Firma ohne Raum

Für die Aktionäre der IG Farben wird es 1997 schwer, einen Versammlungsort für ihre Hauptversammlung zu finden. Erstmals hat ein Gastronomiekonzern die Erben des Nazi-Trusts ausgeladen
Die Pressemitteilung liest sich lapidar: "Die IG Farbenindustrie AG i. A. hat die für den 22. August 1997 einberufene Hauptversammlung abgesagt. Ein neuer Termin wird bekanntgegeben, sobald eine geeignete Tagungsstätte in Frankfurt am Main gefunden ist." Das Papier stammt vom 11. August 1997. Die Vorstandsverantwortlichen des Konzerns mit der grausigen Geschichte sind seitdem - jedenfalls für die Presse - nicht zu sprechen. Eine hilflos wirkende Frauenstimme mit bayerischem Akzent muß unter der Frankfurter Telefonnummer 56 80 01 beschwichtigen: "Die Herren Reese und Meyer geben vorerst keine Interviews."

Die beiden Herren - erst seit einem knappen Jahr im neuen Amt - haben allen Grund, zurückhaltend zu sein. Ein wenig ärgerlich ist das schon für eine Aktiengesellschaft, wenn eine bereits einberufene Aktionärsversammlung, zu deren Abhaltung man laut Gesetz verpflichtet ist, kurzfristig abgesagt werden muß. Und teuer kommt so etwas auch. Das muß erst einmal verdaut werden. Denn Grund für die Ausladung der Aktionäre und angemeldeten Pressevertreter sind keine konzerninternen Widersprüche oder gar wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern daßoffensichtlich niemand die Firma und deren Aktienbesitzer bei sich tagen lassen will, ganz gleich, was sie zu zahlen bereit sind.

Seit gut zehn Jahren machen die Hauptversammlungen der IG-Liquis (Abkürzung für Liquidationsgesellschaft) Schlagzeilen. Nicht etwa, weil die ...ffentlichkeit sich für die fragwürdige Existenz dieser kleinen Nachfolgefirma des Nazi-Multis sonderlich interessierte - keine oder nur unzureichende "Entschädigungen" an Zwangsarbeiter oder KZ-Überlebende gezahlt zu haben, ist hierzulande nicht gerade ein außergewöhnliches Merkmal für einen Konzern. Grund für die Aufmerksamkeit der Fernsehteams und schreibenden Journalisten waren die Proteste, die sich auf IG Farben i.A. konzentrierten. Und daß sowohl deren Vorstandsmitglieder als auch der gemeine Aktionär sich immer wieder zu dummdreisten Bemerkungen oder Stellungnahmen bereiterklärten.

Da wollte der ehemalige Konzernsprecher Ernst-Joachim Bartels noch 1994 die Europäische Menschenrechtskommission anrufen, um seinem Verein auf die Sprünge zu helfen; ein anderer forderte gar mal die Ländereien bei Auschwitz zurück, wo IG Farben dereinst ein eigens KZ und die große BUNA-Baustelle besaß. Und vor den Türen der merkwürdigen Aktionärsversammlungen in Frankfurt standen die unentwegt Mahnenden. "An diesen Aktien klebt Blut!" wurde gerufen, und die Besitzer der IG-Aktien mußten sich ihren Weg durch ein Spalier von Protestlern bahnen, die die sofortige Auflösung des Konzerns und die Übergabe des Vermögens an die NS-Opfer forderten.

Mit den Jahren sorgte das sommerliche Spektakel in Frankfurt am Main auch immer wieder für Schlagzeilen in der internationalen Presse. Aktionäre und begleitende Gattinnen jammerten im Brustton der Überzeugung in die Mikrofone, daß sie sich verfolgt fühlten vom "undemokratischen" Protestgeschrei. Vom historischen Hintergrund ihrer Wertpapiere wollten sie so recht nichts gewußt haben, bis der deutsche Einheitstaumel ihnen in Erinnerung rief, daß es da ja noch allerlei Grundstücke und Erbmasse auf dem Boden der ehemaligen DDR gab. Die Liquis-Aktien schnellten hoch, man träumte von neuen nachträglichen Kriegsgewinnen, wählte flugs den Kohlschen Einheits-Unterhändler Günther Krause in den Aufsichtsrat und verschob die finanziellen Beteiligungen ins Grundstückgeschäft. Derweil forderten IG Farben-Überlebende - draußen vor der Tür, aber auch in den Versammlungen selbst - mit beinahe grenzenloser Geduld, daß der Konzern sich doch endlich zu liquidieren habe, wie es bereits in den fünfziger Jahren infolge des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses 1947 beschlossen worden war.

Kopfschüttelnd nahmen Journalisten aus New York und Paris Mitte der neunziger Jahre zur Kenntnis, daß die bunten Bilder, die es traditionsgemäß meist vor dem Frankfurter Steigenberger Hotel zu schießen gab, mehr waren als "Anti-Nazi-Action made in Germany".

Meist lief der Betrieb einigermaßen reibungslos: Polizeitruppen sperrten das Hotel ab, auf den umliegenden Dächern wurden Kameras installiert, Einlaß nur nach gründlicher Taschenkontrolle, heftige Redebeiträge der kritischen Aktionäre, zu denen auch NS-Opfer zählten, im Innern der abgeschotteten Tagungsräume. Spätestens beim Abschlußbüffet hatte alles wieder seine Ordnung. Und die Protestierenden drinnen und draußen, mal hundert, mal zweihundert, hatten sich wieder verzogen. Die Hotelmanager zuckten mit den Schultern, ebenso die Einsatzleiter der Polizei - nein, eigentlich liebte sie keiner, die Herren und Damen IG-Aktionäre, aber Geschäft ist Geschäft und Dienst ist Dienst.

So ähnlich dachten wohl bis vor kurzem auch die Entscheidungsträger der Frankfurter Gewerkschaften und Parteien, die sich bis auf wenige Ausnahmen zum Thema IG Farben bedeckt hielten. Zwar wollte man mit den Erbschleichern der NS-Firma nichts direkt zu tun haben, aber auch nicht mit den Protestlern, die sich immer deutlicher dazu bekannten, eine ordentlich angemeldete Aktionärsversammlung stören zu wollen. Unter jenen gab es seit Jahren durchaus auch Gewerkschaftsmitglieder. Die Initiatoren der Proteste waren jedoch bei NS-Überlebenden-Verbänden zu finden und nicht im parteipolitischen oder gewerkschaftlichen Spektrum.

1997 hat das Bündnis gegen IG Farben einen Einbruch in die Haltung der politisch relevanten Frankfurter Szene verzeichnen können, deren Vertreter sich bislang eher vornehm zurückgehalten hatten. Von CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth bis hin zu einzelnen Gewerkschaftsverbänden sah man sich nun auf Anfrage genötigt, Stellung zu nehmen. Und siehe da: Das Arabella Congress Hotel, diesmal zum IG-Versammlungsort auserkoren, zog seinen Vertrag für die Beherbergung der IG-Hauptversammlung zurück. Man munkelt, daß nicht nur einige Firmen, sondern vor allem auch die IG Metall und die Postgewerkschaft der Hotelleitung nahegelegt haben sollen, auf die ungeliebten, aber zahlenden Gäste zu pfeifen, da man sich sonst überlegen müsse, künftig auf weitere Geschäftsverbindungen zu verzichten.

Die IG Farben-Aktionäre sind jetzt auf der Suche nach einer Herberge. Zitat aus dem Vorstandspapier: "Da IG Farben nicht mehr davon ausgeht, eine Hotel-Tagungsstätte mit den erforderlichen Kapazitäten in Frankfurt am Main finden zu können und öffentliche Standorte nicht zur Verfügung gestellt werden, wird ein leerstehendes und gut zu schützendes Gewerbeobjekt in Frankfurt oder einem anderen Börsenplatz gesucht." Die Protestler haben angekündigt, auch gegen die nun irgendwann im Herbst geplante Aktionärsversammlung zu mobilisieren. Wobei ihnen schon klar ist: Einmal mindestens müssen sich die Herren und Damen mit den Nazi-Aktien noch treffen, um die Auflösung ihres Vereins zu beschließen. Dafür jedoch muß der öffentliche Druck noch viel größer werden, als dies der nun endlich zaghaft begonnene Entscheidungsprozeß in einigen Frankfurter Gewerkschafts- und Vorstandsetagen hergibt. Wie mit IG Farben umgegangen wird, ist ein Symbol für den politischen Rest-Anstand (oder eben das Gegenteil) nicht nur in Frankfurt am Main geworden. Und dann wäre noch die Frage offen, was eigentlich mit Bayer, BASF und Hoechst ist. Forderungen nach Entschädigungen für IG-Farben-Opfer sind auch hier gestellt worden.