetz, das bereits am 1. August in Kraft tritt. Mit ihm sollen unter anderem die Verantwortlichkeiten im Internet geregelt werden. Nach dem neuen Gesetz sollen Diensteanbieter grundsätzlich nur für eigene Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, haftbar gemacht werden können, nicht jedoch für fremde Inhalte, zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln. Wenn Provider allerdings von rechtswidrigen Inhalten fremder Diensteanbieter Kenntnis haben, sollen sie zur Sperrung der Nutzungsmöglichkeiten gezwungen werden können, wenn dies "technisch möglich und zumutbar" ist.

Doch wie die RadfahrerInnen schon immer munter falschrum durch die Einbahnstraßen radeln, so geht die Bundesanwaltschaft (BAW) auch schon vor Inkraftreten des sogenannten "Multimediagesetzes" gegen Internet-User und -Provider vor. Zwar scheiterte die Anklage im Prozeß gegen die ehemalige PDS-Vizevorsitzende Angela Marquardt, die von dem Vorwurf freigesprochen wurde, über einen Link auf ihrer Homepage den Zugang zu inkriminierten Texten der Autonomen-Zeitschrift radikal vermittelt zu haben. Dennoch hält die BAW das Ermittlungsverfahren vom September 1996 gegegen fünf deutsche Provider aufrecht. Ihnen wird genauso wie Angela Marquardt "Beihilfe zum Werben für eine terroristische Vereinigung" und "Beihilfe zum Anleiten von Straftaten" vorgeworfen. Auch hier geht es um die radikal.

Der Fall Marquardt sei mit dem Fall der fünf Provider - vermutlich handelt es sich um die großen deutschen Online-Dienste - jedoch nicht vergleichbar, erklärte BAW-Spercherin Frauke Scheuten gegenüber Jungle World. Marquardt sei "nicht aus rechtlichen, sondern aus tatsächlichen Gründen" freigesprochen worden. Das Berliner Amtsgericht hatte am 30. Juni festgestellt, daß die umstrittenen radikal-Texte erst zu einem Zeitpunkt auf den niederländischen Server xs4all eingespeist wurden, als Marquardts Link schon bestand. Eine Pflicht, die angelinkten fremden Internetseiten regelmäßig zu überprüfen, habe man als User nicht. Damit wurde zwar eine Grundsatzentscheidung zur strafrechtlichen Relevanz und zur rechtlichen Definition von Links umgangen, eine von der Staatsanwaltschaft behauptete Kontrollpflicht für User, die einen Link legen, wurde hingegen vom Gericht eindeutig zurückgewiesen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat übrigens inzwischen Berufung eingelegt. Sie will den Fall nun vor dem Landgericht behandelt sehen.

Die Einschätzung, daß der Marquardt-Prozeß trotz des identischen Tatvorwurfs nicht mit den laufenden Verfahren gegen die Provider vergleichbar ist, vertritt auch der renommierte Rechtsanwalt und Internet-Experte Michael Schneider. Er ist Anwalt des deutschen Providerzusammenschlusses Internet Content Task Force (ICTF) - sozusagen der Dachverband der Internetanbieter. "Ein Hyperlink ist nichts als ein Hinweis", erläutert Schneider, während ein Provider in der Tat "den Zugang zu Inhalten vermittelt". Dennoch ist Schneider skeptisch, was die Erfolgsaussichten der BAW angeht. Schließlich kann die radikal über ungezählte Wege abgerufen werden. Eine vollständige Isolierung ist technisch überhaupt nicht möglich.

Als im September 1996 die BAW die ICTF aufforderte, ihre Mitgliederverbände anzuweisen, die Netzadresse von Angela Marquardt und zwei Netzadressen, die direkt zur radikal führen, zu sperren, empfahl Schneider den ICTF-Providern, Marquardts Homepage nicht zu sperren, die beiden anderen nur vorübergehend für 28 Tage. Während dieser kurzzeitigen Sperrung nahm der niederländische Server xs4all die radikal aus dem Netz, womit für ICTF kein Grund mehr bestand, die beiden Netzadressen weiter zu sperren. Seitdem ist xs4all wieder zugänglich und auch die radikal ist längst wieder vom Server in Amsterdam abrufbar. Dieser spezielle zeitliche Ablauf ist der Grund, warum die ICTF-Provider von den Ermittlungen der BAW ausgenommen sind. Die BAW begründet ihre Ermittlungen ganz im Sinne des neuen Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes damit, daß Anbieter sich dann strafbar machen, wenn sie von rechtswidrigen Inhalten wissen und dennoch nicht sperren. Weil aber die ICTF-Mitglieder kurzzeitig sperrten, sind sie der BAW-Forderung nachgekommen. Darüber, daß die radikal längst wieder auf xs4all lagert, ist der Dachverband und sind auch die einzelnen Provider nicht aufgeklärt worden. Solange man keine neuen Erkenntnisse habe, brauche man nicht tätig zu werden, argumentiert Schneider.

Das neue Internetgesetz wird die Situation für die Ermittler übrigens nicht erleichtern. "Nach dem 1. August wird es die BAW schwerer haben, gegen die radikal vorzugehen", erklärte Schneider. Ob die Einschränkung, daß Provider, wenn sie Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten bekommen, sperren müssen, wirklich eine Relativierung des deutlich formulierten Absatzes ist, der bestätigt, daß Diensteanbieter für fremde Inhalte nicht verantwortlich sind, bezweifelte Schneider im Gespräch mit Jungle World. Das werden wohl erst Musterprozesse zeigen. Um in Zukunft den Verfolgungsdrang der BAW gegen die Internetgemeinde etwas zu bremsen, hat Rechtsanwalt Schneider im Namen mehrerer ICTF-Provider beim Oberlandesgericht Karlsruhe Beschwerde gegen das Vorgehen der BAW eingelegt.