Der Kolporteur

In Berlin gibt es die besten Prozesse. Gegen alte Stasis und junge Mafiosi. Da haben die Hauptstadtreporter etwas zu tun. Immerhin. Denn sehr ungern sind sie in die Metropole an der Spree gezogen. Abkommandiert habe man sie, sagen die Abgesandten der Süddeutschen und der vereinigten Rundschauen. Das allerneueste Lieblingsthema: 16 Angeklagte, 32 Anwälte und neun Morde. Alles wegen des "Barmherzigen". Wenn es nach den Journalisten ginge, soll Duy Bao der böseste Killer Berlins sein. Er war der Chef der "Ngoc-Thien"-Bande, die sich um den illegalen Zigarettenhandel kümmerte. Gnadenlos. Wer nicht mitmachte, mußte sterben. Wow!

Die Morgenpost beschwert sich, daß nur 14 Wachtmeister die 16 Verbrecher im Gerichtssaal überwachen. Das Bild in Bild prägt die Berichterstattung: Der unbarmherzige Boß wird in Begleitung zweier Robocops der Presse vorgeführt. Obwohl die Weltraumbullen furchteinflößend aussehen, haben die Zeitungsleser seitdem vor dem mickrigen Gangster im Jogginganzug Angst. Wahrscheinlich nicht nur vor Duy Bao. Die noch frei herumlaufenden Vietnamesen gelten seit der Verhaftung des Zigarettenhändlers auch als Tötungsmaschinen. Zumindest als potentielle. Wenn der Spiegel demnächst nicht einen Vietnamesenmafia-Titel produziert, soll man mich einen Kolporteur nennen.

Am ersten Verhandlungstag bereits die erste Showeinlage für die schaulustigen Reporter: Die Freundin des Mördermafiamannes, Thu Lien, die "unter 18 Jahre ist" - so genau weiß man das bei den Asiaten ja nicht - kotzte im Gerichtssaal und brach zusammen. Sie weiß eben zu viel. Daß Thu Lien heute mit der Polizei kooperiere, sei ein Trick, um der gerechten Strafe zu entkommen: Widerliches Pack, widerliches Pack, widerliches Pack, diese Vietnamesenmenschen. So lautet die Parole in den Gazetten. "Sollen die sich doch abschlachten", erklärt mir mein ICE-Nachbar. Im Nichtraucherabteil ist Duy Bao besonders verhaßt.

Die Soko "Vietnam" ist mittlerweile aufgelöst worden. "Die Drahtzieher sind aus dem Verkehr gezogen worden", sagt der Polizeipräsident. "Zum Teufel, die sollen weiter ermitteln, die verhökern doch immer noch unverzollte Fluppen", meckert der ICE-Nachbar. 2,3 Millionen Zigaretten sind im vergangenen Monat beschlagnahmt worden. Das ist verhältnismäßig wenig. Das Oder-Hochwasser hat die Lieferwege blockiert. Die BZ vermutet große Lagerhallen unterhalb Berlins. Ein Riesengeschäft. Schluß mit dem Schwarzmarkttreiben, brüllen die Schwarzbraunen aller Fraktionen, eine Milliarde Steuerverlust, Diebstahl, Mord, heraus mit den Halunken aus unserem Land, grrr. Und doch sind alle von den Kopfschüssen beeindruckt. "Perfektes Handwerk", schwärmt der ICE-Nachbar.

Weil während der Verhandlung nicht fotografiert werden darf, sind die Gerichtszeichner aktiv. Ihre Bilder zeigen stets eine Gruppe hämisch grinsender Schlitzaugen. Das Urteil ist bereits gefällt.