Rundreisen zu Wucherpreisen

Gericht untersagte Berliner Gutschein-Regelung für Flüchtlinge - Senatorin will sie ausweiten

Abschreckung pur, auch wenn es mehr Geld kostet, lautet die Devise von Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU). Man müsse, so Hübner, den "Berlin-Tourismus" von Flüchtlingen unterbinden, die dem Land Brandenburg zugeteilt sind und endlich beim Umgang mit Flüchtlingen mit dem Nachbarland gleichziehen. Vor dem Inkrafttreten des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes am 1. Juni diesen Jahres hatte der Berliner Senat sich eigens noch um die Verschärfung des Gesetzes bemüht. Auf Initiative Berlins gilt das Gesetz jetzt für alle Flüchtlinge und Asylbewerber über einen Zeitraum von 36 Monaten ab dem 1. 6. 1997 - unabhängig davon, wie lange sie schon vor diesem Zeitpunkt in Deutschland gelebt haben.

Für rund 2 500 Asylsuchende, die von der Zentralen Leistungsstelle für Asylbewerber der Bundeshauptstadt betreut werden, bedeutet das, daß sie den um 20 Prozent verminderten Sozialhilfesatz nun nicht mehr bar erhalten, sondern in Form von Gutscheinen für sogenannte Sachleistungen. Die Regelsätze wurden gesenkt auf 360 Mark monatlich für Haushaltsvorstände, 310 Mark für Kinder zwischen sieben und achtzehn Jahren und 220 Mark für Kinder unter sieben Jahren. An Bargeld erhalten Erwachsene zusätzlich ein monatliches "Taschengeld" von 80 Mark, Kinder bekommen 40 Mark. Bisher hatte diese Regelung nur im ersten Jahr des Asylverfahrens gegolten.

Die "Sachleistungsgutscheine" können lediglich in zwei Sammelmagazinen in Berlin eingelöst werden - eines im Bezirk Kreuzberg, eines im Bezirk Reinickendorf, beide im Westteil der Stadt. Für viele Betroffene bedeutet das einen Anfahrtsweg von über einer Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach Beschwerden bietet das Landesamt für zentrale soziale Aufgaben (Lasoz) jetzt "Umzugsmöglichkeiten" in Heime, die näher an den Sammelmagazinen liegen. In den Läden, die kaum größer als ein normales Schulklassenzimmer sind, ist das Warenangebot überteuert: Grundnahrungsmittel sind rund 20 Prozent teurer als in Discountläden, für jede Packung Tee oder Kaffee sollen die Flüchtlinge zwei bis drei Mark mehr bezahlen. Außerdem beschweren sich die Flüchtlinge, daß die Preisgestaltung "völlig willkürlich" sei. So hat der Preis für 100 Babywindeln anfangs 23 Mark betragen, dann stieg er auf 26 Mark, momentan sind 51 Mark zu berappen. Alkohol, Tabakwaren und Schulmaterial gibt es in den Sammelmagazinen grundsätzlich nicht. Milch und frisches Brot sind oft schon mittags ausverkauft.

Von den Sammelmagazinen profitieren die Handelskette Spar GmbH und die Hotel- und Heimbetreiberfirma Sorat GmbH. Spar ist der Alleinlieferant für die Magazine, in denen täglich rund 15 000 Mark umgesetzt werden, Sorat läßt sich den Betrieb der Läden mit 400 000 Mark jährlich vom Berliner Senat fördern. Sorat-Inhaber Helmuth Penz betreibt allein in Berlin rund 20 Flüchtlings- Obdachlosen- und Aussiedlerheime sowie fünf Hotels - mit Hilfe seines nominellen Angestellten Dietrich Garski, der selbst keine Geschäfte mehr führen darf, seit er 1991 eine Staatsbürgschaft von 91 Millionen Mark veruntreute.

Beschwerden der Flüchtlinge über die Sammelmagazine weist das Lasoz kategorisch zurück. "Auf die Bereitstellung von Zutaten für die Zubereitung typisch arabischer Gerichte besteht kein Rechtsanspruch", "sich ergebende Preisabweichungen (nach oben bzw. nach unten) im Vergleich zu anderen Großhandelsketten entsprechen dem Prinzip der freien Marktwirtschaft", "dem Antragsteller ist zuzumuten, sein Einkaufsverhalten den verfügbaren Mitteln anzupassen", lauten die Standardargumente der Behörde.

Inzwischen hat die 8. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts genau diese Argumentation scharf gerügt: "Selbst wenn sich der (unsubstantiierte) Vortrag des Landesamtes für zentrale soziale Aufgaben, dort würden auch Produkte preiswerter angeboten als in anderen Geschäften, als wahr herausstellen sollte (wogegen freilich die Monopolstellung der ÝSachleistungsausgabestelleÜ sowie der Umstand spricht, daß das vom Antragsgegner zitierte ÝPrinzip der freien MarktwirtschaftÜ vorliegend gerade aufgehoben wird), hätte der ausgegebene Kostenübernahmeschein nicht dieselbe Kaufkraft wie Bargeld oder wie in verschiedenen Geschäften einsetzbare Kostenübernahmescheine."

Mit dieser Ende Juni verkündeten Entscheidung wies das Verwaltungsgericht Lasoz an, einer 13köpfigen libanesischen Familie die Sozialhilfe entweder als Bargeld auszuzahlen oder in Form von Gutscheinen, die in mehreren Berliner Geschäften einzulösen wären. Die Behörde hat dagegen Beschwerde eingelegt. Nach Angaben des Berliner Flüchtlingsrats ist frühestens Ende August mit einer Entscheidung zu rechnen; darüber hinaus seien weitere Beschwerdeverfahren vor unterschiedlichen Kammern des Verwaltungsgerichts anhängig. Doch auch die Kritik der Gerichte kann den zunehmend härteren Kurs der Berliner Ausländerpolitik vorerst nicht beeinflussen. Sozialsenatorin Hübner hat angekündigt, die illegale Regelung künftig auch auf alle rund 32 000 Asylbewerber in Berlin, auf bosnische Kriegsflüchtlinge und Flüchtlinge mit Duldung auszudehnen. Diese Gruppen werden von den einzelnen Bezirken betreut, die wie bisher Bargeld auszahlen. Der Senat hat den Bezirken nun eine Frist eingeräumt, binnen derer sie auf Sachleistungen umstellen sollen - ohne nähere Erläuterungen zur logistischen Umsetzung dieses Ansinnens.

Die Sozialstadträtinnen in den Bezirken Kreuzberg und Wilmersdorf können sich bei ihrer Weigerung, das Sachleistungsprinzip umzusetzen, sogar auf den geänderten Gesetzestext berufen, der die Entscheidung zwischen Bargeldzahlungen und Sachleistungen ausdrücklich zur Ermessenssache der ausführenden Behörde erklärt. In Sachsen-Anhalt wurde daraufhin die Bargeldzahlung wieder vollständig eingeführt, während in Brandenburg jetzt auch diejenigen Flüchtlinge Gutscheine für Supermärkte zugeteilt bekommen, die nicht in Sammelwohnheimen leben. Bisher hatten sie Bargeld erhalten.