Culicida - die Mücken kommen!

Gefährliche Orte II. Jungle World testet für Sie die gefährlichen Orte der Hauptstadt: Sie sind überall!

Sogar im Fernsehen wurden sie gezeigt, die Hubschrauber, die Eiswürfel gegen die Mückenplage abwerfen. Im Oderbruch wurde Mückenalarm gegeben, die schnellen Einsatztruppen der Bundeswehr verteilen statt Sandsäcken inzwischen chemischen Insektenschutz. Die kleinen Zweiflügler, die durch eine strategisch geschickte Abfolge von Regen und Hitze in Massen heranwachsen, sind dabei scheinbar doch ganz harmlos. Ein kleiner Stich, ein bißchen Jucken. Bloß nicht kratzen! "Dadurch wird die Schwellung nur vergrößert und der Juckreiz durch einen Schmerzreiz ausgetauscht." Dr. Renate Standke von der Cottbuser Hautklinik rät zur Zwiebel und macht es sich damit etwas zu einfach.

"Das Problem mit den Mückenschwärmen wird noch zunehmen", warnt Siegmund Zempel vom Brandenburger Landesumweltamt. Sein Chef, Matthias Freude, sieht das ähnlich: "Es gibt in diesem Jahr in der Tat mehr Mücken, weil viele stagnierende Wasserflächen zurückgeblieben sind." Das sei aber nicht wirklich schlimm, denn "der Oderbewohner kennt sich damit aus". Und die Berliner?

Gut 70 Kilometer sind es von der Oder bis in die Hauptstadt. Luftlinie! Und die Brandenburger Ministerien kümmern sich nur um die direkten Oderanrainer. Kein Wunder, daß das mit der Länderfusion nicht geklappt hat. Neben der latenten Seuchengefahr durch Koliformbakterien, die in den stehenden Gewässern im Oderbruch fast ebensogut gedeihen wie die Mückenlarven, drohen als Folge der Überschwemmung noch andere Risiken: Tausendfach wurden bereits Impfungen gegen Typhus und Hepatitis A vorgenommen. Das ist ja wie vor einer Reise in die Tropen. Was bei Überschwemmungen an Rhein und Mosel nicht so gravierend ist, wird hier zum Problem. Gernot Rasch vom Robert-Koch-Institut weiß, was wir schon immer wußten: "Im Osten ist die epidemiologische Lage anders." Der Grund: "Die Oder ist viel stärker mit Bakterien und Viren belastet als die Flüsse im Westen." Die einzige in Europa bekannte Malariamücke heißt Anopheles maculipennis und wurde bisher noch nicht gesichtet.

Die Nachrichtenagentur dpa zeichnet trozdem schon jetzt ein dramatisches Bild: "In der Luft schwirren riesige Mückenschwärme mit nervendem Summen." Wenn erst die Überschwemmungshelfer aus dem Katastrophengebiet abgezogen oder völlig ausgesogen sind, wenn der Wind günstig steht und die Sonne weiter scheint, kommen die Odermücken auch nach Berlin. Dabei hat die Mückenplage hier schon längst begonnen. Sie sind zahlreicher und aggressiver als in den letzten Sommern. Und sie sind überall. Wer sich in der Abenddämmerung nur mit Autan schützt, stinkt zwar heftig, wird aber trotzdem gestochen. Die Stechmücken, Culicidae, lauern in Straßencafés, im Park, im ruhigen Hinterhof, beim Spaziergang am Landwehrkanal und kommen sogar bis ins Schlafzimmer. Das wichtigste Informationsmedium der Hauptstadt, die Boulevardzeitung B.Z., versucht derweil, die Culicidae-Offensive mit einem Ablenkungsmanöver zu vertuschen und täuscht einen Angriff anderer Insekten vor: "Es gibt eine richtige Zecken-Invasion." Das Blatt hat die Tierchen sogar schon am Kudamm gesichtet. Und die Mücken?

Zur Familie der Nematocera (wegen ihrer fadenartigen Beine wurde die Mücken nach dem griechischen Wort "nema", der Faden, benannt) gehören rund 35 000 Arten, die zwar in sehr unterschiedlichen Formen auftreten, doch sind sich die meisten von ihnen darin einig, daß man sich von Blut prima ernähren kann. Zumindest die Weibchen, denen in Brehms Tierleben ein "wohlausgebildeter Stechapparat" attestiert wird. Die Männchen begnügen sich als Veganer dagegen mit Pflanzensäften. Aber auch die nicht-stechenden Arten können unangenehm werden. Die Larven der eigentlich harmlosen Erdschnake fraßen 1945/46 die Wurzeln in den Haferfeldern Norddeutschlands auf und vernichteten damit bedeutende landwirtschaftliche Flächen. Und das nach dem harten Winter.

Kein Wunder also, daß die Gemeine Stechmücke, Culex pipiens, schon als biblische Plage Erwähnung findet: "Aaron streckte seine Hand aus und schlug mit seinem Stab auf die Erde in den Staub. Da wurden Stechmücken daraus, die sich auf Mensch und Vieh setzten. In ganz Ägypten wurden aus dem Staub auf der Erde Stechmücken." (Exodus 8.13) Kurze Zeit später konnten Moses, Aaron und ihre Freunde ausreisen.

Zwar will auch die Berliner CDU, daß möglichst viele Menschen aus der Stadt ausreisen und sorgt sogar dafür, daß ihnen Flugtickets bereitgestellt werden, die Mücken will sie aber dennoch nicht ertragen. Schon vor Monaten tönte CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowski vorausschauend: "Es ist nun einmal so, daß dort wo Müll ist, Ratten sind, und dort, wo Hitze auf Regen folgt, Mücken sind. Das muß in der Stadt beseitigt werden." Es fragt sich nur, wie.

Verschiedene Methoden stehen zur Auswahl. Im bayrischen Städtchen Übersee versuchte man es per Hubschraubereinsatz. Nachdem im angrenzenden Chiemsee 500 Mückenlarven pro Liter Wasser festgestellt wurden, begann man dort, aus der Luft ein Gemisch aus Quartzsand und einer Bakterienart abzuwerfen, welche die Larven ruckzuck killt. Diese Bti-Bakterien entwickeln in den Larven Eiweißkristalle, die beim Abbau einen tödlichen Wirkstoff bilden. Klingt gut, ist aber gemein - der bayrische BUND protestierte. Umweltschützerin Friederike Gloßner: "Wir lehnen den Bti-Einsatz ab, weil Schnaken ein Bestandteil des ...kosystems sind." CSU-Bürgermeister Peter Ströger ist da etwas gelassener: "Ich würde Bti kiloweise essen, wenn es nur schmecken würde." Angeblich soll das Zeug auch dick machen.

Im ebenfalls von Überschwemmung und Mückenplage heimgesuchten Wroclaw/Breslau versucht man vom Boden aus, mit den kleinen Plagegeistern fertigzuwerden. Die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtete von Rauchaggregaten, die den Culicidae die Atemluft abschneiden sollen. Das ist zwar auch rabiat, die Erfolgsaussichten sind jedoch geringer. "Vielleicht gelingt es uns, die Population zu halbieren", hofft der Sanitätschef des lokalen Hochwasserkomitees, Andrzej Puzio.

"Alles Sensibelchen", schimpft ein Kollege, "wir sollten uns doch lieber über die kleinen Freunde freuen." Er rät dazu, die Spinnenweben nicht mehr aus den Ecken zu entfernen. Das geht jedoch dem Ordnungssinn von Berlins Innensenator Jörg Schönbohm gegen den Strich. Mit dem Instrument des ASOG könnte man zumindest die als gefährlich eingestuften Orte sofort räumen lassen. Die so festgenommenen Mücken könnte man dann problemlos am Stadtrand wieder aussetzen.

Unterstützung erhalten die "Überzeugungstäter" (Ratte im Spiegel) Schönbohm und Landowski vom Chef der Berliner Polizeigewerkschaft, Eberhard Schönberg. Gegenüber der B.Z. zog er Bilanz: "Wir können uns nicht länger an der hohen Aufklärungsquote berauschen. Müssen die totale Verwahrlosung der Gesellschaft stoppen." Stop. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast ist zwar auch für die Parole "Mehr Grün auf die Straße", schränkt aber gegenüber der taz ein, "verstärkte Polizeipräsenz erst dann, wenn alle anderen Lösungen nicht mehr greifen".

Oder man greift eben einfach auf die Eiswürfelmethode zurück.

In Jungle World, Nr. 31 testeten wir die Pro-Sieben-Krimi-Serie "Die Straßen von Berlin"