Pulp Fiction

Zum 50. Mal: Die Jubelausgabe des Literarischen Quartetts

Mag es nun die hundertste, die fünfzigste oder fünfundsiebzigste Sendung gewesen sein: Worum es sich beim Literarischen Quartett handelt, war nie so recht klar. Sparen wir uns die höhnische Beschreibung der kleingruppendy-namischen Prozesse zwischen Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek, Marcel Reich-Ranicki und dem jeweiligen schattenhaften Gast. Darüber ist reichlich geschrieben worden.

Statt dessen zwei Fragen von ungefähr dreiundsiebzig möglichen: Ist das Quartett der so erfolgreiche wie irgendwie typisch-deutsch gequält-lockere Versuch, Literatur unters Fernsehvolk zu jubeln, ein Erfolg, von dem in erster Linie drei bis sieben Verlage profitieren? Ein Angebot an Masochisten mit Abitur, die sich zurücksehnen nach den tiefschürfenden Stunden im Deutsch-Leistungskurs?

Ja doch, zuweilen ist das Quartett unterhaltend, gehört insgesamt aber eher an den äußersten Rand der eigenen Konsumenten-Existenz. Nur wenn man zufällig hineinzappt und auf keinem anderen Sender "Die Kampfmaschine" mit Burt Reynolds läuft oder man sonst nichts Besseres zu tun hat, dann schaut man es sich gelegentlich an. Seriösere Kollegen wissen es längst, was es ist, was da im Literarischen Quartett Ereignis wird. Worum es geht? Nicht um Literatur, sondern "einzig und allein um Literaturkritik" (Herbert Heckmann in einer eher abschätzig urteilenden Kritik)? Oder "natürlich nicht" um Literaturkritik (Berliner Zeitung)? Oder hat das Quartett ihr, der Literaturkritik, ein "wirkungsvolles Forum verschafft" (FAZ pro domo)?

Die Jubelausgabe allerdings ließ jede der Deutungen ins Leere des Gut- und Ernstgemeinten laufen. Die Frage, was denn nun das Literarische Quartett sei, wurde bedeutungslos und auf immer obsolet in dem Moment, als Reich-Ranicki einer singulären Klimax entgegenrudernd über das Buch eines Herrn Köhlmeier meinte: "Ich werde ficken, ich habe gefickt, wir werden ficken, ich bin gefickt, die Welt ist eine Fickerei, das einzige Glück ist das Ficken. Das kann nun jeder schreiben." Schreiben ja, aber die "fünf Buchstaben" (Reich-Ranicki Sekunden vorher) so deutlich aussprechen? Nein, nein, das kann nicht jeder. Das ist schon pyramidal ragend.

Vielleicht hat Erich Kästner recht und an Marcel Reich-Ranicki gedacht, als er prophetisch beziehungsweise prophylaktisch und antizipierend dichtete: "Die Zunge der Kultur reicht weit!/Wohin sie sich erstreckt,/da wird der Mensch nebst seiner Zeit/so lang wie hoch und weit und breit/von der Kultur beleckt."

Aber bevor an dieser Stelle die Diskussion über Cunnilingus resp. Fellatio hier und "Fickerei" da entbrennt und die Meinungen auseinandergehen, greife ich das Stichwort Kultur auf. Es geht um Kultur im Literarischen Quartett. Um hohe und höchste und höchst betrieb-same Kultur, und manchmal eben auch um Kulturbeutelschneiderei. Was nicht heißt, daß man sich eventuell wundern oder sogar aufregen sollte über die enormen Verkaufszahlen, die Bücher manchmal erreichen, nur weil sie im Literarischen Quartett besprochen werden.

Wenn es stimmt, daß der jährliche Umsatz aller deutschen Buchhandlungen nicht annähernd so hoch ist wie der Umsatz der Mercedes-Benz-Niederlassung in Baden-Baden, mögen sie trommeln wie sie wollen. Das kann natürlich auch zu Komplikationen führen. Wochen vor jedem Sendetermin werben die Verlage, von denen ein Buch auf dem Programm steht, im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels: "Bestellen Sie jetzt!" Neulich passierte es aber, daß zwei Titel kurzfristig gekippt wurden, weil irgendein anderes Buch aus irgend-welchen Gründen irgendwie nicht ignoriert werden konnte. Es war der Teufel los in der traditionell konservativen Branche, weil die Geschäfte palettenweise Exemplare der angekündigten Titel geordert hatten, welche die zuständigen Verlage nicht gerne zurücknehmen wollten. Flink mußte das ZDF versichern, die Besprechung der Romane würde zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Der flagrante Dualismus von Geist und Geld trat notgedrungen zutage. Nichts dagegen, das ist okay.

Alles in allem aber bleibt leider nur die Kultur, die auf jeden Fall wertvolle. Eine Kultur, von der die Protagonisten der Sendung meinen, sie wüßten, was das ist. Und überhaupt hegen sie insgeheim die Überzeugung, wer, wenn nicht sie, sei eigentlich legitimiert, den Nobelpreis zu vergeben.

Es ist eine Kultur, die unsereinem aber im weitesten Sinne "am Arsch vorbeigeht", wie es Reich-Ranicki wahrscheinlich ausdrücken würde. Eine Kultur, die trotz abwechselnd demonstrativer Provokation, nachdenklich-idealistischer Empfindungsbeschreibungsdebatten und zeitgemäßer Literatur-darf-durchaus-unterhaltend-sein-Standpunkte eigentlich nur eines ist - feige. Um ein geradezu und bestimmt blödsinniges Gedankenspiel zu betreiben: Sie, Löfflerkarasekreichranicki, hätten, so siedenn damals schon medial präsent gewesen wären, die Romantik mißachtet, sie hätten Büchner vergessen, sie hätten Kafka ignoriert. Sie liegen in der Regel permanent daneben. Sie haben nicht nur keine Ahnung, sie sind auch, ich weiß nicht, ob ich es schon gesagt habe, feige.

Aber Sigrid Löffler, das muß einmal gesagt werden, ist im Laufe der Jahre "immer selbstbewußter" (meine Freundin) geworden.